Miranda July
"Auf allen vieren wirft einen so leicht nichts um": Miranda July, in Jeansjacke heizt uns mit ihrem neuen Roman ordentlich ein, ihre Protagonistin hingegen erwischt es kalt: "Es traf mich wie ein nächtlicher Schlag gegen den Kopf, weil ich zu alt für ihn war."
Kiepenheuer & Witsch/Weinberg

Ich will Sie ja nicht beunruhigen", so beginnt Miranda July ihren neuen Roman. Das ist wirklich ein unschlagbarer Einstieg. So übrigens lautet Satz zwei. In der englischen Originalfassung, die zeitgleich am 14. Mai erscheint (Weltpremiere!), geht das so: "Sorry to trouble you!" Sie hätte auch schreiben können: "Sorry to bother you!" Aber July (gesprochen Julie) hat sich ganz bewusst für "trouble" entschieden, das erläutert die US-amerikanische Autorin, Filmemacherin und Künstlerin mit ihren schönen, wässrig blauen Augen und im grünen Hoodie schon im März auf ihrem Insta-Account. Nicht zu Unrecht: Denn diese gleichermaßen rasende wie rasend komische Geschichte, die zugleich unglaublich, dabei ganz wahrhaftig ist, beschert uns Beunruhigungen – in so vielen Hinsichten und auch sexuell-erotischer Natur. Also auf die Knie, willkommen Auf allen vieren.

Der ganz normale Wahnsinn

Wer die, man kann ruhig sagen kann, popikonische Miranda July schon kennt, etwa als Regisseurin des Kultfilms Me and You and Everyone We Know (2006) oder als Autorin ihres Debütromans Mein erster fieser Typ (von 2015, im Original The First Bad Man), hat sich schon freuen können auf ihren zweiten Roman. Ich kann nur sagen, ich bin sowas von nicht enttäuscht worden. Allein schon der Titel. Besser geht’s nicht. Er passt so perfekt zu diesem unendlich wilden Ritt einer mittelalten Frau, zuerst einmal durch all ihre äußeren Lebensumstände und dann ihr gesamtes innersten Innenleben.

Dass es dabei irgendwann um perimenopausale (für alle, die es nicht wissen: Perimenopause ist der Zeitraum der hormonellen Umstellung vor der letzten Regelblutung) Verfasstheiten geht, das bemerkt selbst eine Ü50-Leserin erst sehr spät, vorher geht es um den ganz normalen Wahnsinn im Leben, um Ehe und Elternschaft, um Freundinnenschaft, ein Ausbrechen aus dem Alltag und erst dann um jede Menge wildes, unbändiges Begehren.

Sexy und zutiefst feministisch

Vorneweg und bevor es hier richtig zur Sache geht: Julys Roman ist nicht nur aufregend und sexy, er ist zutiefst feministisch. Deren leicht neurotisch und überspannt wirkende Protagonistin, die zwar den Roman über ohne Namen bleibt, aber zum Beispiel gut Miranda heißen könnte, bringt Dinge immerzu klug auf den Punkt: "Ohne Kind", bemerkt sie, bevor sie sich auf ihre abenteuerliche Reise weg von der Kleinfamilie in Richtung radikaler Selbstbestimmung begibt, "konnte ich tänzelnd über den Sexismus meiner Ära hinwegsehen, aber das Mutterwerden stieß mich mit der Nase mittenrein."

Stellen Sie sich Miranda Julys Buch einfach wie ein Gespräch mit ihrer besten Freundin vor, nur tausendmal intimer und viel, viel verrückter und schonungslos offen. Als ich neulich nach ersten Reaktionen auf dieses Buch gegoogelt habe, steht da tatsächlich Zeug wie "Thank God for Miranda July", aber ganz ehrlich, beim Lesen bekommt man genau solche Gefühle. Man möchte das alles sofort seinen allerbesten Freundinnen erzählen, und nur die Tatsache, dass man ausgerechnet diese Frauen, die man so mag, nicht um ein solches Lesevergnügen bringen will, hält einen davon ab. Auf allen vieren liest sich nämlich so, dass man unangenehm angenehm berührt ist, wenn bei der Lektüre jemand im selben Zimmer ist, zumindest an den Stellen, an denen einem July ordentlich einheizt. Und das kann sie, sehr gut sogar. Sie werden es schon lesen.

Aber kurz – und endlich – zum Plot, der so abgefahren ist, dass frau sich fragt, ob man so etwas überhaupt erfinden kann. Zumal sich die ganze Geschichte um eine in L.A. lebende, laut Klappentext "mittelmäßig berühmte" Künstlerin dreht, die sich selbst zum 45. Geburtstag einen Trip nach New York schenkt, aber dorthin nicht fliegt, sondern – einem Roadtrip viel zuträglicher – fahren will. Die gar nicht mehr ganz so mittelmäßig berühmte Künstlerin Miranda July, zurzeit läuft eine ihrer Soloshows noch bis August in der Prada Foundation in Mailand, formuliert es am Beginn von Kapitel zwei, als ihre Heldin wieder zu Hause bei Mann und Kind ist und zumindest der erste Teil des Irrsinns vorbei ist, so: "Niemand käme drauf, dass ich mich, statt für zweieinhalb Wochen nach New York zu fahren, keine dreißig Autominuten entfernt mit einem jungen Hertz-Mitarbeiter verkrochen hatte." Und zwar in einem Motelzimmer (Nummer 321), das sie für die absurde Summe von 20.000 Dollar, die sie für den Verkauf eines einzigen Satzes für eine Werbekampagne verdient hatte, innenarchitektonisch so aufpimpen lässt, dass es in etwa so aussieht wie die Suite des Pariser Luxushotels Le Bristol, in der unsere ästhetisch sehr versierte Protagonistin beruflich einmal zu Gast war. Sie baut dieses Motelzimmer um – wie später ihr ganzes Leben.

