Europawahl, Anriff auf Europa, Populismus Collage: derStandard/Friesenbichler Fotos: Reuters (3), APA, Imago, AFP
Rechte Galionsfiguren wie Giorgia Meloni, Viktor Orbán, Herbert Kickl und Geert Wilders.
Collage: derStandard/Friesenbichler Fotos: Reuters (2), APA, Imago, AFP, AP

Was ist die EU? Ein "Wahnsinn". "Ein Projekt der Selbstaufgabe". Sie "zerstört den Wohlstand" und "schreibt uns vor, wie wir zu denken haben". Und sie ist ein "Kriegstreiber". Am besten solle man bei der EU "den roten Knopf drücken" – was immer das heißt.

Das ist die Sprache der EU-Kandidaten der FPÖ, Petra Steger und Harald Vilimsky, landauf, landab in diesem Wahlkampf für das EU-Parlament. Jeder einzelne Punkt ist natürlich Unsinn, grenzt an Verrücktheit. Wirtschaftliche Zusammenarbeit statt kleinlicher Abschottung bringt immer mehr Wohlstand, im Fall der Europäischen Union ist das seit Jahrzehnten erwiesen. Ein "Kriegstreiber" ist Wladimir Putin, mit dem die FPÖ seit 2016 ein "Freundschaftsabkommen" hat .

Zahltag Wahltag

Aber das ist eben das rechte Gebell gegen die EU – und es wird am Wahltag am 9. Juni wohl belohnt werden. Die FPÖ führt auch in den Umfragen zum EU-Wahlkampf – und die vielen anderen rechten, rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien in Europa werden gut abschneiden. Die EU wird mit einer stärkeren Rechten fertigwerden müssen.

Vielleicht auch mit einer Rechten, die bisher in zwei größere Fraktionen gespalten war, sich aber vereinigen könnte.

Denn zuletzt meldete sich Marine Le Pen vom Rassemblement National (RP) mit zwei spektakulären Aktionen: Auf ihr Betreiben wurde die rechtsextreme deutsche AfD von ihrer (sehr rechten) Fraktion Identität und Demokratie (ID) ausgeschlossen; gleich darauf machte sie der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni das Angebot, sich zusammenzuschließen. Melonis Fratelli d’Italia gehören im EU-Parlament zur etwas gemäßigteren Rechtsfraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR).

Viktor Orban
"Unser Plan ist nicht, die EU zu verlassen, unser Plan ist, sie zu erobern": Viktor Orbán.
AP/Denes Erdos

Die Begrifflichkeiten

"Jetzt ist der Moment, um sich zu vereinen", flötete Le Pen in Richtung Meloni. "Wenn wir Erfolg haben, können wir die zweitgrößte Fraktion im Europäischen Parlament werden. Ich denke, eine solche Gelegenheit sollte man sich nicht entgehen lassen."

Meloni antwortete scheinbar zustimmend: "Ich kenne keine roten Linien nach rechts, nur solche nach links. Mein Ziel ist es, eine alternative Mehrheit aufzubauen, eine Mitte-rechts-Mehrheit, und die Linke auch in der EU in Opposition zu schicken."

Hier gilt es genau auf Worte und Begriffe zu achten. Le Pen ist nicht die Mitte, von der Meloni redet, sie ist klar rechts außen, wenn sie sich auch zuletzt gemäßigt hat. Meloni möchte eher bei der Europäischen Volkspartei (EVP) andocken, in der CDU/CSU und ÖVP sind. Und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (kommt aus der CDU) machte auch freundliche Nasenlöcher. Sie sagte, man könne auch mit rechten Abgeordneten zusammenarbeiten, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen: "für Europa, für die Ukraine, also gegen Russland, und für den Rechtsstaat". Man müsse da eher auf individuelle Abgeordnete schauen, nicht auf "Gruppen". Unter Umständen braucht von der Leyen rechte Stimmen für ihre erneute Wahl.

