Kinder schauen auf Laptops.
Im schlimmsten Fall glauben Betroffene, dass sie sich auskennen, und verzichten auf einen Anwalt, obwohl das eigentlich notwendig wäre.
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Was ist eine "bedingte Haft"? Was bedeutet "Wahrheitspflicht"? Und was genau versteht man unter einer "Gewährleistung"? Junge Menschen, die mit dem Gesetz in Kontakt kommen – sei es in einem Strafverfahren oder beim Abschluss eines Handyvertrags –, sind mit rechtlichen Begriffen mitunter überfordert.

Das Legal Literacy Project hat sich zum Ziel gesetzt, das juristische Grundwissen in der Bevölkerung zu stärken. Die Idee: Junge Juristinnen und Juristen besuchen Schulen, halten dort Vorträge und beantworten Fragen der Schüler. Zu seinem zehnjährigen Bestehen lud der Verein Dienstagabend zu einer Diskussion ans Wiener Juridicum. Praktiker erzählten von ihren Erfahrungen mit mangelnder rechtlicher Grundbildung – und über die Probleme, die damit verbunden sind.

"Falsches Selbstbewusstsein"

Die Fülle an Informationen, die im Internet abrufbar sind – Stichwort ChatGPT –, hat an den juristischen Kenntnissen der Bevölkerung kaum etwas geändert, sagte Bernhard Fink, Vizepräsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (Örak). Fink hat die Erfahrung gemacht, dass Mandanten googeln, sich aber fälschlicherweise nicht über die österreichische, sondern über die deutsche oder die schweizerische Rechtslage informieren.

Ähnliche Probleme sieht Sabine Matejka, Richterin und Vorsteherin des Bezirksgerichts Floridsdorf. "Die Leute lesen Dinge im Internet und kommen dann mit Erwartungen zum Gericht, die nicht erfüllbar sind." Im schlimmsten Fall glauben Betroffene, dass sie sich auskennen, und verzichten auf einen Anwalt, obwohl das eigentlich notwendig wäre. "Falsches Selbstbewusstsein ist eine große Herausforderung im Gerichtsalltag", betonte Matejka. Viele glaubten nach einer Internetrecherche etwa, dass es ein Grundrecht auf Wohnen gebe, und seien dann überrascht, wenn sie von der Stadt Wien ein Kündigungsschreiben bekommen, weil sie ihre Miete nicht bezahlt haben. Anja Oberkofler von der Staatsanwaltschaft Wien pflichtet bei: "Oft fehlt es am Grundwissen um die eigenen Rechte und Pflichten." Gerade für Jugendliche sei eine Rechtsvertretung deshalb essenziell.

Eine Absenkung der Strafmündigkeit auf zwölf lehnten alle Diskutantinnen und Diskutanten ab. Die Grenze liege seit 1929 bei 14 Jahren, und es gebe keine wissenschaftliche Grundlage dafür, dass Kinder und Jugendliche heutzutage früher einsichtsfähig seien als damals, sagte Oberkofler. Matejka ortet in den Vorschlägen für eine Absenkung "schlicht und ergreifend billige Politik". Man versuche, "gesellschaftliche Probleme mit dem Strafrecht zu lösen, aber das gelingt nicht". Es gebe ein soziales Problem, das man nur mit mehr Psychologen, Sozialarbeitern und Betreuungsplätzen lösen könne.

Juristen und "Laien"

"Bei mir gehört es zum Alltag, dass ich mich nicht auskenne", scherzte Nikolaus Forgó, Professor für IT-Recht an der Universität Wien. "In einem Rechtsbereich, in dem sich ständig alles ändert, ist das eben so." Dass sich "Laien" – wie man sie in der juristischen Fachsprache gern nennt – mit Details auskennen müssen, hält er nicht für notwendig. Für zentral hält Forgó dagegen eine grundrechtliche Ausbildung. "Es ist demokratiepolitisch sehr wichtig, dass die Bevölkerung eine Orientierung dafür bekommt, welche Rechte politisch verhandelbar sind und welche nicht."

Cornelia Arnold von der Bildungsdirektion Wien ortet bei Schülerinnen und Schülern eine stärkere Sensibilisierung für rechtliche Themen. "Auch Eltern interessieren sich stärker für die Rechte ihrer Kinder." Sollen die Schulen also mehr rechtliches Wissen vermitteln? Arnold ist grundsätzlich aufgeschlossen, aber es sei "schwierig, was Schulen jetzt schon alles leisten sollen". Es gebe unzählige Bereiche abseits des Rechts, die abgedeckt werden müssten. Für Matejka ist die Rolle der Schulen jedenfalls zentral: "Das ist die einzige Phase, in der wir alle in der Bevölkerung direkt erreichen können. Das sollten wir nutzen."

Aus Sicht von Forgó ist juristische Grundbildung keine Einbahnstraße. Dass der Austausch zwischen Fachleuten und der "normalen" Bevölkerung schwierig sei, liege auch an der Juristenausbildung. Jus-Studierende würden ab dem ersten Uni-Tag zwischen "Juristen" und "Laien" unterscheiden, sagte Forgó. "Wir müssen uns von beiden Seiten aufeinander zubewegen." (Jakob Pflügl, 10.5.2024)