Gudenus und Strache
Im Jahr 2019 veröffentlichten das deutsche Magazin "Spiegel" und die "Süddeutsche Tageszeitung" ein ihnen zugespieltes Video, das den damaligen FPÖ-Chef Strache (Mitte) und den Wiener Vizebürgermeister Gudenus (links) bei einem Treffen mit einer angeblichen russischen Investorin auf Ibiza zeigt.
Screenshot: Spiegel/Sueddeutsche Zeitung,

Also sprach Alexander Van der Bellen das geflügelte Wort: "So sind wir nicht! So ist Österreich einfach nicht!" Es war die Reaktion des Bundespräsidenten in einer "Rede an die Nation" am 21. 5. 2019 auf das kurz vorher, am 17. Mai, veröffentlichte sogenannte "Ibiza-Video" und seine politischen Folgen. Es war eine Behauptung und eine Hoffnung zugleich.

Die Bedeutung von "Ibiza" liegt darin, dass der Skandal in eine neue Phase der Politik in Österreich platzte, von der sich viele etwas versprachen. Es war ein "rechtskonservativer Aufbruch", den da der junge Kanzler Sebastian Kurz 2017 mit der FPÖ versuchte. Es hatte Anzeichen von Erlöserverehrung, wenn sich Kurz in der Stadthalle von himmlischen Strahlen erleuchten ließ. Und die FPÖ hatte eine zweite Chance (nach Schüssel/Haider in den Jahren 2000 bis 2006), um zu beweisen, dass sie regieren kann. Dann kam 2019 "Ibiza".

Ernüchterndes Fazit

Wie sieht die Sache fünf Jahre später aus? Hat sich die Aussage des Präsidenten bewahrheitet? Oder wurde sie falsifiziert? Und vor allem: Hatte die Affäre längerfristige Auswirkungen auf den Zustand Österreichs, und, wenn ja, welche?

Es ist ein wenig ernüchternd. Eine der Lehren aus "Ibiza" scheint zu sein: Es gibt in Österreich ein stabiles Wählersegment für rechtspopulistische Parteien von 25 bis 30 Prozent, das längerfristig auch durch Skandale nicht zu erschüttern ist. Die Strache-FPÖ hatte 2017 26 Prozent, fiel unter Hofer nach Ibiza 2029 auf 16,2 Prozent und hält heute unter Kickl bei rund 30 Prozent. Sie wird bei den Wahlen im September wohl Nummer eins sein.

Eine zweite mögliche Lehre: Ein nicht zu kleiner Teil der konservativen Wählerschaft lässt sich immer wieder durch jugendliche Blender verführen. Zuletzt Sebastian Kurz, vorher Karl-Heinz Grasser und Jörg Haider. Wenn diese enttäuschen, entsteht noch mehr Entfremdung von der "üblichen Politik" als ohnehin schon vorhanden. Bis zu einer ausgesprochenen Demokratiegefährdung.

Wähler suchen "Neues"

Drittens: Ein Teil der enttäuschten Wähler sucht immer wieder nach "etwas Neuem". Nach irgendetwas anderem als der "etablierten Politik". Derzeit sind das die "Bierpartei" des Dominik Wlazny ("Marco Pogo") und die KPÖ. Ohne dass man viel über ihre Substanz weiß. Aber Obacht: Auch die Grünen waren einmal etwas völlig Neues, Ungewöhnliches. Als sie von Sebastian Kurz nach "Ibiza" in die Regierung geholt wurden, galt das als Aufbruch. Heute macht sich Enttäuschung breit (oft zu Unrecht). Die Erwartungen an das "Neue" sind oft zu überzogen.

Viertens: Die "normale", alltägliche, handwerklich solide Politik des Interessenausgleichs, der stinknormalen Problembewältigung kommt unter die Räder – in fast allen Parteien. Das liegt einerseits daran, dass die Vielzahl der Krisen – Krieg, Pandemie, Klimawandel – überdurchschnittlich exzellentes Personal verlangen würde; andererseits daran, dass die Erwartungen unrealistisch sind.

Fünftens: Das politische Österreich hat offenbar noch immer keinen Ausweg aus den Irrungen von "Ibiza" und den Folgen gefunden: eine halbwegs korruptionsfreie, halbwegs PR-Schmäh-freie, halbwegs konsensuale, halbwegs zukunftsfitte Krisenbewältigung zu finden.

Machtfantasien und dreckige Zehennägel

Aber wie hat das alles begonnen? Stichwort "Ibiza"-Video: Im Jahr 2017 hatten sich einige Personen in einer Finca auf Ibiza versammelt. Es waren der damalige FPÖ-Obmann H.-C Strache, sein damaliger Vertrauter Johann Gudenus, dessen Frau Tajana sowie eine junge, attraktive angebliche "russische Oligarchennichte" sowie deren Begleiter, der damalige "Sicherheitsexperte" Julian Hessenthaler. Letzterer nahm heimlich stundenlang Material auf. Im Zuge einer Wodka-Red-Bull-Nacht ergaben sich zahlreiche unvergessliche Szenen ("Bist du deppert, is’ die schoaf" – "Aber sie hat dreckige Zehennägel"), aber vor allem Machtrauschfantasien der beiden FPÖ-Politiker, die mithilfe der angeblichen Oligarchennichte die Medien Österreichs und das Land überhaupt einkassieren wollten. Strache stand da als ein bramarbasierender Möchtegern.

