Hier schon wieder mit ihrem grausamen Pianisten versöhnt: Asmik Grigorian und Hyung-ki Joo.

Die Werkliste des Abends an der Wiener Staatsoper kündigt ein gar buntes Programm zwischen Villa-Lobos, Fauré, Messiaen, Sting, Bernstein und Lady Gaga an. Man erinnert sich bange an historische Hörmomente, als sich große Opernsängerinnen und -Sänger geschmacksunsicher mit der ganzen Opulenz ihrer Stimmen an Pop und Jazz wagten. Insofern erwartet man die an sich über alle Zweifel erhabene Asmik Grigorian und ihre Darbietung doch mit einer gewissen Sorge. Wird das peinlich, wenn sie Stings sanftes Lied Moon Over Bourbon Street schmettert?

Dann allerdings kommt Pianist Hyung-Ki Joo auf die Bühne, spielt initial sein nettes Stück The Little Prince, dem eine unsichtbare Stimme folgt. Grigorian hat sich irgendwo oben unters Publikum gemischt, auch vom Stehplatz aus haucht sie im ersten Teil des Abends traurige Melodien – und alle ohne Text. Das ist natürlich in den Stücken so vorgesehen – in der Art also des Klassikhits Bachianas Brasilieras Nr. 5, dessen stilisierte Barockschwebetöne Grigorian delikat präsentiert.

Niemand ahnt

Ja, es ist alles da, was von einer Salzburger Salome oder Lady Macbeth und von einer Staatsopern-Turandot zu erwarten ist: makellose Lyrik, elegante Linienführung, delikate Pianissimokunst und die kultivierte Pracht dramatischer Ausbrüche, was den mitunter gar etüdenhaften Stücken hilft.

Niemand ahnt, dass dies alles nur ein qualitätsvolles Präludium zu einem kleinen Musiktheater ist, bei dem der Pianist jener Sadist ist, der in der Rolle des Vokalpädagogen eine Sängerin in Grund und Boden demütigt, um sie brutal zu einer Diva zu formen.

Bach und Lady Gaga

Das dauert. Grigorian muss durch die Hölle gehen: Sie ist das Häufchen Elend unter dem Klavier, während der Pädagoge unter Buhrufen Ticket to Ride von den Beatles krächzt. Sie ist schließlich aber auch die Lederdiva, die am Klavier das Bach-Präludium in C-Dur aus dem ersten Buch des Wohltemperierten Klaviers anspielt, um zu Lady Gagas Always Remember Us This Way aus dem Film A Star Is Born abzubiegen und auf Komplimente des Sadisten zu hoffen, die schließlich daherkommen. Final ist sie dann vor allem die Popsängerin, die herbe Expressivität zelebriert. Vielleicht gar etwas zu herb.

Zweifellos ein kostbar-exzentrischer Abend, an dem auch Staatsoperndirektor Bogdan Roščić Grigorian einen Kimono reichte, als sie O mio babbino caro aus Puccinis Gianni Schicchi anstimmte. Ja, später sang sie auch Cio-Cio-Sans Un bel dì, vedremo und dankte dem Direktor für sein Vertrauen den verrückten Abend betreffend. Natürlich: Ohne Hyung-ki Joo, der Publikum sicher auch Oper gut erklären könnte, wäre dieser heitere Sopran-Albtraum unmöglich gewesen. Verlangt nach Wiederholung. (Ljubiša Tošić, 29.5.2024)