Verteidigungsminister Robert Kaliňák, vorne links neben InnenministerMatúš Šutaj Eštok, führt in der Slowakei provisorisch die Amtsgeschäfte.
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Es ist ein doppelter Heilungsprozess, der die Slowakei dieser Tage beschäftigt. Zwei Wochen nach dem Schussattentat auf den slowakischen Premierminister Robert Fico gilt die Aufmerksamkeit zunächst dem Gesundheitszustand des Regierungschefs. Dieser sei weiterhin auf dem Weg der Besserung, hieß es am Dienstag aus dem Krankenhaus von Banská Bystrica, wo Fico vorerst in stationärer Behandlung bleibt.

Trotz der wiederkehrenden Auskünfte, denen zufolge der Premier vorerst über den Berg sei, scheint eine echte Genesung jedoch eine längerfristige Angelegenheit zu sein. Ján Richter, im Parlament Klubchef von Ficos linksnationaler Partei Smer (Richtung), hatte nach einem Gespräch mit dem Regierungschef erst kürzlich erklärt, es werde wohl bis zum Ende des Jahres dauern, bis dieser wieder gesund sei. Richter zufolge wäre es "unverantwortlich", eine allzu rasche Rückkehr Ficos ins Amt zu erwarten. Vorerst führt Verteidigungsminister Robert Kaliňák, Ficos erster Stellvertreter, die Regierungsgeschäfte.

Langwierig könnte aber auch die Heilung der Wunden werden, von denen nun die slowakische Gesellschaft gezeichnet ist. Appelle zur Mäßigung des Tons in der aufgeheizten politischen Debatte stehen manchmal in eigentümlichem Gegensatz dazu, dass dem jeweils anderen politischen Lager die Schuld gegeben wird an der aufgepeitschten Stimmung im Land.

Auf der einen Seite steht die populistische Regierungskoalition, zusammengesetzt aus Ficos Smer, der ebenfalls linksorientierten Hlas (Stimme) und der Slowakischen Nationalpartei (SNS). Im anderen Lager finden sich die liberale Opposition, angeführt von der Partei Progressive Slowakei (PS), sowie Vertreterinnen und Vertreter der Bürgergesellschaft und einige liberale Medien. Sie werfen der Regierung bereits seit der Amtsübernahme im Herbst vor, die öffentlich-rechtlichen Medien unter ihre Kontrolle bringen zu wollen, mit einer Justizreform Korruption und Wirtschaftsverbrechen zu marginalisieren und in der Außenpolitik einen russlandfreundlichen Kurs zu verfolgen.

Verbale Radikalisierung

Kurz nachdem Fico am 15. Mai in der mittelslowakischen Stadt Handlová von vier Schüssen getroffen worden war, schienen rhetorisch einige Dämme zu brechen. Ľuboš Blaha etwa, immerhin Parlamentsvizepräsident und Vizechef der Smer, wandte sich an "die Liberalen, die Medien, die politische Opposition". Allesamt hätten sie "Hass gegen Robert Fico gesät", so Blaha. "Wegen euch ringt Robert Fico heute um sein Leben." Einen Schritt weiter ging Andrej Danko, Chef der Koalitionspartei SNS, der liberale Journalisten als "Dreckschweine" bezeichnete.

Vertreterinnen und Vertreter der liberalen Bürgergesellschaft, die mit der Opposition sympathisieren, sehen sich jedoch selbst als Opfer oder wenigstens als Zielscheiben der Gewaltkultur im Land. Dabei erinnern sie unter anderem an die Ermordung des jungen Investigativjournalisten Ján Kuciak, der 2018 gemeinsam mit seiner Verlobten Martina Kušnírová in seinem Haus in der Nähe von Bratislava erschossen wurde. Kuciak hatte über Korruption im Umfeld von Robert Fico recherchiert. Dieser trat kurz nach dem Doppelmord unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit als Premier zurück. Erst der Sieg seiner Smer bei der Parlamentswahl im vergangenen Herbst öffnete ihm den Weg zurück an die Macht.

