Schabe Kakerlake
Eine Deutsche Schabe auf dem Vormarsch. Wo und wann entstanden diese Schädlinge? Eine neue Studie liefert einige ziemlich überraschende Antworten.
imago/blickwinkel

Das große Krabbeln beginnt im Normalfall erst in der Nacht. Dann kriechen sie aus ihren Verstecken und suchen die Innenräume nach Essbarem ab. Sollten Sie Kakerlaken zu Hause haben, dann handelt es sich ziemlich sicher um Deutsche Schaben (Blattella germanica). Das ist die global gesehen erfolgreichste der insgesamt rund 4500 Schabenarten weltweit. Dementsprechend hat sie auch die meisten ihrer Verwandten jedenfalls in menschlichen Behausungen erfolgreich verdrängt.

Die Deutsche Schabe, die auch gerne Küchenschabe genannt wird (nicht zu verwechseln mit der Gemeinen Küchenschabe beziehungsweise der Orientalischen Schabe), verursacht nicht nur Fraßschäden. Das Ungeziefer kann auch üble Krankheiten wie Salmonellen, Tuberkulose oder Milzbrand übertragen. Wie genau – und von wo aus – sind dieser unangenehmen Aasfresser zu unserem Problem geworden, dessen Bekämpfung auch heimische Kammerjäger auf Trab hält?

Linnés Namensgebung

Das war bis vor kurzem ein entomologisches Rätsel, das ziemlich genau 250 Jahre alt ist. Denn im Jahr 1776 gab der berühmte schwedische Naturforscher Carl von Linné der Schabenart ihren deutschen Namen. Das "germanica" nach Blatella kam vor allem deshalb zustande, weil die ersten Linné bekannten Exemplare in Mitteleuropa gefunden worden waren. Doch ist das auch das Ursprungsgebiet, von dem aus diese Kakerlakenart die Welt eroberte?

Schaben auf der Weltkarte Kakerlake
Schaben auf einer alten Weltkarte. Von wo aus und wann starteten sie ihre Welteroberung?
Matthew Bertone und Coby Schal

Die neueste und beste Antwort auf diese Frage lautet schlicht und einfach "Nein". Begründet wird das in einer Studie, die vor einigen Tagen im Fachblatt PNAS erschien und mittels umfangreicher Genomanalysen einige erstaunliche Erkenntnisse über die Entstehung und Ausbreitung der vor allem nachtaktiven Schädlinge zutage förderte. Dass dieses Rätsel erst so spät gelöst wurde, lag auch daran, dass Blattella germanica kaum noch in freier Natur vorkommt – weil sie sich so gut an uns Menschen angepasst hat.

Erstaunliche Erkenntnisse

Für ihre Untersuchung beschafften sich der Evolutionsbiologe Qian Tang (früher Harvard University, jetzt Nationaluniversität Singapur) und sein internationales Team die Genome von 281 Deutschen Schaben aus 17 Ländern, um deren genetische Unterschiede zu untersuchen. Auf der Basis von Erbsubstanzvergleichen versuchten sie, den Ursprung und die Ausbreitung des Schädlings in den Küchen rund um den Planeten zu rekonstruieren. Das brachte einige Überraschungen, und die beginnen mit jener das Alter der Deutschen Schabe betreffend.

Die ist evolutionär betrachtet nämlich eine extrem junge Art, entstand sie doch erst vor rund zwei Jahrtausenden, wie Tang und seine Kollegen herausgefunden haben. Die ersten Vertreterinnen von Blattella germanica dürften sich vor rund 2100 Jahren entwickelt haben. Dafür spricht laut den Forschenden die hohe genetische Ähnlichkeit der untersuchten Artvertreterinnen rund um den Globus. Die zweite erstaunliche Erkenntnis, jedenfalls für Nichtfachleute: Ihr Ursprungsort dürfte nicht Deutschland, sondern das heutige Indien oder Myanmar gewesen sein. Das wird damit begründet, dass die Deutsche Schabe auffallende Verwandtschaft mit dem Erbgut einiger asiatischer Schabenarten aufweist.

Tang und sein Team liefern auch eine nicht unplausible Erklärung, wie es zur Artbildung gekommen sein könnte. Mit den ersten Siedlungen in Südasien gingen asiatische Schaben, die in der Nähe lebten, vermutlich dazu über, die von Menschen kultivierten Pflanzen zu fressen. Da die menschlichen Behausungen ähnliche Nahrungsquellen boten, übersiedelten die Schaben in die Häuser und wurden schließlich zu den uns auch heute noch peinigenden Haushaltsschädlingen.

Eroberung des Westens

Und wie gelangten sie von da aus in den Westen? Laut den Genanalysen von Tang und seinem Team passierte das in zwei Wellen. Vor 1200 Jahren wurden sie mit dem Proviant vermutlich von Soldaten in den Nahen Osten eingeschleppt – viel früher als bisher angenommen. In Europa, wo sie ihren wissenschaftlichen Namen bekamen, kamen sie vermutlich erst vor 270 Jahren an, wahrscheinlich an Bord europäischer Kolonialschiffe.

Kakerlake Ausbreitung
Going West: Die Deutschen Schaben stießen in mehreren Etappen von Süd(ost)asien in den Westen vor.
Quian Tang et al., PNAS 2024

Mit der Globalisierung im 19. und 20. Jahrhundert nahm der Siegeszug endgültig Fahrt auf. Im Bauch von Schiffen und auf anderen Fahrzeugen stießen sie in die meisten von Menschen bewohnten Ecken und Winkel der Welt vor, um dort zu bleiben. Das gelang den Plagegeistern nicht zuletzt deshalb, weil sie auf ihrer evolutionären Reise einige praktische genetische Anpassungen erwarben: Sie besitzen nämlich Gene für besonders viele Geruchsrezeptoren und eine große Anzahl von Proteinen, die ihnen helfen, giftige Substanzen zu überleben. Vermutlich sind es genau diese Gene, die sie prädestiniert dafür machen, neue Nahrungsquellen aufzuspüren und schnell eine Resistenz gegen Insektizide zu entwickeln.

Diese schnelle Anpassungsfähigkeit kann Kakerlaken freilich auch in ernste Schwierigkeiten bringen, wie erst kürzlich eine Studie zeigte: Unsere Fallen mit süßem Köder führten dazu, dass ihnen Zucker nicht mehr schmeckte. Das wiederum wurde zum Problem für Männchen, welche die Weibchen normalerweise mit einem süßen Sekret locken. (tasch, 28.5.2024)