Problematisches Verhältnis

Was läuft hier? Die große Annäherung zwischen Mitte und rechts außen? Denn immerhin waren bis vor kurzem beziehungsweise sind noch immer sehr viele dieser Parteien EU-skeptisch bis ausgesprochen EU-feindlich. Etliche sind russlandfreundlich und haben ein problematisches Verhältnis zur Demokratie.

Technischer Einschub: Im Europäischen Parlament gibt es keinen Fraktionszwang, die Abgeordneten und die Parteien stimmen öfters kreuz und quer ab. Trotzdem gab es bisher eine informelle Koalition aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen, die manchmal mit den Grünen die Mehrheiten zustande brachte.

Wenn sich diese Mehrheit nicht mehr ausgeht, müssen dann die Mitteparteien mit den Rechten arbeiten, zumindest punktuell?

Verschwommene Grenzen

Weit rechts draußen gibt es tatsächlich Nuancen. Es gibt Rechte und Ultrarechte, Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Die Grenze verschwimmt etwas, frühere Rechtsextremisten wollen jetzt nur noch Rechtspopulisten sein.

Es gibt die EU-Skeptiker und die klaren EU-Feinde. Euroskeptische Parteien sind zwar für die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Binnenmarkt, wollen aber keine vertiefte Integration im Sinne des EU-Prinzips einer "immer engeren Union". Die ausgesprochen antieuropäischen Parteien hingegen wollen die EU auflösen oder austreten. Dazu gehört vor allem die AfD, die sich da immer mehr radikalisiert hat. Die FPÖ kokettiert mit dem Öxit, wagt es aber nicht, voll auf diesen Kurs zu gehen. Andere, die früher für einen Austritt waren, wie der RN von Marine Le Pen, die Lega, die Fratelli d’Italia, aber auch die Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders, sind (auch unter dem Eindruck der negativen Folgen des Brexits für England) auf einen vorsichtigeren Kurs eingeschwenkt.

Giorgia Meloni
"Ich kenne keine roten Linien nach rechts, nur nach links. Ich will eine Mitte-rechts-Mehrheit aufbauen": Giorgia Meloni.
REUTERS/Remo Casilli

Die "Melonisierung"

Der Ausschluss der AfD aus der ID-Gruppierung auf Initiative von Le Pen erfolgte, weil AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah versucht hatte, die nationalsozialistische Völkermordorganisation SS schönzureden (was auch FPÖ-Obmann Kickl früher getan hat). Und weil er unter Spionageverdacht steht.

Marine Le Pen hat bei der Wahl in Frankreich 2027 Chancen, Präsident Emmanuel Macron abzulösen. Deshalb fährt sie einen Kurs der "Melonisierung", wie Spötter sagen. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kommt aus einer Partei mit eindeutig faschistischen Wurzeln, hat aber außen- und europapolitisch die Anti-EU-, Anti-USA-, Anti-Westen-Linie der üblichen Rechten abgelegt. Sie unterstützt auch den Migrationspakt der EU.

Allerdings: Nach innen, in der Haltung zur Demokratie, ist Giorgia Meloni unverändert autoritär. Sie wendet alle möglichen Tricks der autokratischen Rechten von Orbán bis Erdoğan an, um ihre Macht einzubetonieren. Vor allem strebte sie eine Verfassungsreform an, die sie zu einer direkt gewählten, übermächtigen Präsidentin-Regierungschefin gemacht hätte.

Antieuropäischer Strategiewechsel

Es gibt also die rechts außen positionierte EKR mit Meloni, der polnischen PiS, den Wahren Finnen und den Schwedendemokraten. Und es gibt noch weiter rechts außen Identität und Demokratie mit Le Pen, der italienischen Lega, der FPÖ, bis vor kurzem der AfD, dem belgischen Vlaams Belang, kleineren tschechischen, slowakischen und estnischen Parteien sowie der Danske Folksparti und der PVV des Geert Wilders, der jetzt die niederländische Regierung bildet.

