Medienvertreter vor dem Roosevelt-Universitätsspital in Banská Bystrica, in dem Robert Fico operiert wurde.
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Am Mittwoch wurde der slowakische Premier Robert Fico in Handlová, rund 190 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava, angeschossen, das Attentat rief internationale Bestürzung hervor. Auch einen Tag später gibt es noch viele Unklarheiten – ein Überblick über Gesichertes und Wahrscheinliches.

Was ist am Mittwoch genau passiert?

Fico befand sich auf einer Reise durch die Regionen des Landes. Nach einer Kabinettssitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlová begab er sich ins Freie, um wartende Anhänger zu begrüßen. Der Schütze trat von hinten aus der Menge hervor und zielte aus der Nähe auf den Premier, wie Videoaufnahmen zeigen. Gegen 14.30 Uhr fielen insgesamt fünf Schüsse.

Fico wurde unter anderem in den Arm und in den Bauch getroffen. Der mutmaßliche Schütze wurde danach von Sicherheitskräften zu Boden gedrückt und festgenommen. Fico wurde in seinen Dienstwagen gehoben, der anschließend ins Spital in Handlová fuhr. Ein Hubschrauber brachte ihn in ein Krankenhaus in Banská Bystrica, wo er notoperiert wurde. Ein Transport nach Bratislava hätte angesichts des kritischen Zustands zu lange gedauert, hieß es auf dem Facebook-Account des Premiers.

Behörden prüfen derzeit, ob seine Personenschützer Fico nicht ausreichend geschützt haben. Entsprechende Ermittlungen "wegen Behinderung der Aufgaben eines Amtsträgers" seien am Mittwoch eingeleitet worden, hieß es von einer Behördensprecherin zur Nachrichtenagentur TASR.

Wie geht es Robert Fico?

Verteidigungsminister Robert Kaliňák, ein Parteikollege Ficos, hatte am Mittwoch zunächst von einem "außerordentlich ernsten" Zustand gesprochen und berichtet, dass medizinisches Personal "um sein Leben" kämpfe. Innenminister Matúš Šutaj Eštok vom sozialdemokratischen Koalitionspartner Hlas sprach ebenfalls von einer lebensbedrohlichen Situation. Der Regierungschef habe ein sogenanntes Polytrauma, also mehrere schwere Verletzungen, erlitten. Krankenhausangaben zufolge, auf die sich die Nachrichtenagentur Reuters bezog, war Fico bei der Einlieferung ansprechbar.

Premierminister Robert Fico bei der Kabinettssitzung in Handlová am Mittwoch.
Premierminister Robert Fico bei der Kabinettssitzung in Handlová am Mittwoch. Kurze Zeit später wurde er angeschossen.
REUTERS/Radovan Stoklasa

Umweltminister und Vizepremier Tomáš Taraba äußerte um kurz vor Mitternacht einige Vermutungen: "Soweit ich weiß, ist die Operation gut verlaufen – und ich denke, dass er am Ende überleben wird", zitierte die BBC den Politiker der rechtsextremen Slowakischen Nationalpartei (SNS), die sich ebenfalls mit Ficos sozialkonservativen Sozialdemokraten in der Koalition befindet. Aktuality zitierte eine mit der Angelegenheit vertraute Person mit den Worten, Fico befinde sich nach der Operation in stabilem Zustand. In mehreren Medienberichten hieß es, der Premierminister habe das Bewusstsein wiedererlangt.

Am Donnerstag gab Spitalsleiterin Miriam Lapuniková bekannt, dass der Zustand Ficos "stabil, aber sehr ernst" sei. Er habe mehrere Schusswunden erlitten und sei fünf Stunden lang von zwei Operationsteams operiert worden. "Der Zustand ist nach wie vor sehr ernst, gerade wegen der Komplexität der Verletzungen, aber wir wollen alle daran glauben, dass wir in der Lage sein werden, die Situation zu bewältigen", fügte Verteidigungsminister Kalinák bei der Pressekonferenz am Donnerstag hinzu.

Kalinák sagte nach einer Sondersitzung des Sicherheitsrats in Bratislava, Fico sei von vier Kugeln getroffen worden. Die Verletzungen seien sehr schwerwiegend. "Den Ärzten ist es gelungen, den Zustand zu stabilisieren", sagte Kalinák. "Wir können nicht sagen, dass der Ausblick positiv ist", sagte er und klang damit doch pessimistischer als Taraba in der Nacht. Wenig später berichtete der designierte Präsident Peter Pellegrini, im Krankenhaus mit Fico gesprochen zu haben.

Wer steckt dahinter?

