Straßenbahn in Lissabon
Touristinnen und Touristen sind Lissabons Straßenbahnen bekannt. Portugal will weltweit jedoch mit Innovationen in den Bereichen Technik, Nachhaltigkeit und soziale Entwicklung beeindrucken.
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Portugals Rezept für die Waldbrandbekämpfung sah bis zur Jahrtausendwende so aus: Man nehme Jugendliche, statte sie mit Feldstechern aus und setze sie auf einen Hochstand, um nach Rauch Ausschau zu halten. Völlig ineffizient, sagt John Rodrigues heute mit Augenzwinkern. "Nach spätestens vier Stunden ist das Handy logischerweise interessanter als der Wald", erzählt er dem STANDARD bei einer Studienreise des Forschungsnetzwerks ACR nach Lissabon.

Als Lösung des Dilemmas kam dem Land dann eine seiner Stärken zugute. Aus der forcierten Verbindung von universitärer Forschung und Industrie ging das Spin-off Ciclope hervor. Das System überwacht mithilfe von Kameras automatisiert die Wälder der Nation und schlägt Alarm, sobald sich Anzeichen von Bränden zeigen. 2023 deckte das System gut vier Millionen Hektar und damit mehr als 45 Prozent der Landesfläche ab.

Sozialer Gewinn statt Reichtum

Inzwischen verwendet Griechenland die Technologie, um den allsommerlichen Flammenhöllen in seinen Wäldern entgegenzutreten. Auch die Europäische Weltraumagentur (Esa), zu dessen Etat auch das österreichische Klimaministerium beiträgt, ist auf die Entwicklung aufmerksam geworden und fördert diese im Rahmen des Projekts Civil Security from Space (CSS). Bislang funktionierte Ciclope ohne Satellitensysteme, was sich nun ändern soll. Damit kann die Technik selbst in entlegenen Regionen genutzt werden und sie vor Bränden schützen.

Waldbrand in Portugal
Waldbrände in Portugal, hier im Bild ein Ausbruch in Santa Marta im Jahr 2017, sollen durch das Spin-off Ciclope künftig so früh wie möglich erkannt und große Feuer dadurch verhindert werden.
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Wer an den Nutzen von Spin-offs denke, dem falle zuerst meist der wirtschaftliche Pluspunkt ein, sagt Rodrigues. Das sei aber zu kurz gedacht, betont der Direktor für Geschäftsentwicklung von Inesc-Inov. Das Institut für System- und Computertechnik (Inesc) ist eine Gruppe von sechs gemeinnützigen Vereinen, unter ihnen Inov, an dem auch das Institut für Ingenieurwissenschaften der Universität Lissabon (IST) beteiligt ist. Deren Expertise in Forschung und Entwicklung liegt wiederum in Bereichen wie Robotik, Materialtechnik, Sicherheitstechnologien und Kernfusion.

Das Hauptziel von Spin-offs wie Ciclope ist es laut Rodrigues nicht, Geld zu verdienen oder Jobs zu schaffen – wobei Letzteres unbestreitbar von gesellschaftlichem Wert sei. "Der wahre Gewinn ist aber die Fläche, die nicht brennt, und darin liegt ein unschätzbarer Wert für die Gesellschaft", erklärt er mit Verweis auf die zunehmende Intensität und Häufigkeit verheerender Brände. Von geretteten Menschenleben ganz zu schweigen.

Europas Innovationshauptstadt

Aus der in Lissabon ansässigen Ideenschmiede kommt auch Monicap, ein Überwachungssystem für Fischereiaktivitäten, das GPS und Satellitenkommunikation als Basis nutzt. Zusammen erlauben sie es, Fischereiboote, deren Position und Aktivität zu monitoren. Fangquotenkontrolle und der Schutz von Fischbeständen sind nur zwei Vorteile der Entwicklung. Auch in Seenot geratene Schiffe können schneller lokalisiert und Hilfe organisiert werden.

Fischerboot
Die Überfischung der Meere gefährdet die Bestände vieler Arten. Fangquoten zu kontrollieren ist für Behörden allerdings herausfordernd. Die portugiesische Regierung unterstützt für die Lösung des Problems das Spin-off Monicap.
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Inesc fügt sich in eine Reihe von Instituten für angewandte Forschung ein, die in den vergangenen Jahren in Portugal entstanden sind. Sektoren, in denen Portugal sehr erfolgreich angewandte Forschung betreibt, sind Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt sowie erneuerbare Energien. Die nationale Versorgung durch Wind- und Wasserkraft liegt bei bis zu 90 Prozent.

Das kleine Land, das sich oft nicht auf dem internationalen Innovationsradar befindet, hat eine rasante Entwicklung hingelegt. 2023 kürte die Europäische Kommission Lissabon zur Innovationshauptstadt der Union. Getrieben war dieser Aufschwung nicht nur, aber auch von der Vision, Wissenschaft und Unternehmen stärker zusammenzuführen.