Album Cover
Miranda July, "Auf allen vieren". € 25,70 / 407 Seiten. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Kiwi-Verlag, 2024. Erscheint am 14. Mai
Kiepenheuer & Witsch

Miranda sagt nur: Waschbrettbauch

Doch zurück zu Kapitel eins, Sie haben richtig gelesen: Hertz-Mitarbeiter! Miranda July sagt nur: Waschbrettbauch. "Es hatte mich kalt erwischt, sein Körper hatte sich angeschlichen ... Im Begehren von Davey verstand sie augenblicklich die gesamte Klassische Kunst." Ich stelle mir Davey beim Lesen ein bisschen so vor wie Brad Pitt damals (Cowboyhut, Jeans, Jeansjacke und sehr viel jünger als heute) im Film Thelma und Louise. Vielleicht haben Sie den auch gesehen und erinnern sich an die unanständigen Hüftbewegungen, die er an einer Stelle macht? Sie sehen, ich lenke ab, denn beim Schreiben dieser Zeilen tut es mir fast weh, zu viel oder nur noch irgendetwas dieser Geschichte zu spoilern, einfach weil ich möchte, dass Menschen in dieses Buch lesend hineinfallen und eintauchen können, ganz ohne Vorkenntnisse, wie ich es konnte. (Ich bin also an dieser Stelle nicht sauer, wenn Sie einfach weiterblättern oder -scrollen.)

Auf unglaublich skurrile Art und Weise erzählt Miranda July also die Szenen dieser vollkommen verrückten Leidenschaft und schneidet dazu ihr (bisheriges) Leben als Mutter von Sam (im Laufe der Geschichte auch dey oder demm genannt, ja, genau: nonbinär!) und Ehefrau von Harris ("Der Traum von der Ehe mochte ein Trugschluss gewesen sein, aber er war alt und vertraut wie der Weihnachtsmann"), vom Kennenlernen bis hin zu Sams traumatischer Geburt und einem normal chaotischen Familienalltag, quer.

Was also passiert schlussendlich auf diesem Nicht-Roadtrip, nicht nach NYC, sondern bloß in einen Vorort von L.A.? Was machen Julys waghalsige Antiheldin und dieser Davey da? Nichts und alles, würde ich sagen, und stundenlang, ohne dass wirklich etwas passiert. Sie tanzen (siehe Miranda Julys Instagram-Account), schweben, berühren sich. Manche würden sagen, sie spielen. In diesem Zimmer 321 des Excelsior-Motels in Monrovia. Das ist sehr, sehr sexy, und alles so aufschreiben, das kann vielleicht nur Miranda July: "Am liebsten hätte ich seinen ganzen Tag in den Mund gesteckt." Zwei Wochen sexloser Furor (allerdings mit viel Masturbation).

Steil abfallende Kurve

Was verhandelt July da in Auf allen vieren? Liebe, Begehren, (auch lesbischen) Sex, Alltag, Enttäuschungen, Freundschaft, Familie, Frausein, im Detail auch Menstruation und Menopause. Das Wort taucht inklusive Schaubild einer steil abfallenden Östrogenkurve genau in der Mitte des Buchs auf: "Ich starrte auf die Klippe in meinem Handy!" Und Miranda July stellt gemeinsam mit ihrer Protagonistin plötzlich alles infrage, zum Beispiel auch das Bild, das wir alle von älteren Frauen haben ("Die traurige Figur hat es nur in meinem Kopf gegeben"). Es ist also kein Zufall, dass Julys aktuelle Soloshow in der Prada Foundation den Titel New Society trägt. Auch ihr literarisches Werk dreht sich um selbstbestimmte Transformationen, mehr Freiheit, um wanderlustige Seelen, die dem Älterwerden gar nicht entkommen wollen, ihm aber in der Hitze sämtlicher Gefechte alle Verrücktheiten und Schrägheiten dieser Welt entgegensetzen.

Mit diesem Zimmer 321 hat sich Miranda July "einen gottverdammten Mutterleib erschaffen", schreibt sie selbst, einen Ort des Rückzugs aus dem Chaos, einen Hort für Kreativität, wo "ich selbst sein kann". Sie hat sich damit nicht zuletzt auch literarisch ein Denkmal gesetzt und kommt zu dem Schluss, dass dieses Zimmer 321 überall sein könnte. Wie das gehen soll? Ich werde sie fragen, wenn sie im Juni nach Deutschland kommt. Miranda July! Wow! Ein bisschen beunruhigt bin ich. Das ist gut so. (Mia Eidlhuber, 11.5.2024)