Sandstrand, Liegestühle, Meer, Bäume
Durchschnittlich 150 Meter breit ist der Sandstrand von Albena – und ganz hinten gibt es auch Bäume.
Albena

Eine kühle Brise weht aus dem Urwald auf den goldenen Sandstrand und mildert ein wenig die Kraft der gnaden­losen Mittagssonne. Aus der Ferne dringt ein staccatoartiges Hämmern. Es stört die Siesta der Badeurlauber nur für einen Augenblick, denn schon bald dreht der Wind. Nun weht er vom Schwarzen Meer und schickt das unterschwellige "Tock, tock, tock" landeinwärts. Bald ist nur mehr das Rauschen der Wellen zu hören, die vermeintlichen Bauarbeiten sind komplett verstummt. Smartphones, Kriminalromane und Revolverblätter werden zur Seite gelegt, und den meisten Urlaubern fallen die Augen zu am Strand von Albena.

Baustopp

Renoviert wird in dem nicht mehr ganz tau­frischen Badeort an der bulgarischen Küste mit 33 Hotels und knapp 17.000 Betten tatsächlich eine Menge. Allerdings soll es in dem Strandresort 30 Kilometer nördlich von Warna auch in Zukunft keinen einzigen Neubau mehr geben. Und dieser Baustopp hängt mit dem Klopfen zusammen, das gerade noch am Strand zu hören war. Es stammt eben nicht von einer Baustelle, sondern von Spechten aus dem Baltata-Urwald. Dieser schließt als gigantische grüne Lunge direkt an den Strand an und ist ein Naturschutzgebiet. Und damit dieser Naturschutzstatus gewährt werden konnte, musste sich Albena langfristig dazu verpflichten, auch in Zukunft keine neuen Gebäude mehr zu errichten. Ein Badeort, der mehr ist als Betonwüste mit einer Sandbank für Liegen und Schirme?

Auf einer Fläche von mehr als 200 Hektar rund um den Fluss Batova leben mit ungestörtem Strandzugang mehr als 600 Tierarten, darunter der Weißkopfseeadler, Schakale, Äskulapnattern und Landschildkröten. Der Urwald in diesem Feuchtgebiet ist intakt und bahnt sich immer wieder da und dort einen wohltuenden Weg in die Asphaltwüste des Orts. Das ist für Badegäste spür- und sichtbar. In der Früh steigen häufig feine graue Schwaden aus dem dichten Wald auf, und man meint, die Gorillas müssten gleich aus dem Nebel auftauchen. Auch an heißen Nachmittagen bleibt die Luft frisch. Richtig stickig wird es in den autofreien Straßen nie, die zwischen den Unterkünften mäandern.

Meer, Strand, Hotel, Pool
Neben dem feinsandigen Sonnenstrand kann man auch auf 21 Frei- und vier Hallenbäder ausweichen.
Sascha Aumüller

Die Geschichte dieser vor 55 Jahren aus dem Boden gestampften Siedlung beginnt 1969 als Alternative zu den Badeorten am bulgarischen Goldstrand und am Sonnenstrand. Kleiner, feiner und intimer sollte hier alles werden, als Urlauber wollte man Bonzen aus dem sozialistischen Inland und aus befreundeten Brudernationen wie der DDR holen. Gebaut wurde dann doch recht bombastisch, vom Strand betrachtet erinnert die erste Hotelreihe an manchen Stellen an die Wiener Wohnsiedlung Alt-Erlaa. Nur eben mit Meerzugang. 20 Jahre lang bis zum Ende des Kommunismus blieb der gesamte Ort ein volkseigener Betrieb – eine Struktur, die sich nach der Wende durchaus als planerischer Vorteil herausstellen sollte.

