Ein Moor vor einem Kraftwerk.
Mit dem "Fit for 55"-Paket präsentierte die EU-Kommission 2021 eine Reihe an Maßnahmen. Mittlerweile sind die meisten beschlossen – wenn auch in abgeschwächter Form.
IMAGO/Andreas Franke

Die Debatte ist hitzig – und der Zündstoff sind die Verbrenner. Oder, besser gesagt: die Zukunft der Verbrennerautos. Deren Ende sollte in der EU mit 2035 besiegelt sein, Neufahrzeuge dürften dann keine klimaschädlichen Emissionen mehr verursachen. Eigentlich. Doch Deutschland stellt sich beim Thema Antriebswende quer. Statt den Verbrenner zu Grabe zu tragen, muss ein Kompromiss her: Verbrenner dürfen weiterhin zugelassen werden, wenn CO₂-neutrale Kraftstoffe eingesetzt werden.

Die Absage Deutschlands ist mehr als nur das Aufbäumen einer Autonation. Es ist eine klare Kampfansage an den Green Deal von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Doch nicht nur der Streit über das Verbrennerverbot ist ein Knackpunkt des Mammutprojekts mit dem Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Die Landwirte wehren sich gegen die Streichung fossiler Privilegien, das EU-Renaturierungsgesetz könnte an Österreich scheitern. Quer durch Europa sind rechte Parteien auf dem Vormarsch, von denen viele den Green Deal zerschlagen wollen. Steht das Klimaprojekt auf der Kippe? Und wie weit sind die einzelnen Reformpunkte?

Bis 2030 strebt die EU eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 an. Wie hoch das Zwischenziel für 2040 sein wird, ist dagegen nach wie vor offen. Die EU-Kommission hat eine Treibhausgasreduktion um 90 Prozent gegenüber 1990 vorgeschlagen. Der finale Wert wird erst nach der EU-Wahl zwischen Kommission, Rat und Parlament verhandelt. Dann wird sich auch entscheiden, wie hoch die Reduktionspflichten für die einzelnen Mitgliedsstaaten ausfallen.

Emissionsfreier Verkehr

Ein Auspuff.
Der größte Teil der neu zugelassenen Autos sollte schon in den nächsten Jahren elektrisch betrieben werden.
IMAGO/Paul-Philipp Braun

Das Sorgenkind in Sachen Klimaschutz ist ganz klar der Verkehr: Er ist in der EU für ein Viertel der CO₂-Emissionen verantwortlich – Tendenz steigend. Autos verursachen mehr als 60 Prozent der Emissionen des Sektors, Lastwagen kommen auf 27 Prozent. Dass Handlungsbedarf besteht, ist offensichtlich. Gleichzeitig trägt der Sektor zu fünf Prozent der EU-Wirtschaftsleistung bei und beschäftigt mehr als zehn Millionen Menschen. Die Zahlen verdeutlichen die heikle Abwägung, die die Politik treffen muss. Der Green Deal sieht nun eine Reduktion der Verkehrsemissionen um 90 Prozent bis zum Jahr 2050 vor.

Das absolute Verbrennerverbot ab dem Jahr 2035 wurde zwar aufgeweicht, allerdings sollen die durchschnittlichen Emissionen von neuen Pkws schon bis 2030 auf 50 Prozent sinken. Anders formuliert: Der größte Teil der neu zugelassenen Autos sollte schon in den nächsten Jahren elektrisch betrieben werden. Derzeit ist man mit rund 20 Prozent weit davon entfernt. Auch beim Ausbau der Ladeinfrastruktur hinkt die EU ihren Zielen hinterher. Im Flug- und Schiffsverkehr setzt der Green Deal auf CO2-Steuern und nachhaltige Treibstoffe. Derzeit fehlen Produktionskapazitäten. Ob man die Ziele erreicht, ist fraglich.

Erneuerbare Energie

Windräder und eine PV-Anlage.
Bis ein Windrad bewilligt wird, dauert es mitunter Jahre, weil nationalen Behörden die Ressourcen fehlen.
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Um ihre CO2-Emissionen zu senken, muss die EU Wind-, Solar- und Speicherkraftwerke massiv ausbauen. Laut dem "Fit for 55"-Gesetzespaket der EU-Kommission sollte der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen bis 2030 auf mindestens 40 Prozent steigen. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wollte die Kommission das Ziel mit dem "RePower-EU-Plan" auf 45 Prozent erhöhen. Geeinigt haben sich die EU-Institutionen schließlich auf 42,5 Prozent. Der Anteil erneuerbarer Energien müsste sich dafür nahezu verdoppeln.

Erreichen will man das vor allem durch kürzere Fristen und rechtliche Kniffe bei der Genehmigung von Erzeugungsanlagen. Dem Ausbau erneuerbarer Energien wird etwa gesetzlich ein "besonderes öffentliches Interesse" zugeschrieben. In rechtlichen Abwägungsfragen zwischen Klimaschutz und gegenläufigen Interessen soll so das Pendel öfter in Richtung Klimaschutz ausschlagen. In der Praxis bleiben Hürden: Bis ein Windrad bewilligt wird, dauert es mitunter Jahre, weil nationalen Behörden die Ressourcen fehlen. Der Spielraum der EU ist hier beschränkt.

