Ein Boeing-Mitarbeiter geht vorbei an einer Boeing 737 Max-9
Ein Boeing-Mitarbeiter geht im Werk in Renton, USA, an einer Boeing 737 Max-9 vorbei (Archivbild von 2017).
REUTERS/Jason Redmond

Erst am vergangenen Donnerstag geriet ein Boeing-Flugzeug wieder einmal in die Schlagzeilen. Eine Boeing 737 musste kurz nach dem Start in Frankfurt umkehren – gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Auch allgemein ruckelt und rumpelt es im US-Konzern. Der Flugzeugbauer kann nach Angaben des US-Justizministeriums für zwei tödliche Abstürze von 737-Max-Maschinen vor rund fünf Jahren strafrechtlich verfolgt werden. Das Unternehmen habe gegen Verpflichtungen aus einer Vereinbarung verstoßen, die Boeing vor einer strafrechtlichen Verfolgung der Abstürze bewahrt habe, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums vom Dienstag. Bei den Abstürzen Ende 2018 und Anfang 2019 waren insgesamt 346 Menschen ums Leben gekommen.

Die Produktion der absatzstarken Flugzeugfamilie 737 Max muss Boeing seit Monaten deckeln: Die US-Luftfahrtbehörde FAA verpflichtet Boeing wegen anhaltender Qualitätsprobleme, im Monat nicht mehr als 38 Stück davon zu bauen. Für Boeing und seinen europäischen Rivalen Airbus hat der Erfolg sogenannter Schmalrumpfflugzeuge mit nur einem Kabinengang zentrale Bedeutung. Hier fliegt die A320-Familie von Airbus gegen die Boeing-737-Familie um die Gunst der Airlines.

Allerdings: Airbus machte in den vergangenen beiden Jahren bereits 60 Prozent des Geschäfts, wie eine neue Studie der Münchner Unternehmensberatung H&Z zeigt, die dem STANDARD vorliegt. Die Studie untersucht auch die Erholung der Luftfahrt nach der Pandemie. "Ich hätte 2020 nicht mit so einer schnellen Erholung des Marktes gerechnet", sagt H&Z-Analyst Michael Santo. Wobei Airbus, auch dank staatlicher Hilfsprogramme, deutlich besser aus der Krise gekommen sei als der US-Konzern Boeing.

Neue Pannen

Um Boeings schlechte Lage zu verstehen, muss man kurz in die jüngere Vergangenheit blicken. Am 5. Jänner löste sich ein Teil im Rumpf einer Boeing 737-9 Max der US-Fluglinie Alaska Airlines. Laut Experten hätten Insassen bei größerer Flughöhe aus der Maschine gesaugt werden können. Hätte das verlorene Teil das Ruder oder die senkrechten Stabilisatoren am Heck getroffen, wäre ein Absturz nicht auszuschließen gewesen, berichtete CNN.

Nachdem 2018 und 2019 in Indonesien und Äthiopien zwei Boeings des Typs 737 Max 8 abgestürzt waren, litt die Reputation des US-Flugzeugbauers erheblich. Heuer wollte Boeing eigentlich zu alter Stärke zurückfinden. Die Turbulenzen der Alaska-Airlines-Maschine und weitere Pannen bremsen aber den Optimismus der Amerikaner.

Eine Grafik, die die Produktion kleinerer Flugzeuge von Boeing und Airbus seit dem Jahr 2000 zeigt
Im Jahr 2023 lieferte Airbus rund 60 Prozent aller Schmalrumpfflieger aus – Tendenz steigend.
DER STANDARD

Airbus stark gefragt

Luftfahrtexperte Santo sieht in Airbus und Boeing zwei marktbeherrschende Flugzeugbauer, die sich beim Absatz von Schmalrumpffliegern lange auf Augenhöhe trafen. "Nun haben wir ein Szenario, in dem Airbus mittlerweile zwei Drittel dieses Geschäfts macht", sagt er. Wenn man die Stimmung im Markt, also bei den Fluglinien, betrachte, könnte Airbus im Bereich der Schmalrumpfflugzeuge "auf 70 oder 75 Prozent Marktanteil" wachsen.

Airbus baue nur deshalb nicht noch mehr Flugzeuge für die Mittelstrecke, weil der Konzern schlicht nicht mehr produzieren könne. Die Lieferzeit für bestellte Schmalrumpfflugzeuge betrage allgemein fünf bis acht Jahre, und die Produktion von Airbus sei auf Jahre ausverkauft, sagt Santo. Ein baldiger Produktionsausbau scheitere vor allem daran, dass eine lange Liste von Airbus-Zulieferern ihre Produktion "analog dazu hochfahren müsste".

Pandemietief überwunden

2019, im bisher umsatzstärksten Jahr der Luftfahrtgeschichte, verzeichnete der Internationale Luftverkehrsverband (IATA) knapp 47 Millionen Flüge. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl nach der Corona-Delle wieder auf fast 38 Millionen. Der Trend wird sich fortsetzen, wie die guten Daten der Fluggesellschaften aus dem vierten Quartal 2023 zeigen.

Hinweis: Dieser Podcast wurde Anfang April 2024 aufgenommen und erklärt die Hintergründe zum Boeing-Skandal

Die Berechnungen der H&Z-Studie zeigen, dass die Nachfrage für Flüge in Schmalrumpfflugzeugen heuer jene von 2019 bereits übertreffen wird. Der Markt für Großraumflugzeuge habe sich hingegen noch nicht von den Pandemiejahren erholt. Im Jahr 2023 lieferten Boeing und Airbus zusammen 228 große Flugzeuge aus; im Jahr 2019 waren es noch 426. Der Hauptgrund ist laut H&Z, dass Inlandsflüge stärker angezogen hätten als Fernflüge. Auch dass Firmen ihre Mitarbeiter weniger Geschäftsreisen machen ließen, trage zur flauen Auftragslage im Dreamliner-Segment bei.

Bei Großraumflugzeugen performt Boeing jedenfalls stärker als bei kleineren Maschinen. Die Triple Seven werde im Jahr 2025 das gleiche Produktionslevel wie vor Covid erreichen, und auch die Auslieferungen der Boeing 787 würden kontinuierlich zunehmen, hält H&Z hier für ein realistisches Szenario.

Folgen für Passagiere

Wird Boeing in der zivilen Luftfahrt aber wieder zu Airbus aufschließen können? "Nur mit einer ganz aktiven Flucht nach vorn", prognostiziert Santo. Der US-Konzern brauche nun wieder "absolutes Vertrauen der Kunden in seine Produkte". Notwendig dafür sei eine "Null-Fehler-Kultur", kombiniert mit "ein oder zwei neuen Produkten, die im Flugzeugbau ein neues Level darstellen". Das klingt nicht einfach.

Tatsache ist, dass recht kurz nach der Pandemie die Nachfrage nach Flugzeugen bereits größer als das Angebot ist. Airbus kommt den Anfragen nicht hinterher, die Produktion von Boeing ist behördlich gedeckelt. Und Chinas Luftfahrtkonzern Comac wird vorerst nur den chinesischen Markt und einzelne Nachbarländer bedienen können. In Europa übertrifft die Reiselust das vorhandene Fluggerät. "Der Endverbraucher wird in den nächsten Jahren mit steigenden Preisen konfrontiert sein", sagt Santo mit Blick auf Flugtickets. (Lukas Kapeller, APA, 15.5.2024)