Der Flug 321 der Singapore Airlines von London nach Singapur geriet für die 211 Passagiere zum Albtraum. Über der Küste von Myanmar in Südostasien sackte die Boeing am 21. Mai um mehrere Dutzend Meter ab.* Durch die Turbulenzen ist ein älterer Brite gestorben, dutzende Menschen wurden verletzt. Der Pilot entschied, die gebeutelte Maschine in Bangkok statt in Singapur zu landen.

In der Unglücksmaschine von Singapore Airlines hängen am 21. Mai Sauerstoffmasken von der Kabinendecke
Das Unglücksflugzeug von Singapore Airlines zeigte nach der ungeplanten Landung in Bangkok deutliche Spuren der Turbulenzen.
REUTERS/Stringer

Der schwere Zwischenfall lenkte den Blick der Öffentlichkeit auf sogenannte Clear-Air-Turbulenzen (CAT), also starke, kleinräumige Luftwirbel – auch außerhalb von Wolkenbildungen. "Für jeden, der nicht angeschnallt war, fühlte sich der Vorfall wohl wie eine Achterbahnfahrt ohne Sicherheitsbügel an", sagte Paul Williams, einer der weltweit führenden Flugmeteorologen.

Der Unglücksflug 321 ist zwar noch nicht abschließend untersucht, laut Experten ist es aber möglich, dass er in solche Clear-Air-Turbulenzen geraten ist. Diese Vorfälle, die ein Flugzeug zwar wohl nicht zum Absturz, aber die Passagiere und Crew in Gefahr bringen können, nehmen laut einer Studie von Williams und weiteren britischen Wissenschaftern zu. Dies hängt laut den Forschern mit dem Klimawandel zusammen.

Jetstreams, Berge, Wolken

Wie können Clear-Air-Turbulenzen zunächst grundsätzlich entstehen? Laut Flugmeteorologen können diese in der Nähe von sogenannten Jetstreams, aber auch von Bergen und Wolken auftreten. Jetstreams sind Starkwindbänder in der oberen Troposphäre. "Neben Jetstreams ist die zweite Möglichkeit, dass eine starke Strömung ein Gebirge überquert, so etwa bei Südföhn", sagt Herbert Pümpel, ehemaliger leitender Flugwetterexperte der World Meteorological Organization (WMO), dem STANDARD.

In den Tropen wiederum sei der wahrscheinlichste Grund eine hochreichende Gewitteraktivität. "In diesen Gewitterzonen herrschen extreme Aufwinde mit 30 bis 40 Metern pro Sekunde. Diese werden durch entsprechende Abwinde kompensiert und erzeugen somit starke Scherung und Turbulenz", sagt Pümpel. Eine Wolke könne wie ein Gebirge auf die Strömung wirken. "Das ist so, als würde man die Alpen plötzlich auf zwölf Kilometer Höhe aufblasen", erklärt der Meteorologe. Turbulenzen könnten sogar noch 20 bis 30 Kilometer von einem Gewitterkomplex entfernt auftreten – wo der Blick für Piloten durchaus klar ist.

Turbulenzen werden noch zunehmen

Gerade die stärkeren Clear-Air-Turbulenzen hätten im Zeitraum von 1979 bis 2020 stark zugenommen, schreiben Atmosphärenforscher Paul Williams und seine Kollegen in ihrer im Vorjahr veröffentlichten Studie. Dabei sahen sie sich insbesondere den Nordatlantik an – wo ja viele Flugzeuge unterwegs sind. Mäßige Klarluftturbulenzen hätten über dem nördlichen Teil des Ozeans um 37 Prozent zugenommen, schwere Turbulenzen sogar um 55 Prozent.

Der Anstieg sei mit annähernder Sicherheit auf die Folgen des Klimawandels zurückzuführen, sagt Williams. Mithilfe von Klimamodellen habe sein Team berechnet, dass sich schwere Turbulenzen auf Flügen "in den kommenden Jahrzehnten verdoppeln oder verdreifachen könnten".