Steiniger Aufstieg

Der Weg war für das Land jedoch kein leichter. Noch in den 1960ern war Portugal primär ein Agrarland, die Staatsverschuldung im Jahr 2015 mit mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts horrend. Harte Sparmaßnahmen haben die Verschuldung mittlerweile auf rund 99 Prozent des BIP gedrückt, das Wirtschaftswachstum liegt trotz globaler Krisen weiterhin über dem EU-Schnitt.

Noch hat sich aber nicht alles zum Besten gewandelt. Portugal ist das sechstärmste Land Europas, ein Fünftel der Bevölkerung ist armutsgefährdet. Das Durchschnittseinkommen liegt bei rund 1200 Euro, was einen immensen Braindrain verursacht. Zwar hat das Land die zweithöchsten Quote an MINT-Absolventinnen und -Absolventen Europas. Da hochqualifizierte Jobs aber häufig fehlen und die Verdienstmöglichkeiten gering sind, wandern etliche gut gebildete junge Menschen ab.

Um diese zu halten und kluge Köpfe anzulocken, investiert das Land in Forschungszentren und Universitätsabteilungen mit Fokus auf angewandte Wissenschaft. Es entstehen Science-Parks und Co-Labs, in denen private Non-Profit-Organisationen und Unternehmen auch neue Jobs im Forschungs- und Entwicklungsbereich schaffen. So sollen die portugiesische Innovationslandschaft gestärkt und soziale Probleme gelöst werden.

Duftende Fallen für kleine Schlangen

Wie Gesellschaft und Wirtschaft von Forschung profitieren, zeigt sich auch an der Fakultät der Wissenschaft und Technologie der Neuen Universität Lissabon. In den Laboren des Forschungszentrums für Umwelt und Nachhaltigkeit (Cense) widmet sich Sofia Branco einem Tier, das der Forstwirtschaft schlaflose Nächte bereitet. Im Portugiesischen wird es "kleine Schlange" genannt, denn die Larven von Coraebus undatus, einem Prachtkäfer, fressen sich auf geschlängelten Wegen durch das Gewebe von Korkeichen.

Forscherin Sofia Branco
Sofia Branco forscht an der Neuen Universität Lissabon zu Schädlingen, die in der portugiesischen Forst- und Landwirtschaft beträchtliche Schäden verursachen. Es handelt sich um Arten, die etwa Korkeichen oder Eukalyptus befallen.
DER STANDARD / Erhart

Durch die Fraßtätigkeit sterben die Bäume zwar nicht ab, sie macht aber jene Schicht, die zur Herstellung von Korkeichenprodukten verwendet wird, dermaßen spröde, dass sie nicht verarbeitet werden kann. In ihrem Labor testet Branco, für welche Stoffe die Tiere Rezeptoren besitzen. Mit diesem Wissen können in Korkeichenwäldern entsprechende Fallen aufgestellt werden. All das funktioniert ohne chemische Spritzmittel, die hier auch nicht helfen würden. "Die Käfer legen ihre Eier unter die Baumrinde, da kann ich versprühen, was ich will", sagt die Forscherin. Die von ihr genutzte Methode koste nicht die Welt und sei auch im kleinen Maßstab einsetzbar.

Energiearmut bekämpfen

Ideen in den Bereichen soziale Entwicklung und Nachhaltigkeit gibt es viele: Ebenfalls am Cense entwickeln Forschende Wege, um Lithium aus Abwässern des Bergbaus zu gewinnen. Ein weiteres Team tourt unter anderem mit einem umgebauten Schiffscontainer durchs Land, um jene zwei bis drei Millionen Menschen zu beraten, die in Portugal von Energiearmut betroffen sind. Des Weiteren forschen die Neue Universität Lissabon und assoziierte Labore an Nanomaterialien, grüner Chemie und Ressourcennachhaltigkeit.

Auf dem Parkplatz der Universität steht zudem ein eigenartig anmutendes Gefährt. Bei dem weißen Kasten auf Rädern handelt es sich um Snif, ein rund 200.000 Euro teures mobiles Gerät zur Analyse der Luftqualität. Es kann von öffentlichen und privaten Stellen für Messungen angefordert werden. Besonders im Norden des Landes, wo sich Ballungszentren mit starkem Verkehrsaufkommen befinden, ist Snif oft im Einsatz, um etwa Ozonwerte zu überprüfen. Gegebenenfalls können dann Notmaßnahmen ergriffen und die Bevölkerung geschützt werden.

Beeindruckt von der lebendigen Landschaft angewandter Forschung zeigt sich ACR-Präsidentin Iris Filzwieser beim Resümee der Studienreise. "Für uns als ACR geht es darum, einen Mehrwert zu schaffen und Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen", erklärt sie. Das sei auch in Portugal augenscheinlich, wo die Forschung mit KMUs gemeinsam lebe. "Ich hatte noch nie das Gefühl, ein so tolles Partnerland für Österreich gefunden zu haben, wo wir Kooperationen gründen und gemeinsame Forschungsprojekte überlegen können", sagt sie. Die ersten Besuche sind bereits vereinbart. (Marlene Erhart, 15.5.2024)