Zeichnung eines im Hamsterrad laufenden Menschen
Forschende klagen über zu wenig Zeit für ihre eigentliche Arbeit, die Forschung.
Illustration: Getty Images / Frank Ramspott

2024 ist ein sogenanntes Superwahljahr. Bald wählen wir ein neues EU-Parlament, im Herbst finden Nationalratswahlen statt. Wissenschaft und Forschung werden in Wahlkämpfen zumeist nicht prioritär behandelt. Auch nicht die Fragen, in welche Richtung sich dieses Land wirtschaftspolitisch entwickeln soll, sieht man von den Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und der Einführung neuer Steuern ab. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Fragen der Zukunft braucht es jedoch.

"Die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft kann nur durch die 'Intelligenz' der Produkte und die Produktivität der Erwerbstätigen hergestellt werden und sicherlich nicht durch geringe Löhne."

Dazu zählt auch die Frage, ob Österreich ein guter Forschungsstandort ist – das ist es –, der Standort muss sich aber auch weiterentwickeln. Wer selbstzufrieden stehenbleibt, der wird von anderen überholt.

Das gilt nicht nur für Österreich, sondern für die EU insgesamt. Sie verliert. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung beträgt sechs Prozent, Tendenz fallend, und ihr Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung rund 15 Prozent, Tendenz ebenfalls fallend. Gerade Letzteres ist bedenklich. Die Ausgaben für den Umbau der Energie- und Mobilitätsysteme und der industriellen Produktionen, um langfristige Klimaneutralität zu erreichen, sind ebenso bedeutend wie die Kosten für die Bewältigung der gesellschaftlichen Alterung. Für das erforderliche Wirtschaftswachstum ist jedoch Forschung essenziell, und zwar sowohl die Grundlagenforschung als auch die anwendungsorientierte Forschung. Die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft kann nur durch die "Intelligenz" der Produkte und die Produktivität der Erwerbstätigen hergestellt werden und sicherlich nicht durch geringe Löhne. Das geht sich für uns und die EU nicht aus.

Längere Perspektive

Bei unseren Diskussionen über den Forschungsstandort Österreich spielt die persönliche Betroffenheit eine wichtige Rolle, vollkommen verständlich. Aktiv Forschende, gleich welchen Alters, klagen oft über das Hamsterrad der projektbezogenen Forschung. Sie wird von kurzfristigen und relativ niedrig dotierten Projekten dominiert. Antrag schreiben, Forschung durchführen – und bevor die Abschlussberichte verfasst werden, heißt es neue Anträge schreiben. Die vielen kleinen und kurzfristigen Projekte erhöhen den bürokratischen Verwaltungsaufwand und schaffen zu wenig Freiraum, um über wissenschaftliche Fragen ernsthaft nachzudenken. Darüber müssen wir, die Funktionäre der Forschungseinrichtungen, ernsthaft reflektieren, Programme fokussieren, längere Laufzeiten ermöglichen und "Simplification" nicht nur von der EU-Forschungsförderung einfordern.

Eine längerfristige Perspektive benötigen aber auch die Forschungseinrichtungen selbst. Die dreijährigen Leistungsvereinbarungen sollten in Zukunft, wenn es zu einer Novelle des Forschungsfinanzierungsgesetzes kommt, durch einen weiteren dreijährigen Finanzierungsausblick ergänzt werden. Der würde den budgetären Weg kennzeichnen und sowohl dem Ministerium als auch den Forschungseinrichtungen eine gewisse Planungssicherheit gewähren. Wenn wir heute in längst überfällige Forschungsbereiche investieren, in die molekulare und genetische Erklärung von Krankheiten, in die Anwendung von Künstlicher Intelligenz oder in die Entwicklung von Quantentechnologien, dann ernten wir erst morgen und übermorgen. Die EU-Rahmenprogramme für Forschung und Innovation haben eine siebenjährige Perspektive, und das aus gutem Grund.

Mehr Mittel

Eine erfolgreiche und ökonomisch auch relevante Forschung beginnt mit der Grundlagenforschung, die von Neugier getrieben und themenoffen ist und gleichzeitig den Humus für eine angewandte Forschung darstellt. Nur die Grundlagenforschung bringt überraschende und disruptive Erkenntnisse hervor, auch wenn nicht absehbar ist, wann und welche. Das fehlende Nützlichkeitsversprechen macht es politisch schwierig, genug Geld dafür aufzutreiben. Daher sind die Verlängerung und Aufstockung des Fonds Zukunft Österreich so wichtig, aber auch die ausreichende Dotierung der Institutionen der Grundlagenforschung insgesamt.

Wir brauchen in weiterer Folge forschungsstarke Unternehmen, die Forschungsergebnisse aufgreifen und in ihre Produktion einfließen lassen. Die Forschungsprämie, 2002 eingeführt und inzwischen auf 14 Prozent der tatsächlichen Aufwendungen erhöht, hat sehr viel zur industriellen Standortqualität Österreichs beigetragen. Wer dies kritisiert und meint, die Mittel sollten anders verwendet werden, der versteht die Zusammenhänge nicht. Ein Mehr an forschungsbezogener Aktivität durch die Industrie sichert nicht nur deren Wettbewerbsfähigkeit und damit ökonomische Prosperität, sondern fördert auch indirekt die Forschungseinrichtungen. Mehr Geld im System ist gut für das System insgesamt.

Die Welt erklären

Und schließlich brauchen wir die Geistes- und Sozialwissenschaften, manchmal übersehen und manchmal unterschätzt. Wir müssen sie fördern, damit sie uns die Welt erklären, Orientierung vermitteln, in der Zeit zurückblicken und gleichzeitig Zukunft eröffnen. Und das ist so wichtig wie selten zuvor, denn die Erosion der politischen Mitte, die Orientierungslosigkeit und Verwirrung in einer sich immer mehr aufspaltenden Gesellschaft sind nicht zu übersehen. Das gilt in Österreich, in der gesamten EU und anderswo. Die Fragen der Zeit benötigen Antworten, und wenn wir – die Wissenschaft – sie nicht geben, dann haben die einfachen Welterklärer von links und rechts ihren Zulauf.

"Das Klischee von Krankl, Mozart und Sachertorte passt definitiv nicht mehr."

Übrigens: Die Bevölkerung schätzt Wissenschaft und Forschung mehr, als wir es vermuten. Wir haben 2023 im Wissenschaftsbarometer die Frage gestellt, worauf die Befragten in Österreich stolz sind. Die repräsentativen Antworten haben selbst die Optimisten überrascht. Am häufigsten sind die Befragten auf die Naturschönheiten des Landes stolz, dann folgt die Demokratie und die Verfassung und auf dem dritten Platz die Leistungen der Forschung (ex aequo mit dem Sozialstaat). Erst dann folgen Kunst und Kultur, Sport und die Wirtschaft – und eine querulantische Minderheit von sechs Prozent ist auf gar nichts stolz in diesem Land. Das Klischee von Krankl, Mozart und Sachertorte passt in dieser Form definitiv nicht mehr.

Noch etwas erfahren wir aus dem Wissenschaftsbarometer: 77 Prozent sagen, dass sich durch Wissenschaft und Forschung das Leben verbessert hat, 80 Prozent fordern die ausreichende staatliche Finanzierung von Wissenschaft und Forschung. Das ist ein solider empirischer Befund und gleichzeitig ein politischer Auftrag, der Wissenschaft und Forschung einen höheren politischen Stellenwert zu geben, als es der Wahlkampf vermuten lässt. (Heinz Faßmann, 28.5.2024)