Pflegeheim Rollstuhl Gang
Menschen würden in Pflegeeinrichtungen "in die Immobilität gepflegt", kritisiert das Vertretungsnetz.
Heribert Corn

Ruhigstellende Medikamente, Betten mit Seitenteilen oder Gurte am Rollstuhl – Maßnahmen wie diese werden in Alten- und Pflegeheimen offenbar immer öfter angewandt. Die Zahlen der Bewohnervertretung des Vertretungsnetzes, das diese Fälle dokumentiert, seien auf Rekordniveau, berichtete am Donnerstag das Ö1-Morgenjournal.

In den letzten fünf Jahren sind demnach die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in Altenheimen um 60 Prozent gestiegen, in Wohn- und Pflegeeinrichtungen um 30 Prozent. Voriges Jahr seien insgesamt rund 33.000 Menschen davon betroffen gewesen. Die häufigste Einschränkung (70 Prozent) erfolgt durch die Gabe ruhigstellender Medikamente. Das habe oft zur Folge, dass die Menschen Muskeln abbauen und "in die Immobilität gepflegt" würden, kritisierte Susanne Jaquemar vom Vertretungsnetz im Ö1-Bericht.

60 Bewohner, eine Pflegeperson

Es gebe Bundesländer, wo ein Nachtdienst pro 60 Bewohnerinnen und Bewohner vorgesehen sei, das sei einfach nicht machbar. Es brauche eine Qualitätsoffensive in der Pflege und österreichweit einheitlich geltende Pflegeschlüssel, so Jaquemar. Weiters brauche es mehr Ärztinnen und Ärzte in den Einrichtungen und mehr niederschwellige Betreuungsleistungen wie beispielsweise Besuche von Freiwilligen. "Momentan geht es den alten Menschen in den Einrichtungen nicht mehr gut", resümierte Jaquemar.

Konfrontiert mit dem Bericht sagte Jakob Kabas, Präsident des gemeinnützigen Vereins Lebenswelt Heim, der 650 Pflege- und Betreuungseinrichtungen vertritt, es sei nicht alles in Ordnung, aber es sei auch nicht alles schlecht, und er frage sich, wie mehr Personal angezogen werden soll, wenn immer alles schlechtgeredet werde.

"Gesellschaftliche Krise?"

"Wenn wir von Pflegekrise sprechen und wenn wir die Thematik haben in Österreich – und nicht nur in den Pflegeheimen, sondern in der Zwischenzeit auch im Bereich der Kinder- und Jugendbetreuung, im Bereich der Krankenanstalten –, dass Verwundbare und Schutzbedürftige in ein Grundrechtsproblem kommen, dann frage ich mich, ob das nicht ein Indiz einer gesellschaftlichen Krise ist", sagte Kabas auf Ö1.

Es braucht laut Kabas Qualitätssicherungssysteme, interdisziplinäres Lernen etwa zwischen Langzeitpflege und Akutbereich, und als Betreiber könne man zum Beispiel vorgeben, wer eingebunden werden muss (beispielsweise ein Facharzt), um freiheitsbeschränkende Maßnahmen treffen zu können. (spri, 16.5.2024)