Wie die Erderhitzung zuallererst eingedämmt werden kann, ist hinlänglich bekannt: indem die Menschheit aufhört, Öl, Gas und Kohle zu verbrennen und dabei klimaschädliche Treibhausgase auszustoßen. Aber selbst wenn es einmal gelungen ist, die Welt mittels erneuerbarer Energie auf einen neuen Pfad zu bringen – es wird ein Problem weiterbestehen.

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Stabil gebundenes CO2: Der "Low Carbon Brick" des australischen Start-ups MCi Carbon.
MCi Carbon

Man spricht von den sogenannten Hard-to-abate-Emissionen, also den schwer zu mindernden, die dann trotz allem übrigbleiben. Es sind die Emissionen, die aus Produktionsprozessen selbst entstehen. Ein Beispiel: Wenn etwa Zement erzeugt wird, löst sich Kohlenstoff aus dem Vorprodukt, dem Kalkstein. Selbst wenn die Energie für die Zementproduktion also aus erneuerbaren Quellen stammt, ergibt sich der Klimaschaden bereits der Veränderung am Material. Allein die globale Zementproduktion ist laut der Umweltorganisation WWF für rund acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Was tun, wenn herkömmlicher Klimaschutz an seine Grenzen stößt?

Was passiert mit dem letzten Rest?

Einen Teil der Antwort will ein österreichischer Konzern liefern, Weltmarktführer in seinem Bereich: RHI Magnesita, mehr als drei Milliarden Euro Jahresumsatz, 16.000 Mitarbeiter weltweit. Das Unternehmen stellt sogenannte Feuerfestmaterialien her, wie man sie beispielsweise verwendet, um Hochöfen in der Stahlerzeugung auszukleiden. Was speziell klingt, ist ein unabdingbarer Faktor in vielen Industrien weltweit. RHI Magnesita hat, wie viele andere Industriebetriebe, ein Problem. Bis zum Jahr 2050 hat sich der Konzern vorgenommen, klimaneutral zu werden. Aber selbst wenn dereinst alle Prozesse auf erneuerbar umgestellt sind – wie soll man mit den Emissionen verfahren, die einfach dadurch entstehen, dass RHI seine Ausgangsmaterialien zu feuerfesten Produkten verarbeitet?

Diesbezüglich läuft gerade ein interessantes Experiment, eine Kooperation samt geplantem Einstieg von RHI Magnesita bei einem australischen Start-up namens MCi Carbon (Mineral Carbonation International). Das Tätigkeitsfeld von MCi Carbon – 2013 gegründet, Sitz in der Hauptstadt Canberra – trägt die Bezeichnung Climate Capture and Utilization (CCU), also Abscheidung und Nutzung von Kohlenstoff. Die dahinterstehende Thematik ist durchaus komplex. Aber sie hilft zu verstehen, wie sich Industrien weltweit auf die Klimawende vorbereiten. Das Projekt MCi Carbon "könnte ein Durchbruch auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Industrie werden", hofft Stefan Borgas, Chef von RHI Magnesita, bei der Präsentation des Projekts im Februar 2023.

"Scheinlösung"

Trotzdem hat Kohlenstoffspeicherung einen schlechten Ruf. Die Umweltorganisation Greenpeace spricht von einer "Scheinlösung", die "klima- und wirtschaftspolitisch gefährlich" sei. Der Knackpunkt ist aber die Frage, wofür man die umstrittene Technologie einsetzt. Sie ist eben nur sinnvoll, wo es nicht anders geht. Kohlenstoffspeicherung und -nutzung ist kein Ersatz für klassischen Klimaschutz, sondern ein möglicher Ausweg für den letzten Rest.

Wie aber funktioniert sie im Fall von MCi Carbon? "Wir lehnen uns an einen Prozess, der in der Natur von selbst geschieht, aber dort Millionen von Jahre dauert", erklärt Sophia Hamblin Wang, Australierin und Mitgründerin von MCi Carbon, im STANDARD-Gespräch. "Nur beschleunigen wir sie künstlich auf wenige Minuten."