1989 wurde Albena als Ganzes privatisiert, und seither buhlen nicht einzelne Eigentümer von Hotels um Gäste, sondern man entwickelt dort ein gemeinsames Konzept. Mitarbeiter des ehemaligen sozialistischen Urlaubsparadieses haben sich dafür zusammengetan und ein vermutlich weltweit einzigartiges Konstrukt für den Ferienort geschaffen: Sie machten aus Albena eine Aktiengesellschaft – also aus dem ganzen Ort samt Hotels, Tennisplätzen und Kläranlage. Ob diese Geschäftsidee für Sonnenhungrige auch der "Aktientipp des Monats" ist, sei einmal dahingestellt. Doch das Vorhaben, aus einem dahinvegetierenden Bonzenbad das erste nachhaltige Strandresort Europas zu machen, das diesen Namen verdient, ist bereits jetzt gelungen. Begonnen wurde es 2017 in bester sozialistischer Tradition mit einem "Fünfjahresplan für Nachhaltigkeit".

Beinahe energieautark

Hotel, Pflanzen
Die üppige, ungebändigte Vegetation des Schutzgebiets Baltata reicht in Albena bis an die Strandhotels heran.
Sascha Aumüller

Planwirtschaft hat zumindest den Vorteil, dass im Nachhinein überprüft werden kann, ob die Pläne auch umgesetzt wurden. Im Fall von Albena sieht die Bilanz gar nicht schlecht aus. Mehr als 1200 Quadratmeter Sonnenkollektoren erzeugen bereits 70 Prozent der im Resort benötigten Energie, wobei man um Transparenz und Kontinuität bemüht ist: Auf Albenas Webauftritt kann etwa tagesaktuell die Energiegewinnung durch die Solaranlagen mitverfolgt werden. Und für jede einzelne verkaufte Übernachtung wird ein Euro für nachhaltige Innovationen zur Seite gelegt. Etwa für die Erweiterung der eigenen Biogasanlage, die dafür sorgt, dass die Energiebilanz noch verbessert werden kann. Wobei man unbedingt erwähnen sollte, womit diese Anlage gefüttert wird.

Wer in einem der drei Fünf-Sterne-Häuser seinen Teller am Buffet voll belädt und dann doch nicht brav aufisst, muss hier nur teilweise ein schlechtes Gewissen haben. Seit 2021 wird die Biogasanlage auch durch organische Abfälle mit einer Kapazität von 100 Tonnen pro Tag angetrieben. Die Klimaanlage kühlt also das Hotelzimmer dank der Essensreste vom Buffet. Wobei es natürlich besser wäre, erst gar nicht so viele Lebensmittel zu verschwenden. Doch der Personalmangel macht vor dem bulgarischen Tourismus ebenso wenig halt, weshalb man sich in den meisten Hotels für Buffets entscheiden musste. Die Geschichte von Albenas Kreislaufwirtschaft ist damit aber noch nicht zur Gänze erzählt.

Auch hochwertiger Dünger verlässt die Biogasanlage in Richtung der resorteigenen Obst- und Gemüsegärten. Schon 60 Prozent des Grünzeugs am Buffet stammt aus der Region und wird überwiegend in Bio-Qualität produziert. Dazu zählen etwa saftige Äpfel, die überall im Ort als gesunder Snack feilgeboten werden und deren Sorten ursprünglich aus Österreich kommen. Zwetschken, Kirschen und mehr als 100 Tonnen Trauben pro Jahr, die lokale Winzer mehrheitlich zu eigenem Wein für das Resort veredeln, werden rund um Albena ebenfalls geerntet. Doch bevor angeschlagenes Obst den letzten Weg in die Biogasanlage antritt und danach die Akkus der E-Book-Reader der Urlauber füllt, werden hier mit modernsten Methoden Fruchtsäfte produziert, die wenig später auf den Frühstücks­tischen landen. Bei Brot und Gebäck liegt der Eigenproduktionsanteil für das gesamte Resort übrigens schon bei 100 Prozent.

Ein Ort als Selbstversorger

Meer, Sonnenschirme, Strand
Die feinsandigen Strände des Schwarzen Meers sind bei Albena mit der Blauen Flagge ausgezeichnet.
Albena

Die Begeisterung fürs Selbstversorgertum geht in Albena aber noch weiter. Der bekömmliche Frühstückstee wird aus 29 lokalen Kräutern verschnitten, die Kerzen fürs Candlelight-Dinner kann man aus eigenem Bienenwachs herstellen und den feinen Gin in den Bars aus wild wachsenden Wacholderbüschen. Welche Mengen an landwirtschaftlichen Produkten so ein Badeort mit 17.000 Betten jedenfalls verschlingen muss, kann man allein dar­an ablesen, wie viel weggeschmissen wird: Täglich bis zu 500 Tonnen Biomüll kann die Anlage maximal verarbeiten.

