Thermometer vor strahlender Sonne
Im Sommer 2023 stieg die Säule im Thermometer auch in Europa stellenweise auf nie dagewesene Werte.
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Gab es im Juli 2023 den heißesten Tag der vergangenen 100.000 Jahre? Diese Aussage fand sich im Herbst in einem Bericht von Fachleuten, zu denen auch Johan Rockström gehörte, der Direktor des renommierten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Mitunter war sogar von 125.000 Jahren die Rede. Der deutsche Geograf Jan Esper von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz war vorsichtiger: "So etwas ist nicht besonders exakt", kritisierte er bei einer Pressekonferenz. "Wir haben keine Daten, um einen einzelnen Tag in einen solchen Kontext zu stellen."

Nichtsdestoweniger ist klar, dass der vergangene Sommer viele Rekorde gebrochen hat. Das zeigt Esper selbst nun mit zwei Kollegen im Fachjournal Nature. Sie kombinierten Daten von Temperaturmessungen mit Baumringen und kamen zum Schluss: Der Sommer 2023 war zumindest der heißeste Sommer der vergangenen 2000 Jahre. Dies umfasst nicht den gesamten Globus, sondern die Nordhalbkugel, die Tropen ausgenommen. Nur dort fanden sich ausreichend Temperaturdaten ab dem Jahr 1 unserer Zeitrechnung.

Grafik zur Temperaturabweichung ab dem Jahr 1.
Im Vergleich zu den vergangenen 2000 Jahren waren die Sommer zuletzt besonders heiß. Die grauen Bereiche weisen den Unsicherheitsbereich aus.
Esper et al. Nature 2024

In der nördlichen Hälfte der Erde war der Sommer 2023 demnach um mehr als zwei Grad Celsius wärmer als im vorindustriellen Durchschnitt 1850 bis 1900. Das ist neu: Laut dem EU-Klimawandeldienst Copernicus war dieser Sommer nur um 1,5 Grad wärmer im Vergleich zum vorindustriellen Mittel. Esper, der auch an der tschechischen Akademie der Wissenschaften forscht, fand jedoch mit seinem Team heraus, dass es damals um ein paar Zehntel Grad kühler war als angenommen.

Zehnmal schnellerer Anstieg

Die Erhitzung liegt vor allem an Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid, die die Industrie ausstößt. Zwar veränderte sich die Konzentration der Gase in der Luft im Laufe der Erdgeschichte immer wieder, doch das derzeitige Tempo ist enorm. Das Ausmaß beziffert eine weitere kürzlich veröffentlichte Studie: In den vergangenen 50.000 Jahren ist der CO2-Gehalt in der Atmosphäre noch nie so schnell angestiegen wie jetzt, schreiben Kathleen Wendt von der Oregon State University in den USA und ihr Team im Fachblatt PNAS.

Der CO2-Anstieg der vergangenen Jahrzehnte ist sogar zehnmal schneller als zu jedem anderen Zeitpunkt dieser 50.000 Jahre. Rekonstruiert hat das Forschungsteam diese Zahlen anhand von Eisbohrkernen in der Antarktis: Diese geben mit eingeschlossenen Luftbläschen Aufschluss über frühere Gaskonzentrationen in der Luft.

Eine Scheibe aus einem Eiskern mit vielen Luftblasen im ansonsten klaren Eis.
In Eiskernen sind Luftblasen eingeschlossen, die zeigen, wie hoch der CO2-Gehalt in der Luft vor Jahrtausenden war.
Katherine Stelling, Oregon State University

Das Team stellte fest, dass Phasen mit sprunghaft angestiegenen CO2-Werten meist mit Kälteperioden im Nordatlantik zusammenfielen, die man Heinrich-Ereignisse nennt – nach dem deutschen Klimatologen Hartmut Heinrich. Wendt und ihre Gruppe vermuten, dass sie von einem dramatischen Zusammenbruch des nordamerikanischen Eisschildes ausgehen. Eine Kettenreaktion sorge dann für veränderte Winde und Strömungen, die dazu führen, dass große Mengen CO2 aus den Tiefen der Ozeane emporkommen.

Die Ergebnisse der Studie liefern allerdings nicht so genaue Klimadaten wie die Jahresringe tausender Bäume, die in Espers Studie genutzt wurden und die Klimaforscherinnen und -forscher seit Jahrzehnten zusammentragen. Am Wachstum der Bäume können sie – auf die Saison eines Jahres genau – auf die Temperaturen schließen. Genutzt wurden Daten von teils mehrere Hundert Jahre alten Bäumen, lebend und tot. Dank der Jahresringe können Fachleute auch weiter in die Vergangenheit blicken, als es andere Messungen zulassen – und zwar ohne die Unsicherheiten, die manche frühen Messinstrumente mit sich brachten.