2019 jedoch flog durch ein Investigativteam der Süddeutschen der Fall auf. Strache, inzwischen Vizekanzler einer türkis-blauen Koalition unter Kanzler Sebastian Kurz, musste zurücktreten.

Kanzler Sebastian Kurz wollte die Koalition mit der FPÖ an sich fortsetzen, bestand aber auf dem Abgang von Innenminister Herbert Kickl, dessen Wüten im (schwarz dominierten) Verfassungsschutz selbst ihm unheimlich geworden war. Er verrechnete sich: Die FPÖ sprang ab. Kurz wollte weitermachen, aber eine parlamentarische Mehrheit aus SPÖ (Rendi-Wagner), FPÖ und Liste Pilz stürzte ihn im ersten erfolgreichen Misstrauensantrag der Zweiten Republik. Darauf folgte gleich die erste Expertenregierung der Republik unter Brigitte Bierlein. Bei den Wahlen im Herbst holte Kurz 37,5 Prozent und die Grünen in die Regierung ("das Beste aus beiden Welten").

Fehleinschätzungen

Aber die Methoden des "Systems Kurz", seiner Machtpolitik, aber auch die Inkompetenz begannen sichtbar zu werden. Es gab die Chats des engen Vertrauten Thomas Schmid, es gab aber auch die Fehleinschätzungen beim Bewältigen der 2020 ausgebrochenen Corona-Krise. Im Herbst 2021 setzte Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler eine mutige politische Tat. Er zwang mit der Drohung des Koalitionsbruchs Kurz zum Rücktritt.

Seither hat sich die Nachfolgeregierung angesichts der Probleme nicht ganz schlecht, aber auch nicht wirklich überzeugend geschlagen. Ein Beispiel: Österreich ist noch immer viel zu sehr von russischem Gas abhängig.

Die ÖVP sucht ihr Heil in pseudopopulistischen Aktionen, die auf die Kurz-Hinterlassenschaften im Beraterstab zurückgehen dürften. Die SPÖ hat mühsam einen neuen Vorsitzenden gefunden, der nur einen gewissen Wählerkreis anspricht. Die Neos stagnieren bei zehn Prozent. Die Grünen sind angeschlagen.

FPÖ-Skandale schaden nicht?

Nur die FPÖ floriert – und radikalisiert sich. Die Skandale scheinen ihr nicht zu schaden. Die vergangenen Monate waren beherrscht von den Enthüllungen über den Anschlag des seinerzeitigen Innenministers Herbert Kickl auf den Verfassungsschutz; über die Rolle, die dabei Russland- und FPÖ-nahe Agenten spielten; über die überaus bedenkliche Russland-Connection der FPÖ überhaupt; und über "kleinere" FPÖ-Skandale auf Bundesländerebene: Finanzmachinationen in Graz, absurde Subventionszusagen an rechtsextreme Corona-Leugner in Niederösterreich. Es gibt leise Anzeichen, dass Kickl seine "Volksverräter"-, "Fahndungslisten"-, "EU-Irrsinn"-, "Impfwahnsinn"-Radikalisierung zu weit treibt. Aber das wahre Problem ist die Schwäche der anderen.

Sind wir so? Reagieren wir auf eindeutige Schwächen der "herkömmlichen Politik" mit einer Hinwendung zum autoritären Rechtspopulismus, dem wir alles durchgehen lassen? Auch eine Wende zum Rechtsextremismus? Die alles entscheidende Frage ist, ob die Wähler die Radikalisierung der Kickl-FPÖ begreifen. Kickl lässt keinen Zweifel mehr, dass er "das System", die liberale Demokratie, durch ein anderes, ein autoritäres, an Putin, Orbán und der AfD in Deutschland orientiertes, ersetzen möchte.

Sind wir so – so klug, dass wir das erkennen?

Dass wir keine großartigen Umstürze brauchen, kein "Durchputzen" Österreichs "bis zum letzten Winkel", auch keinen dummen "Hausverstand". Sondern eine gescheite, moderne Politik, die sich auf die alten Tugenden besinnt, die Nachkriegsösterreich erfolgreich gemacht haben: Zusammenarbeit, wo notwendig, aber keine Kumpanei. Kraftvoll in der Sache, aber moderat in der Form. Vor allem kein Glaube an autoritäre "Lösungen", sondern demokratisch offen. Normale demokratische Politik eben. (Hans Rauscher, 13.5.2024)