Die ungarische Fidesz, die aus der christdemokratischen Fraktion der Europäischen Volkspartei de facto rausgeschmissen wurde, soll sich nach dem Wunsch von Meloni nach der Wahl der EKR anschließen.

Der deutsche Europaforscher Nicolai von Ondarza (Stiftung Wissenschaft und Politik) spricht in der FAZ von einem "Strategiewechsel der Antieuropäer". Oder eher mancher Antieuropäer. Sie wollen die EU nicht mehr zerstören (vorerst), sondern nach rechts drängen.

Zusammen könnten die beiden rechten Fraktionen EKR und ID rund 140 der insgesamt 720 Sitze im Europaparlament erringen. Dazu noch die Fidesz und die AfD – das wären geschätzt 168 Mandate oder 23 Prozent. Damit würden sie die Sozialdemokraten (144 prognostizierte Sitze) als zweitstärkste Fraktion ablösen.

Schwer einbare Nationalisten

Aber die "vereinte Rechte" aus EKR und ID, von der zum Beispiel Harald Vilimsky träumt, wird es wohl nicht geben – schon aus einem einzigen, aber historisch abgesicherten Grund: Nationalisten sind letzten Endes eben Nationalisten. Wer die eigene Nation über alles stellt, kann nicht dauerhafte Allianzen mit anderen Nationen eingehen, so ähnlich man einander auch sein mag.

Und es gibt in den beiden größeren Rechtsfraktionen jeweils Parteien, die mit anderen und mit einem gemäßigten Kurs nicht vereinbar sind. Le Pens Aktion gegen die AfD zeigt das. Und die FPÖ, im Übrigen seit dem Ausschluss der Schwesterpartei AfD isoliert, ist ein ähnlicher Fall.

Allerdings ist damit zu rechnen, dass rechts außen nach der Wahl mehr Einfluss haben wird; auch weil die Gefahr besteht, dass die gemäßigten Konservativen sich bei einzelnen Themen – Migration, Klimawandel, Vertiefung der Union, "Brüsseler Bürokratismus" – an die Rechten anpassen. In der Europäischen Volkspartei liebäugelt man mit Giorgia Meloni.

Es stellt sich hier auf EU-Ebene dieselbe Frage wie auf der kleineren österreichischen Bühne: Begehen die Parteien der Mitte, die gemäßigten Konservativen wie CDU oder ÖVP, Selbstmord aus Angst vor dem Tode, indem sie rechts außen nachgeben?

Gebremster Fortschritt

Der österreichische Ex-Diplomat Stefan Lehne, nun bei der Carnegie-Stiftung in Berlin, schreibt im STANDARD, es wäre verkehrt, die von den Rechts-außen-Parteien ausgehende Gefahr herunterzuspielen: "Sie werden zwar den Rückbau der EU zu einer losen Staatenunion nicht direkt durchsetzen können, haben jedoch gute Chancen, die Weiterentwicklung der EU ... und so mittelfristig auch die Akzeptanz für die europäische Integration zu behindern."

Die Rechten können nichts endgültig zerstören, aber den Fortschritt der EU bremsen. Beispielsweise ist die Beteiligung der Bauernpartei an der Regierung in den Niederlanden eine Garantie für Blockade in der Umweltpolitik. Geert Wilders hat auch bereits angekündigt, den soeben beschlossenen Migrationspakt der EU zu sprengen, und fährt eine Antiklimapolitik. Dass die rechtsliberale VVD des früheren Premiers Mark Rutte mit Wilders in die Regierung geht, ist ein Alarmzeichen.

Geert Wilders
"Austritt aus der EU? Austritt aus dem Euro? Ich lege das alles in den Gefrierschrank": Geert Wilders.
AFP/ANP/SEM VAN DER WAL

Die europäische Rechte ist stark, aber gespalten. Eine Vereinigung zu einem großen Block ist immer noch unwahrscheinlich. Wirklich gefährlich wird es aber dann, wenn die konservative Mitte ihre Radikalität nachahmt. (Hans Rauscher, 31.5.2024)