Nach Angaben von Innenminister Eštok handelt es sich beim mutmaßlichen Täter um einen 71-Jährigen aus der Kleinstadt Levice, der seinem Sohn zufolge im Besitz eines Waffenscheins ist. Nach Informationen des TV-Senders TA3 war er Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdiensts. Er soll auch politisch aktiv und als Schriftsteller tätig gewesen sein. Über seine literarischen Arbeiten ist allerdings wenig bekannt. Er hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht und einen Literaturklub gegründet, der seine Mitgliedschaft mittlerweile aufgekündigt hat.

Aktuality berichtet unter Berufung auf Fotos aus dem Jahr 2016 von Kontakten zwischen dem mutmaßlichen Täter und der prorussischen, paramilitärischen Organisation Slovenski Branci, die 2022 aufgelöst wurde. Verteidigungsminister Kaliňák bestätigte das Treffen aus dem Jahr 2016, sagte aber, der mutmaßliche Täter habe die Organisation dazu aufgefordert, keine Waffen zu verwenden. Er sei ein Pazifist gewesen, der sich in den vergangenen acht Jahren radikalisiert habe und auch an Protesten gegen die Regierung teilgenommen habe. Innenminister Eštok zufolge ist der mutmaßliche Täter derzeit nicht Mitglied in einer radikalen Bewegung, er habe allein gehandelt. Einem Bericht des Portals Tvnoviny zufolge beschuldigt die Polizei ihn des versuchten Mordes.

Der mutmaßliche Schütze bei der Festnahme.
AFP/RTVS/-

Was ist das Motiv?

Laut Aussagen von Innenminister Eštok wird von einem politischen Hintergrund ausgegangen, er sprach von einem "politisch motivierten Attentatsversuch". In diese Richtung deutet auch ein Video, das offenbar auf der Polizeistation aufgenommen wurde. Am Mittwochabend kursierte es in sozialen Netzwerken, es wurde dem Sender TA3 und anderen Medien zugespielt. Darin sagt der mutmaßliche Schütze: "Ich bin mit der Politik der Regierung nicht einverstanden. Die Massenmedien werden liquidiert. Warum wird RTVS angegriffen? Richter Mazak (ehemaliger Vorsitzender des Justizrats, Anm.), warum ist er von seinem Posten entlassen worden?" Wie genau das Video seinen Weg an die Öffentlichkeit fand, ist unklar.

In welchem Zusammenhang stehen die Äußerungen?

Die linkspopulistische Regierung plant tatsächlich die Auflösung des öffentlich-rechtlichen slowakischen Rundfunks RTVS, sie kritisierte ihn wiederholt als einseitig und regierungsfeindlich. Die Opposition sorgt sich um die Medienfreiheit im Land und wirft der Regierung vor, einen Propagandasender zu planen. Am Mittwoch hatte im Abgeordnetenhaus eine Debatte über die formelle Auflösung von RTVS begonnen, die Abstimmung in erster Lesung war für Donnerstagabend angesetzt. Noch am Mittwochabend war zudem eine erneute Demonstration gegen das Vorhaben der Regierung geplant gewesen. Beides wurde nach dem Attentat auf Fico abgesagt.

Das Video passt in die schon zuvor von Fico-Unterstützern bzw. Regierungspartnern geäußerten Vorwürfe, der Opposition die Schuld an dem Attentat zu geben. Noch während der Parlamentsdebatte in Bratislava, die sich bereits der Medienpolitik der Regierung widmete, machte ein Abgeordneter von Ficos Partei Smer die liberale Opposition für das Attentat verantwortlich. Andrej Danko wiederum, Chef der mitregierenden rechten SNS, arbeitete sich an den Medien ab: Laut Angaben des regierungskritischen Onlinemediums Denník N bezeichnete er dessen Journalisten als "Schweine". Danko habe außerdem gesagt, es habe nun ein "politischer Krieg begonnen".

Drohung gegen Tusk

Auch Ficos polnischer Amtskollege, Ministerpräsident Donald Tusk, sprach davon, bedroht worden zu sein. Tusk sagte am Donnerstag, dass er nach dem Attentat auf Fico Drohungen erhalten habe und dass sein Sicherheitsschutz verstärkt werde. "Gestern gab es viel davon", sagte Tusk in einem Beitrag auf der Nachrichtenplattform X. In seinem Beitrag veröffentlichte er den Screenshot eines Kommentars, der ebenfalls auf X zu sehen war: "Heute haben uns die Slowaken ein Beispiel dafür gegeben, was man mit Donald Tusk machen sollte", sollte er beschließen, die Investition in einen großen Flughafen in Zentralpolen nicht durchzuführen. (Noura Maan, Gerald Schubert, red, Reuters, 16.5.2024)