Effiziente Gebäude

Zinshäuser in Wien.
Mitgliedsstaaten sollen bis 2026 darlegen, wie sie den Energieverbrauch in Wohngebäuden senken wollen.
Putschögl

Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen sämtliche Gebäude innerhalb der Union bis Mitte des Jahrhunderts umgerüstet werden. Wie das gelingen soll, regelt die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie, die Anfang April mit einer knappen Mehrheit final beschlossen wurde. Auch hier gab es viel Widerstand; Italien und Ungarn stimmten gegen die Richtlinie, fünf weitere Länder enthielten sich der Stimme.

Die Richtlinie muss nun auf Ebene der nationalen Parlamente umgesetzt werden. Mitgliedsstaaten sollen bis 2026 darlegen, wie sie den Energieverbrauch in Wohngebäuden senken wollen, vor allem wie Einsparungen bei besonders schlecht sanierten Bauten gelingen können. Die Aufgabe, die Effizienzsteigerungen tatsächlich hinzubekommen, liegt nun also auf nationaler Ebene.

Saubere Umwelt

Ein Moor und Bäume.
Das EU-Renaturierungsgesetz soll Flüsse wieder in ihren natürlichen Zustand versetzen.
IMAGO/Andreas Franke

Laut dem Green Deal soll die Umwelt aktiv dazu genützt werden, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Wälder und Böden sollen vermehrt als Speicherort für Kohlenstoff dienen. Basis dafür ist die Verordnung für Landnutzung und Forstwirtschaft. Demnach sollen bis 2030 in natürlichen Senken rund 310 Millionen Tonnen CO2 gebunden werden. Der Wert entspricht in etwa dem jährlichen Ausstoß Italiens und liegt um 15 Prozent über dem heutigen Niveau.

Ein wichtiger Schritt ist hier nach wie vor offen – und Österreich könnte das Zünglein an der Waage werden. Das EU-Renaturierungsgesetz soll dafür sorgen, dass Wälder aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse wieder in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Ende März gab es keine Einigung im EU-Rat; bei einer neuerlichen Abstimmung Mitte Juni könnte Österreich dem Gesetz zu einer Mehrheit verhelfen. Ob Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) trotz ÖVP-Blockade zustimmen kann, ist derzeit offen.

Grüne Industrie

Ein Braunkohlekraftwerk
Unternehmen, die CO2 ausstoßen, müssen Zertifikate kaufen, deren Preis kontinuierlich steigt.
imago stock&people

Bei der Neuausrichtung der Industrie erzielte Europas Klimapolitik in den vergangenen Jahren Erfolge. Kernelement ist der EU-Emissionshandel (EU ETS). Die Idee: Unternehmen, die CO2 ausstoßen, müssen Zertifikate kaufen, deren Preis kontinuierlich steigt. Seit 2005 sind die Emissionen in diesem Bereich um mehr als ein Drittel gesunken. Ursprünglich wurden im Rahmen des Handelssystems massenhaft Gratiszertifikate vergeben, um eine Abwanderung der Industrie zu verhindern. Die Gratisvergabe wird nun schrittweise zurückgefahren und soll bis 2034 auslaufen. Künftig fallen neben CO₂ auch Lachgas und Methan unter das System.

Ab 2027 wird das Emissionshandelssystem zudem auf die Bereiche Gebäude und Verkehr ausgeweitet. Länder wie Österreich, in denen es bereits einen CO2-Preis in diesen Sektoren gibt, müssen sich bis dahin überlegen, wie sie die zwei Systeme miteinander verbinden. Die Einnahmen aus dem neuen CO2-Preis sollen in den Klima-Sozialfonds der EU fließen. Diesen können Mitgliedsstaaten nutzen, um einkommensschwache Haushalte und finanziell schwächere Kleinstunternehmen zu unterstützen. Insgesamt sollen so zwischen 2026 und 2032 bis zu 65 Milliarden Euro in dem Topf landen und verteilt werden.

Mit Oktober des Vorjahres wurde die Testphase für den CO2-Grenzausgleich gestartet. Dieser "Klimazoll" soll die EU-Industrie schützen: Wer etwa Stahl, Eisen oder Düngemittel aus Drittstaaten in die EU liefert, soll den gleichen Preis pro Tonne CO2 zahlen, wie ihn EU-Unternehmen im Rahmen der CO2-Zertifikate zahlen müssen. Führen Drittstaaten selbst einen CO2-Preis ein, wird dieser vom Grenzzoll abgezogen. Das soll auch andere Industrienationen dazu motivieren, ihre Produktion zu ökologisieren. Fällig wird der Zoll nach Ende der Testphase ab Anfang 2025.

Entscheidende Wahl

Fast alle Vorhaben, die die EU-Kommission im Juni 2021 präsentierte, sind formal beschlossen – zum Teil allerdings in abgeschwächter Form. Laut dem Climate Action Tracker des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung reichen die Pläne deshalb nicht aus, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Die Nettonull im Jahr 2050 wäre dagegen möglich – mit enormen Anstrengungen. Schließlich geht es um nicht weniger als die völlige Umstellung unserer Mobilität. Darum, wie wir heizen, wie wir leben und wie wir künftig wirtschaften. Die EU-Institutionen haben den Weg vorgezeichnet. Werden ihn die Europäerinnen und Europäer mittragen? (Nora Laufer, Jakob Pflügl, 30.5.2024)