Der designierte Staatschef Peter Pellegrini und die scheidende Präsidentin Zuzana Čaputová riefen kurz nach dem Attentat gemeinsam zur Deeskalation auf.
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Auch der Anschlag auf eine Gay-Bar in Bratislava, bei dem im Oktober 2022 zwei Menschen getötet wurden, sitzt vielen noch in den Knochen. Und selbst die liberale Staatspräsidentin Zuzana Čaputová sah sich und ihre Familie zuletzt immer mehr als potenzielle Gewaltopfer, nachdem sie mehrfach anonym oder von grölenden Menschen vor ihrem Haus bedroht worden war. In einem Interview zu Wochenbeginn erklärte sie einmal mehr, dass das der Grund für ihren bevorstehenden Rückzug aus der Politik sei: Bei der Präsidentschaftswahl im April war sie nicht mehr angetreten.

Wahlsieger wurde der bisherige Hlas-Chef Peter Pellegrini, der Fico nahesteht. Am 15. Juni übernimmt er das Amt von der scheidenden Čaputová, die am Mittwoch zu einem Abschiedsbesuch nach Österreich kam und von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit dem Großstern des Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik ausgezeichnet wurde.

Aufrufe zur Mäßigung

Freilich gibt es auch in der Slowakei Versuche um eine Beruhigung und Deradikalisierung der politischen Atmosphäre. Immerhin hatten Čaputová und Pellegrini bereits kurz nach dem Attentat bei einem gemeinsamen Auftritt zur Mäßigung aufgerufen. Der Versuch, einen runden Tisch aller Regierungsparteien zu organisieren, der diesen Appell auf eine breitere Basis hätte stellen können, scheiterte aber am Widerstand von Teilen des Regierungslagers.

Immerhin kam es inzwischen zu einem einstimmigen Parlamentsbeschluss, in dem Gewalt als Mittel zur Austragung politischer Differenzen verurteilt wurde. Möglich wurde dieses Ergebnis aber erst durch einen Kompromiss: In der ursprünglichen Vorlage wurde in einem Punkt nur dazu aufgerufen, keinen "Hass gegen die legitime demokratische Regierung zu verbreiten". Erst auf Druck der Opposition wurde die Formulierung in diesem Absatz auch auf andere gewählte Organe und sich öffentlich engagierende Menschen ausgedehnt.

Ein heikles Thema bleibt auch der Umgang mit der Frage nach den Motiven des Täters. Der 71-jährige Pensionist Juraj C., der noch am Tatort festgenommen wurde, hatte erklärt, mit der Politik Ficos "nicht einverstanden" gewesen zu sein. Eine Mordabsicht bestritt er inzwischen jedoch: Er habe Fico lediglich verletzen wollen. Dass ein Video, in dem Juraj C. in Polizeigewahrsam erstmals von einem politischen Motiv spricht, unmittelbar nach der Tat an die Öffentlich kam und im Internet kursierte, wurde rasch zu einem neuen Streitfall. Dabei spielt eine Rolle, dass C. offensichtlich nicht zum Mainstream der liberalen Bürgerbewegung gegen die Regierung Fico gezählt werden kann: In der Vergangenheit war der Hobbyschriftsteller und ehemalige Wachmann eines Kaufhauses durch rassistische Sprüche und durch Auftritte bei einer selbsternannten Heimatschutzmiliz aufgefallen.

Umstrittene Medienpolitik

Auch der Umbau des öffentlich-rechtlichen Senders RTVS, ein Vorhaben, gegen das vor dem Attentat immer wieder demonstriert worden war, geht vorerst weiter. Inzwischen hat das Parlament den Plan der Regierung in zweiter Lesung abgesegnet. Der Fernseh- und Hörfunksender soll künftig STVR heißen, seine Führung soll auf neue Beine gestellt werden. Unter anderem sieht das Gesetz vor, dass ein neunköpfiger Rat über die Leitung bestimmt. Fünf Ratsmitglieder sollen vom Parlament gewählt, vier von Kultur- und Finanzministerium bestimmt werden. Regierungskritiker warnen, dass der Sender auf diese Art unter die Kontrolle der Staatsmacht gestellt werde. Die Regierung Fico wiederum hatte RTVS immer wieder wegen angeblicher Nähe zur Opposition kritisiert.

Versuche, das gesellschaftliche Klima abzukühlen, bleiben vor diesem Hintergrund vorerst wenig erfolgreich. Immer wieder weisen beide Seiten zudem darauf hin, dass das Attentat auf Fico nicht zu einem Stillstand der politischen Debatte führen solle. Erste Umfragen nach der Tat signalisieren indes, dass Ficos Partei Smer vor der Wahl zum Europäischen Parlament, die in der Slowakei am 8. Juni stattfindet, zulegen konnte. (Gerald Schubert, 30.5.2024)