Das Foto zeigt die Beastie Boys am Dach eines Hochhauses, mit dabei ist der Sänger Run DMC
Die Beastie Boys mit Run DMC (Trio mittig) beim kulturellen Austausch am Rooftop. Das Beastie-Boys-Album "Ill Communication" wird 30 Jahre alt und klingt immer noch fresh.
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Wie in jeder artgerechten Rappelkiste herrscht vom ersten Moment an helle Aufregung. Die setzt eine Energie frei, die die Beastie Boys auf Ill Communication eine Stunde lang halten. Sie cruisen durch Stile und Neigungsgruppen wie der Schlitten einer Achterbahn. "Come on, and you don't stop", heißt es im Opener Sure Shot. Aus dem Song mit dem Jazz-Flöten-Sample von Jeremy Steig bricht Tough Guy hervor. 57 Sekunden Punkrock-Irrsinn, dann taucht die Band wieder ab: B-Boys Makin' with the Freak Freak verschränkt 1970er-Jahre-Funkiness mit Dope Beats, wie sie damals gerade erst erfunden wurden. Und so geht's weiter.

Vor 30 Jahren erschien das vierte Studioalbum der New Yorker Beastie Boys. Ill Communication wurde zu einem die Ära definierenden Werk. Zwar hatte Kurt Cobain gerade ausgecheckt, doch die Revolution ging hurtig weiter.

Es war einiges los

1994 veröffentlichte Beck Mellow Gold, Nas debütierte mit Illmatic, Biggie mit Ready To Die, Ween wurden mit Chocolate and Cheese Nerdkönige. Oasis debütierten, Kyuss donnerten ins Sky Valley. Später im Jahr tauchten Portishead mit Dummy auf, und mit Stricktly Turntablized von DJ Krush vollzog das britischen Label Mo' Wax einen Schritt in Richtung Abstraktion des Hip-Hop unter Umarmung von Dub, was die Clubkultur der restlichen 1990er in verschiedensten Formen prägen sollte. Man kann sagen, es war einiges los.

Vieles davon ist, mehr oder wenig hoch dosiert, auf Ill Communication angelegt, es war verwurzelt in der Vergangenheit und strahlte zugleich in die Zukunft. Nach dem 1992 erschienenen Check Your Head schritt das Trio noch weiter in Richtung traditionelle Band. War Hip-Hop lange Zeit eine Mischung aus Beats und Samples, zu denen gerappt wurde, verlagerte sich das Genre nun in Richtung Bandgefüge.

Beastie Boys - Sure Shot
BeastieBoysVEVO

Die Beastie Boys mit einer Vergangenheit als Punkrocker und ihrer Begeisterung für Hip-Hop und schwarze Musik tauchten da via Arschbombe ein. Zappeliger Hardcore, nerdiges Sampling und kindliche Offenheit wurden so lange erhitzt, bis der Deckel flog. Was heute von Moralisten kulturelle Aneignung genannt wird und für Unwohlsein – "Wo ist das Iberogast?" – sorgte, prägte die Popmusik und zeitigte einige der besten Ergebnisse ihrer Zeit.

Miles Davis mit Senf

Während Beck an der Westküste Hip-Hop und Folk zusammendachte, ergaben sich die Beastie Boys in New York dem Einfluss von Miles-Davis-Alben wie On The Corner. Im Sinne der Ill Communication gaben sie, stets am Anschlag, ihren Senf dazu.

Der Titel bezeichnet den Tonfall einer verschnupften Stimme, was dem Idiom des Vortrags durchaus gerecht wurde. Gleichzeitig war "Ill" ein Synonym für einen verdrehten Zugang, das einen spacigen Ansatz und ebensolche Ergebnisse versprach. Bald sollte es Illbient geben, eine Mischung aus Hip-Hop-Beats und Ambient, Nas erhob die Illmatic zur Wissenschaft, Ill hatte gerade Hochsaison.

Beastie Boys - Root Down
BeastieBoysVEVO

Für Illness im Hause Beastie sorgte zudem Keyboarder Money Mark. War der auf Check Your Head mit zwei Credits bedacht, ist er auf Ill Communication bei jedem zweiten Track vermerkt. Seine Funkiness konvenierte bestens mit der Vielfalt der Musik und verlieh ihr live eine Extraportion Irrsinn.

"Put the fun in funky"

Dem frönten die Boys auch auf visueller Ebene. Es war die hohe Zeit von MTV, kein Hit ohne Video – und die Beastie Boys lieferten: Der von Spike Jonze gedrehte Clip für die Hitsingle Sabotage rotierte im Programm des Senders und erfreute mit einer Parodie auf 1970er-Jahre-Krimiserien – mit den Beasties als vertrottelten Hauptdarstellern. "It put the fun back in funky", wie man so schön sagt.

Beastie Boys - Sabotage
BeastieBoysVEVO

Ill Communcation gilt als Meilenstein einer kulturellen Entwicklung, die Hip-Hop dem Mainstream näher brachte, ohne die Wurzeln der Band aufzugeben. Im Sinne des Do-it-Yourself betrieben sie mit Grand Royal ein eigenes Label. Anders als Acts wie Sonic Youth oder R.E.M. beschränkte sich ihr Austausch der Stile nicht auf einzelne Songs. Sie begründeten einen neuen, der den kulturellen Austausch als Herzschlag wählte und ausgiebig stimulierte. Für den sorgen der brasilianische Produzent Mario Caldato, Eric Bobo, der Sohn des Jazz-Percussionisten Willie Bobo, oder der Rapper Q-Tip von A Tribe Called Quest. So geht Meilenstein.

Als Fußnote sei am Ende daran erinnert, dass FM4 einst mit Sabotage vollmundig auf Sendung ging. Betrachtet man, wohin der Sender bald darauf abgebogen ist, muss diese Songauswahl als Treppenwitz betrachtet werden. Da ist Ill Communication doch um einiges besser gealtert. (Karl Fluch, 29.5.2024)