Badeferien in diesem Teil Bulgariens lassen sich auch mit einem sehr kurzen "Urlaub auf dem Bauernhof" verbinden – bei einer Stippvisite auf Albenas eigener Rinderfarm. Rund 400 Tiere und weitere 150 Jungtiere der begehrten Rassen Black Angus und Galloway hat man sich – ebenfalls aus österreichischen Züchtungen – auf die Ranch oberhalb des Strandresorts geholt. Im Rahmen eines Ausflugs darf sich jeder Hotelgast selbst ein Bild davon machen, wie ernst artgerechte Tierhaltung hier genommen wird. Und wenn einem die Bauern dann mit dem Begriff "Qualitätsfleisch" den Mund wässrig machen, kann man den Geschmackstest wenig später in einem der besseren Restaurants von Albena selbst machen. Dort wird das Angus-Steak gerne auch medium rare serviert. Aber keine Sorge: Seit knapp einem Jahr bieten die Restaurants des Feriendorfs verstärkt vegane und vegetarische Menüs, damit der ökologische Fußabdruck auch im Urlaub nicht leidet. Bei so viel "bio, regio und öko" stellt sich die Frage, warum Europas Bobos Albena noch nicht die insgesamt 33 Hoteltüren eintreten. Einfach mal mit dem Auto eine Runde durch den Ort drehen und schauen, wie es einem dort gefällt, geht jedenfalls nicht.

Autofrei mit Rolltreppen

Zum sauberen Konzept dieses komplett autofreien Ortes gehört es auch, dass man seinen Pkw quasi am Eingang abgibt, sofern man überhaupt mit eigenem Fahrzeug kommt. Die Parkplätze funktionieren nach einem einfachen System: je weiter weg vom Strand, desto günstiger oder überhaupt gratis. Pro­blem ist das aber selbst mit schweren Koffern keines, gibt es doch ein gut funktionierendes Linienbussystem mit Elektrofahrzeugen, das übrigens auch alle Bediensteten in ihre Wohnorte außerhalb des Badeorts bringt. Kleinere Hügel in dem Ort werden per Rolltreppen bewältigt, die direkt ins Grüne gebaut wurden.

Wer unsicher ist, ob der nachhaltige Badeurlaub in Bulgarien ein würdiger Ersatz für die gewohnten Strandferien an der Oberen Adria oder an der Costa Brava ist, kann sich auch erst einmal in den Bummelzug setzen und ein wenig fotografieren. Die Bilder von brutalistischen Plattenbauten, die auf der Rundfahrt entstehen, können einen ganzen Architekturband füllen. Auch die Ornamente im olympischen Hallenbad oder an den Wänden der Warteräume der gut nachgefragten Kuranstalten sind auf eine gute Art retro. Man fühlt sich nicht wie in einem Ostblock-Disneyland, aber auch nicht wie in einer totrenovierten postsozialistischen Retortenstadt ohne Charme und Geschichte.

Schild, Strand, Meer
Zur Unterhaltung werden verschiedenste Sportarten angeboten, so etwa auch Minigolf.
Sascha Aumüller

Bleiben nur noch ein paar Dinge, die man aus der fahrenden Bummelbahn nicht sieht. Die hervorragende Qualität des kristallklaren Wassers des Schwarzen Meeres am sechs Kilometer breiten Sandstrand etwa. Es wird seit Jahren von der Europäischen Union mit der Blauen Flagge ausgezeichnet, und kaum jemand nimmt es wahr, ist das nicht ein Drama! Es ist jedenfalls ein Drama von Jordan Jowkow aus dem Jahre 1930, das dem Badeort seinen Namen gab. Albena heißen das Buch und die bildhübsche Heldin in der bekanntesten Erzählung des bulgarischen Schriftstellers, dessen größter Fan Ernest Hemingway war. (RONDO, Sascha Aumüller, 30.5.2024)