Chemische Verwitterung

In der Natur geschieht die sogenannte chemische Verwitterung: Gestein wird unter der Erde zusammengepresst, löst sich auf, verbindet sich mit Wasser und sonstigen Stoffen der Umgebung – und nimmt dabei CO2 auf. MCi Carbon versucht das Gleiche auf industrieller Basis: Man nimmt natürliches Gestein, zermahlt es, vermischt es mit Wasser, leitet das Abgas mit dem CO2 dazu. Heraus kommt weißes Pulver, unter anderem Magnesiumkarbonat, in welchem das CO2 nun wieder chemisch stabil gebunden ist. Manchmal wird am Schluss des Prozesses auch ein weißer Stein daraus, der wie Kreide aussieht.

Im Fall von RHI Magnesita soll am Ende "ein sehr eleganter Kreislauf stehen", wie Wang es ausdrückt. Konkret: Der Konzern fördert für seine Feuerfestprodukte Magnesiumkarbonat aus Bergwerken zutage. Während der Produktion des Feuerfestmaterials löst sich CO2 aus dem Gestein. Anstatt in die Atmosphäre zu entweichen, wird das CO2 aber in der MCi-Anlage wieder in Magnesiumkarbonat umgewandelt – also ins Ausgangsmaterial. Es dient somit erneut als Rohstoff für Feuerfestprodukte. Im Vollausbau – von dem das System freilich noch weit weg ist – "kann auf diese Weise 90 Prozent CO2 im Vergleich zur bisherigen Produktionsweise eingespart werden", sagt Wang.

Sophia Hamblin Wang, MCi Carbon
MCi-Carbon Mitgründerin Sophia Hamblin Wang will die CO2-Speicherung "mit geringem Druck und geringen Temperaturen" hinbekommen.
MCi Carbon

Komplizierte CO2-Rechnung

Klingt einfach, ist es aber nicht. Hinter Projekten wie jenem von MCi Carbon steht eine komplizierte Rechnung. Um das Gestein zu zermahlen und mit CO2 zu verbinden, braucht es Druck, Hitze, Energie, vom aufwendigen Transport großer Mengen Gesteins ganz zu schweigen. Es tut sich die Frage auf, ob bei all dem nicht mehr Klimaschaden entsteht, als andererseits durch die Technologie gebunden werden kann.

Immerhin gibt es Fortschritte, seit die neue Technologie im Jahr 2013 erstmals versuchsweise zum Einsatz kam. "Unser Zugang ist, den Prozess mit geringem Druck und geringen Temperaturen hinzukriegen", sagt Wang. Mittlerweile stimme die Bilanz: Beim Prozess wird weniger CO2 ausgestoßen, als durch ihn eingespart wird. "Aber nur", sagt Wang, "wenn das Ausgangsmaterial möglichst nahe vom Ort der Verarbeitung abgebaut wird und der Transport grün erfolgt."

Wenn überhaupt, steht man damit erst am Beginn der Marktreife. Derzeit werden bei MCi Carbon pro Jahr tausend bis zu 3000 Tonnen an CO2 verarbeitet – herauskommen rund 10.000 Tonnen an CO2-hältigem Material. Immerhin, spätestens ab dem Jahr 2028 soll die Menge beträchtlich steigen: Dann sollen 50.000 Tonnen CO2 pro Jahr abgeschieden und per Mineralisierung der Atmosphäre vorenthalten werden.

Konkret stattfinden soll dies neben dem RHI-Magnesita-Werk in Hochfilzen in Tirol, wo eine große Pilotanlage geplant ist, in der die Technologie zum Einsatz kommen wird. Vielleicht wird sie die erste von vielen sein. (Joseph Gepp, 13.5.2024)