Mit verbalen öffentlichen Angriffen auf den ORF, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und seine Finanzierung durch den ORF-Beitrag brachte FPÖ-Stiftungsrat Peter Westenthaler eine große Mehrheit im obersten ORF-Gremium gegen sich auf. Sie warfen ihm in einem Protestbrief "Pflichtverletzungen" als Mitglied des Aufsichtsgremiums Stiftungsrat und den ORF schädigendes Verhalten vor.

Könnten die Stiftungsräte mit Mehrheit Westenthaler per Abstimmung abberufen, wie das etwa in Aktiengesellschaften geht? Renommierte Rundfunkrechtler verneinen das auf STANDARD-Anfrage. Sie könnten aber auf zivilrechtlichem Wege bei Gericht dagegen vorgehen, sagt einer der Befragten.

ORF-Logo vor dem ORF-Zentrum.
APA Eva Manhart

Redaktioneller Hinweis: DER STANDARD bat zwei sehr erfahrene österreichische Rundfunkrechtler um ihre Einschätzung. Aufgrund ihrer beruflichen Positionen wollten sie diese sachlichen Einschätzungen nur ohne Namensnennung zur Verfügung stellen. Sie gehören weder dem ORF noch einer anderen Partei in dieser Frage an.

"Propagandamaschine" und "Pflichtverletzungen"

"Propagandamaschine" hat Westenthaler, seit März ORF-Stiftungsrat der FPÖ, den ORF genannt, ihm etwa "parteipolitische Agitation" und Auftragsvergaben "offenbar für keine Leistung" vorgeworfen. 30 von 35 Stiftungsräten, ohne Vertreter SPÖ-naher Institutionen, warfen ihm daraufhin "Pflichtverletzungen" vor, er müsse als Stiftungsrat des ORF zu dessen Wohl handeln. Westenthaler wies die Vorwürfe zurück und erklärte, er handle im Sinne des ORF.

DER STANDARD befragte daraufhin zwei renommierte Unternehmensrechtler, ob das Auftreten Westenthalers den grundsätzlichen Vorgaben für Aufsichtsgremien von Gesellschaften entspricht. Beide verneinten das entschieden und sprachen, wie berichtet, von Pflichtverletzungen gegenüber gesellschaftsrechtlichen Vorgaben.

Der Anwalt und WU-Honorarprofessor Georg Schima verwies in dem Zusammenhang auch auf die Möglichkeiten von Aufsichtsräten in Aktiengesellschaften und GmbHs, Mitglieder mit Dreiviertelmehrheit abzuberufen.

Keine Abberufung per Abstimmung

In dem Zusammenhang zitierte DER STANDARD eine rundfunkrechtliche Position. Aufgrund der beruflichen Position ebenfalls auf eigenen Wunsch nicht namentlich genannt, aber basierend auf langjähriger, sehr unmittelbarer Erfahrung mit dem ORF-Gesetz. Die Position: Auch der Stiftungsrat könne eine Abstimmung über ein Mitglied auf die Tagesordnung setzen und dieses mit einer Mehrheit abberufen.

Dem widersprechen nun die zwei vom STANDARD befragten, renommierten Rundfunkrechtler.

Eher skeptisch zeigt sich der eine Rundfunkrechtler. Dazu müsste man das ORF-Gesetz so auslegen, dass in dieser Sache Aktienrecht sinngemäß anzuwenden wäre, und zudem, dass der Stiftungsrat hier, weil die Stiftung ja keinen Eigentümer hat, die Rolle einer nicht vorhandenen Hauptversammlung beziehungsweise der Kapitalmehrheit übernimmt. Außerdem könne man die Frage einer Abberufung ja vor ordentlichen Gerichten austragen.

Der Zweite vertritt die Auffassung, dass das ORF-Gesetz in Paragraf 20 Absatz 4 (unten) abschließend regelt, wie Stiftungsräte ihr Mandat verlieren können.

Derselbe Paragraf 20 verweise zwar in Absatz 2 auf "dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft". Das könne und dürfe aber, so der zweite Rundfunkrechtler, nicht so interpretiert werden, dass damit auch die aktienrechtlichen Abberufungsmöglichkeiten ergänzend heranzuziehen wären. Soll heißen: Der Stiftungsrat habe nach seiner Rechtsauffassung keine weiteren Abberufungsmöglichkeiten.

Aber, so fügt der Jurist an: "Wohl aber könnte der Stiftungsrat gegen den betreffenden Aufsichtsrat zivilrechtliche Ansprüche vor Gericht geltend machen, weil dies Paragraf 20 Absatz 2 ORF-G ausdrücklich regelt."

Westenthaler selbst widersprach in einer Reaktion sehr nachdrücklich den Aussagen der Unternehmensrechtler beziehungsweise deren Relevanz für den ORF-Stiftungsrat.

Update: Mehr Möglichkeiten zur Abberufung

Update: Das Thema birgt offenkundig einigen Diskussionsstoff unter Juristen.

Ein weiterer sehr erfahrener Rundfunkrechtler meldete sich nach Erscheinen dieses Artikels und verwies auf die die letzten Sätze im oben zitierten Paragraf 20 Absatz 4 des ORF-Gesetzes.

Dort heißt es ja wörtlich: "Hat ein Mitglied des Stiftungsrates drei aufeinanderfolgenden Einladungen zu einer Sitzung ohne genügende Entschuldigung keine Folge geleistet oder tritt bei einem Mitglied ein Ausschlussgrund gemäß Absatz 3 nachträglich ein, so hat dies nach seiner Anhörung der Stiftungsrat durch Beschluss festzustellen. Diese Feststellung hat den Verlust der Mitgliedschaft zur Folge und es ist ein neues Mitglied für den Rest der Funktionsperiode zu bestellen."

Dieser Rundfunkrechtler, der wegen seiner beruflichen Position ebenfalls nicht genannt werden möchte, schließt aus diesen Sätzen: Wenn ein Mitglied des Stiftungsrats schon wegen dreimaligem nicht entschuldigtem Fehlen bei Plenarsitzungen vom Stiftungsrat ausgeschlossen werden kann, dann müsse das Gremium bei seinen Mitgliedern auch schwerer wiegende Gründe wie etwa Verletzung von Pflichten als Stiftungsrat feststellen können und der Beschluss ebenfalls zu einem Verlust der Mitgliedschaft führen.

Diese offenbar doch umstrittene Rechtsfrage könnten Höchstgerichte klären. Wenn sie damit befasst werden. Als erste Instanz wäre dafür die Medienbehörde KommAustria zuständig. (Harald Fidler, 28.5.2024)