Forscher bearbeitet einen Baum.
Dendrochronologe Ulf Büntgen von der Universität Cambridge bei der Arbeit. Er war mit Torbenson und Esper an der Temperaturstudie beteiligt.
Ulf Büntgen

Vor dem industriellen Zeitalter sticht laut der Studie das Jahr 246 als jenes mit dem wärmsten Sommer hervor. Damals steckte das Römische Imperium gerade in einer Reichskrise, es folgte die Zeit großer Christenverfolgungen. Heutzutage sind die Sommer vergleichsweise heißer: "Von den vergangenen 28 Jahren übertreffen 25 die Temperaturen des Jahres 246", sagt Studienautor Max Torbenson.

Der kälteste Sommer der vergangenen 2000 Jahre lässt sich übrigens auf 536 datieren. Diese "kleine Eiszeit" lässt sich wie die meisten der kühlen Perioden auf Vulkanausbrüche zurückführen, eine weitere folgte 1816. Das sogenannte "Jahr ohne Sommer" wurde durch die Asche des indonesischen Vulkans Tambora verursacht, die in der Atmosphäre eintreffende Sonnenstrahlen zurück ins All reflektierte. Im kältesten Sommer 536 lagen die Temperaturen um fast vier Grad niedriger als 2023. "Wenn man den Lauf der Geschichte betrachtet, erkennt man, wie dramatisch die jüngste globale Erwärmung ist", sagt Studienautor Ulf Büntgen von der Universität Cambridge in Großbritannien.

Ältere Menschen besonders gefährdet

Mit den 2,07 Grad, die der Sommer 2023 über dem Mittelwert der Monate Juni bis August 1850 bis 1900 lag, wäre der Schwellenwert des Pariser Abkommens für die Nordhalbkugel bereits übertroffen, heißt es in einer Aussendung der Universität Cambridge. Immerhin soll die globale Erhitzung unter zwei Grad, besser noch unter 1,5 Grad gehalten werden. Allerdings gilt dies für die meisten Fachleute nicht punktuell, sondern über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg.

Der Heizeffekt der Treibhausgase wird verstärkt durch das aktuell wirksame Wetter- und Klimaphänomen El Niño. Es verändert Luft- und Meeresströmungen und sorgt auf der Nordhalbkugel meist für wärmere Sommer. In den Holzdaten lässt es sich im typischen Rhythmus – alle zwei bis acht Jahre – nachverfolgen. Wenngleich der El-Niño-Effekt abklingt, könnte er noch dafür sorgen, dass der Sommer 2024 bisherige Rekorde nochmals bricht.

Durch den rasanten CO2-Anstieg und die folgenden Klimaveränderungen ist es schwierig für Pflanzen, Tiere und andere Organismen, sich an die Veränderungen in ihrem Lebensraum anzupassen. Insbesondere gilt das aber für den Menschen: Gesellschaften auf der ganzen Erde kämpfen mit den Folgen der Klimakrise.

Das betrifft vor allem vulnerable Gruppen, etwa ältere Personen. Das Problem wird immer größer, wie eine gleichzeitig erschienene neue Studie des renommierten Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) im niederösterreichischen Laxenburg zeigt. Die extreme Hitzebelastung bis 2050 wird viel mehr alte Menschen betreffen als heute, schreibt das Team um Klimaökonom Giacomo Falchetta im Journal Nature Communications.

Mehr Menschen, mehr Hitzetage

Es gibt dann jährlich nicht nur doppelt so viele Menschen über 60 Jahre (zwei Milliarden), sondern auch doppelt so viele Hitzetage mit 37,5 Grad und mehr (20 statt zehn im globalen Durchschnitt). Am stärksten betrifft das die Kontinente Asien und Afrika, die die geringsten Möglichkeiten zur Anpassung an dieses Problem haben dürften. Europa wird ebenfalls betroffen sein, die Gesundheits- und Sozialsysteme werden belastet.

Zum Handeln drängt auch die Klimaklage im vergangenen April auf Anstoß von Schweizer Seniorinnen: Der Gerichtshof für Menschenrechte stellte fest, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist und die Bevölkerung vor den Folgen der Klimakrise geschützt werden muss.

"Es ist wahr, dass sich das Klima schon immer verändert hat", sagt Jan Esper. Doch die CO2-Belastung und El Niños verstärkender Effekt sorgen kombiniert für längere und schwerwiegendere Hitzewellen und Dürren. "Wenn man das Gesamtbild betrachtet, wird deutlich, wie dringend es ist, dass wir die Treibhausgasemissionen sofort reduzieren." (Julia Sica, 14.5.2024)