Wenigstens auf eine Frage gab es am Donnerstagfrüh eine Antwort: Robert Fico lebt, hieß es aus dem Krankenhaus von Banská Bystrica. Mehr als fünf Stunden lang sei der slowakische Premierminister notoperiert worden. Drei Kugeln sollen ihn beim Attentat am Mittwoch getroffen haben, eine davon in den Magen. Der Zustand des Premiers: sehr ernst, aber stabil.

Verteidigungsminister Robert Kaliňak (li., neben Innenminister Matúš Šutaj-Eštok) gilt als Favorit für die interimistische Führung des Regierungsteams.
AFP/TOMAS BENEDIKOVIC

Noch war nicht klar, wie es um die Gesundheit Ficos und um seine Zukunft genau bestellt ist. Gleichzeitig stellen sich den Menschen in der Slowakei aber auch ganz andere Fragen. Denn das Land steht – da sind sich viele Beobachter einig – an einer Weggabelung. Die politische Stimmung, sie war auch schon vor dem Attentat aufgeheizt.

Wer vertritt Fico?

Die Frage, wie es nun weitergeht, hat zunächst einmal eine rechtliche Dimension. Demnach kann der Premier einen seiner Stellvertreter mit der Fortführung der Geschäfte betrauen. Darüber, was passiert, wenn er dazu nicht in der Lage ist, schweigt sich die Verfassung allerdings aus. Die Regierung könnte jedoch laut Politologen als kollektives Organ einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin benennen.

Zunächst deutete jedenfalls alles auf Verteidigungsminister Robert Kaliňák hin. Er ist einer der vier stellvertretenden Regierungschefs – und der Einzige, der Ficos linkspopulistischer Partei Smer (Richtung) angehört. Kaliňák, der in einer früheren Fico-Regierung bereits Innenminister war, gilt zudem als enger Vertrauter des Premiers.

Für mehr Kopfzerbrechen sorgt aber die Frage, wie es um die politische Kultur im Land steht – und wie sehr das Attentat die ohnehin schwierige Kommunikation zwischen Regierung, Opposition und Bürgergesellschaft weiter belastet.

Heikle Phase

Die Schüsse trafen das Land in einer sensiblen Phase. Nach der gewonnenen Parlamentswahl im Herbst 2023 bildete die Smer mit der rechtspopulistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS) und der linken Smer-Abspaltung Hlas eine Regierung. Fico kehrte so ins Amt des Premiers zurück, das er 2018 unter dem Druck der Öffentlichkeit hatte verlassen müssen. Grund für den Rücktritt war der Mord am jungen Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová. Die beiden waren in ihrem Haus erschossen worden, nachdem Kuciak über Korruption im Umfeld Ficos recherchiert hatte.

Dass die Wiederwahl des Politprofis und scharfkantigen Rhetorikers Fico das Land polarisierte, ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend. Dazu kamen Verwerfungen im Zusammenhang mit Fragen, die auch die Gesellschaften in anderen Ländern entzweien. So hat Fico im Wahlkampf mit dezidiert prorussischen Bemerkungen aufhorchen lassen und später die Militärhilfe für die von Russland angegriffene Ukraine gestoppt.

Ein weiterer Stein des Anstoßes war der Start einer Justizreform – die unter anderem das Strafmaß für Wirtschaftsverbrechen senkt – sowie der Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (RTVS), der von der Staatsmacht als regierungsfeindlich kritisiert wurde. Immer wieder gab es Kundgebungen gegen die Justizreform und zur Verteidigung von RTVS. Eine Abstimmung im Parlament, die am Donnerstag in erster Lesung dessen Auflösung auf den Weg bringen sollte, wurde nach dem Attentat verschoben.

Appell für Dialog

Auch die Präsidentschaftswahl im April trug nicht zur Beruhigung der Lage bei. Die liberale Staatspräsidentin Zuzana Čaputová wollte nicht mehr antreten, Wahlsieger wurde Peter Pellegrini, Chef der Koalitionspartei Hlas. Er präsentierte sich im Wahlkampf klar an Ficos Seite, auch wenn er sich mit seiner Hlas einst von dessen Smer losgesagt hatte.

Staatspräsidentin Zuzana Čaputová und ihr designierter Nachfolger Peter Pellegrini gaben eine gemeinsame Erklärung ab – als Appell zum Dialog zwischen den Kräften.
EPA/JAKUB GAVLAK

Immerhin: Dass die scheidende Präsidentin Čaputová und ihr designierter Nachfolger Pellegrini am Donnerstag gemeinsam vor die Presse traten und zur Mäßigung aufriefen, war ein Versuch, die Atmosphäre zu entschärfen. Nicht alle hatten in den Stunden davor Ähnliches zum Ziel: Finanzminister Ladislav Kamenický von der Smer beschuldigte liberale Medien der "Hetze" gegen Fico; das Attentat sei nun das Ergebnis. Andrej Danko, Chef der rechtsnationalen SNS, nannte liberale Journalisten sogar "Dreckschweine" und kündigte einen "politischen Krieg" an.

Einstweilen tasten die meisten noch zögerlich nach einer Antwort auf die Frage, was eigentlich das Motiv des mutmaßlichen Attentäters war, des 71-jährigen Juraj C. Er selbst hat politische Beweggründe angegeben, er sei mit Ficos Politik "nicht einverstanden gewesen". Zwar soll er an Kundgebungen gegen die Regierung teilgenommen haben, doch dürfte er auch alles andere sein als ein Liberaler aus dem Mainstream der Protestbewegung gegen Fico: In früheren Schriften soll er vor "hunderttausenden Migranten" gewarnt haben, vor "schamlosen" Roma und davor, dass die Politik nicht in der Lage sei, die Menschen vor "kriminellen Elementen" zu schützen.

Einmal leitete er sogar die Gründung einer Partei in die Wege, die allerdings bedeutungslos blieb. Ihr Name: "Bewegung gegen Gewalt". In der Slowakei bleiben viele Fragen offen. (Gerald Schubert, 16.5.2024)