Flaggen EU
Ob die EU größer werden oder sich zuerst der verstärkten Umsetzung ihrer deklarierten Werte widmen sollte, ist eine von vielen Fragen, die zur EU-Erweiterung diskutiert werden.
REUTERS/Johanna Geron

Pro: Eine Kernsäule der EU

Erweitern oder vertiefen? Das ist für die Europäische Union bereits seit fast 30 Jahren die Gretchenfrage. Sie wurde bis heute weder in die eine noch in die andere Richtung klar und befriedigend beantwortet.

Im Dezember 1995 haben die Staats- und Regierungschefs der damals fünfzehn Mitgliedsstaaten zwei Jahrhundertbeschlüsse gefasst. Zum einen wurde die Einführung des Euro als gemeinsame Währung bekräftigt. Zum anderen bekam die EU-Kommission den Auftrag, die EU-Beitritte von zwölf Ländern in Ost- und Ostmitteleuropa sowie der Türkei konkret zu prüfen und vorzubereiten. In Ex-Jugoslawien tobte damals noch der Krieg. Die Ukraine hatte sich gerade von der Sowjetunion gelöst.

Knapp zwanzig Jahre später war die EU auf 28 Mitglieder angewachsen, auch Kroatien wurde Mitglied, dafür die Türkei nicht, und die Briten verabschiedeten sich. Die Eurounion machte über die Griechenlandkrise hinweg Fortschritte, aber sie ist (noch) nicht so tief, wie die Gründer in den 1980er-Jahren dachten.

Und die Erweiterung um neue Mitglieder tritt auf der Stelle, auch wenn neue Kandidaten wie die Ukraine und Moldau dazugekommen sind. So wird es auch weitergehen. Aber es besteht kein Zweifel, dass das eine oder andere Land im nächsten Jahrzehnt EU-Mitglied werden wird. Das ist auch gut so.

Es gibt keinen Grund, warum die EU damit aufhören sollte, was sie 1950 mit der deutsch-französischen Aussöhnung in der Montanunion begonnen hatte. Jedes europäische Land, das sich zu Demokratie und Rechtsstaat bekennt, soll und darf EU-Mitgliedsland werden. Wenn es der Union gleichzeitig gelingt, die Integration da und dort voranzutreiben, umso besser. (Thomas Meyer, 31.5.2024)

Kontra: Die EU muss zu sich finden

Zurzeit ist die Europäische Union zu groß und nicht zu klein. Vor einer sinnvollen Erweiterung sollte Ungarn rausgeworfen werden. Denn der ungarische EU-Kommissar für Erweiterungsverhandlungen, Olivér Várhelyi, richtete auf dem Balkan viel Schaden an, er unterstützte einseitig das autokratische Regime von Aleksandar Vučić in Serbien und den Kreml-Freund und Separatisten Milorad Dodik in Bosnien und Herzegowina.

Er stärkte antidemokratische Kräfte und hegemoniale Ambitionen, genannt "Die serbische Welt". Auch der Einfluss des Kremls vervielfachte sich. Ungarn ist auch nur deshalb der größte Befürworter eines schnellen Beitritts von Serbien, weil Ungarn die EU als liberales, westliches Projekt zerstören will und dafür Unterstützer reinholen will.

Erst wenn die EU wieder die Demokratisierung befördert, für mehr Unabhängigkeit der Justiz kämpft, jene belohnt, die Reformen machen, und jene bestraft, die Nachbarn bedrohen, Intellektuelle verfolgen und Kriegsverbrecher bejubeln, erst wenn sie wieder zu sich selbst findet, bedeuten neue EU-Beitritte etwas Gutes für ganz Europa. (Adelheid Wölfl, 31.5.2024)