Ein Flugzeug zieht vor blauem Himmel einen Kondensstreifen nach sich
Schwere Clear-Air-Turbulenz werde über dem Atlantik, aber auch in Europa und Nordamerika zunehmen, sagt Atmosphärenforscher Paul Williams.
IMAGO/Silas Stein

Mehr Energie in der Atmosphäre

Die Zunahme solcher Turbulenzen durch den Klimawandel sei nicht überraschend, sagt Katja Horneffer, Leiterin des ZDF-Wetterteams, dem STANDARD. "Wenn die Temperatur insgesamt zunimmt, haben wir mehr Energie in der Atmosphäre. Das bedeutet auch stärkere Umlagerungen in der Luft. Dann können Turbulenzen häufiger auftreten." Zudem verändere der Klimawandel den Verlauf und die Stärke der Starkwindbänder (Jets) in Reisehöhe der Flugzeuge, "was CAT begünstigen kann".

Auch Meteorologe Pümpel hält einen Zusammenhang zwischen Klima und mehr CAT für relativ sicher. "Der Klimawandel verändert die Richtung und Position der großräumigen Windströmungen." Dadurch seien Flieger über dem Nordatlantik "sehr wahrscheinlich" stärker von CAT betroffen. Gerade in den Tropen und Subtropen bewirke die höhere Temperatur in der Atmosphäre wiederum eine höhere maximale Luftfeuchtigkeit. "Diese führt dazu, dass die Gewitter intensiver werden, weiter hinaufreichen und schwieriger zu umfliegen werden", sagt Pümpel.

ZDF-Wetterchefin Katja Horneffer im Fernsehstudio
ZDF-Wetterchefin Katja Horneffer: "Mein Tipp ist, wenn möglich angeschnallt zu sein. Einige Fluggesellschaften empfehlen dies bereits seit Jahrzehnten."
ZDF/Torsten Silz,

Belastung fürs Klima

Der kommerzielle Luftverkehr gilt als ein großer Mitverursacher des menschengemachten Klimawandels. Laut der Europäischen Umweltagentur erzeugte die Luftfahrt zum Beispiel im Jahr 2019 rund vier Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU. Während die Fliegerei für das Klima schon länger ein Problem ist, könnte man sagen, nun wird die Erderwärmung auch eins für das Fliegen.

Grundsätzlich ist Fliegen in den vergangenen Jahrzehnten immer sicherer geworden. Die UN-Luftfahrtorganisation ICAO verzeichnete für das Jahr 2023 bei Passagierflügen weltweit 80 Tote. Noch in den Neunzigerjahren lag die Zahl der tödlich im Flugverkehr Verunglückten in den meisten Jahren bei mehr als 1000. Zugleich steigt die Zahl der Fluggäste, mit Ausnahme der mehrjährigen Corona-Delle, kontinuierlich. Im Jahr 2023 wurden 4,6 Milliarden Passagiere befördert.

Herausforderung für Fluglinien

Fluglinien haben laut dem Experten Pümpel das CAT-Problem längst erkannt und suchen nach wirksamen Lösungen. Gängige Radarsysteme können CAT-Phänomene nicht gut erkennen. Aber: "Die Flugwetterdienste und die Satellitenmeteorologen betreiben intensive Forschung, wie man die Informationen aus Satellitenbildern annähernd in Echtzeit ins Cockpit übertragen kann", sagt Pümpel. In Mitteleuropa gebe es auch engmaschig Wetterradarstationen. Mit Hochdruck werde daran gearbeitet, diese Informationen zeitnah aufzubereiten als Entscheidungshilfen für Ausweichmanöver.

Eine andere Technologie heißt Lidar. Mit dieser mit dem Radar verwandten Methode ließen sich die Turbulenzen bei klarer Luft erkennen, sagen Experten. Noch gilt das System aber als zu teuer, um serienmäßig in Cockpits verbaut zu werden.

Bitte anschnallen

ZDF-Meteorologin Horneffer gibt Fluggästen den praktischen Tipp, wenn möglich angegurtet zu sein: "Einige Fluggesellschaften empfehlen dies bereits seit Jahrzehnten: Wenn Sie auf Ihrem Platz sitzen, bleiben Sie angeschnallt!" (Lukas Kapeller, 30.5.2024)