Blick auf Strommasten
Österreichs Stromleitungen sind für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts mit wesentlich mehr Windkraft und Photovoltaik im System nicht ausgelegt. Für den raschen Ausbau zur Bewältigung der Energiewende fehlt bisher noch die legistische Basis.
APA / Eva Manhart

Das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz – kurz EABG – ist noch immer Gegenstand innerkoalitionären Schattenboxens, bei dem bisher noch kein Schlussgong erklungen ist. Vor knapp drei Monaten ist ein Entwurf vom grünen Klimaschutzministerium, das in dieser Materie federführend ist, dem Koalitionspartner ÖVP zugestellt worden. Eine Antwort darauf, wie man zu den einzelnen darin angeführten Punkten steht, ist bisher nicht übermittelt. Für einen Beschluss noch in dieser Legislaturperiode wird es angesichts der Nationalratswahlen im Herbst knapp. Das gilt auch für das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG), bei dem es zwar innerkoalitionär eine Einigung gibt, die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament aber noch aussteht. Auf beide Gesetze wartet die Austrian Power Grid (APG) mit zunehmender Ungeduld.

"Man soll uns unsere Arbeit machen lassen", sagte das Vorstandsduo Gerhard Christiner (Technik) und Thomas Karall (Finanzen) am Mittwoch bei der Präsentation einer Studie über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Milliardeninvestitionsprogramms der APG sinngemäß. Die Verbundtochter, die für das einwandfreie Funktionieren des hochrangigen Stromnetzes in Österreich verantwortlich ist, hat die Schwachstellen im Leitungssystem analysiert. Damit die Energiewende gelingt, müssten im Zeitraum 2024 bis 2033 in Summe neun Milliarden Euro investiert werden, in zusätzliche Umspannwerke, die man sich bildlich gesprochen wie Autobahnauffahrten vorstellen kann, in zusätzliche Leitungen bzw. in die Verstärkung bestehender.

Reserven aufgebraucht

"Bisher haben wir von den Reserven gelebt, die unsere Väter und Urgroßväter vor Jahrzehnten in weiser Voraussicht aufgebaut haben", sagte Christiner. Die Reserven seien in den vergangenen Jahren durch den rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien, hauptsächlich Windkraft und Photovoltaik (PV), sukzessive aufgebraucht worden. Immer häufiger komme es vor, dass, weil es keine Leitungskapazitäten zum Abtransport des erzeugten Wind-, Sonnen- und teilweise auch Wasserkraftstroms mehr gibt, das Wasser über Wehre geleitet, Windräder für gewisse Zeit stillgelegt und PV-Anlagen vom Netz genommen werden müssen, damit es zu keinem Zusammenbruch des Stromsystems komme.

Allein bis Ende April seien Kosten von knapp 30 Millionen Euro für Notfallmaßnahmen (Redispatch) aufgelaufen, im Schnitt der vergangenen fünf Jahre 121 Millionen, 2023 gar 138 Millionen Euro. Kommt es zu Engpässen im Netz, weil an sonnigen und/oder windreichen Tagen zu viel Strom eingespeist wird oder Leitungen ausfallen, müssen Kraftwerke ihre Produktion anpassen. Bei einer absehbar hohen Leitungsbelastung muss durch gezielte Eingriffe und den Einsatz von thermischen Kraftwerken gezielt gegengesteuert werden. Das kostet. Wäre dieses Geld – in Summe 1,2 bis 1,3 Milliarden Euro in den vergangenen zehn Jahren – in den Netzausbau investiert worden statt in Redispatch, verfügte man bereits jetzt über ein deutlich stabileres Stromnetz, und das nachhaltig, sagte Christiner.

90.000 Beschäftigungsverhältnisse

Die erforderlichen Investitionen von rund neun Milliarden Euro, verteilt über zehn Jahre, hätten aber auch positive volkswirtschaftliche Effekte. Wie hoch genau diese sein könnten, hat Christian Helmenstein mit seinem Economica-Institut im Auftrag der APG berechnet. Er kommt auf eine Bruttowertschöpfung von kumuliert 6,6 Milliarden Euro, die sich aus 3,4 Milliarden direkter, 2,4 Milliarden indirekter und knapp 0,7 Milliarden induzierter Wertschöpfung zusammensetzen. Besonders stark würde der heimische Bausektor profitieren, aber auch Hersteller von Metall- und sogar forstwirtschaftlichen Erzeugnisse und Dienstleistungen. Letztere deshalb, weil die APG im Zuge der Umsetzung ihrer Leitungsbaupläne auch Ausgleichsmaßnahmen zur Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts setzen müssten.

Auch für den Arbeitsmarkt wären die neun Milliarden an Investitionen positiv, würden dadurch doch an die 90.000 Beschäftigungsverhältnisse unmittelbar und mittelbar gesamthaft geschaffen. An den Staat würden rund 2,8 Milliarden Euro in Form von Steuern und Abgaben zurückfließen, geht aus der Studie hervor.

Nur wenn der Netzausbau mit dem Zubau erneuerbarer Energien Schritt halte, könne die Energiewende weg von fossilem hin zu sauberem Strom ohne CO2-Emission gelingen, sagen die APG-Vorstände Christiner und Karall. Davon hänge auch ab, ob Österreich das 2030er-Ziel von 100 Prozent Erneuerbaren-Anteil am Stromverbrauch über das Jahr gesehen erreichen könne. (Günther Strobl, 8.5.2024)