Zerstörtes Haus in Rafah.
Bereits jetzt sind die Zerstörungen in Rafah enorm.
AFP/-

Frage: Seit Monaten kündigt Israel die Militäroffensive in Rafah im Süden Gazas an, am Dienstag nahmen israelische Truppen den dortigen Grenzübergang zu Ägypten ein. Ist die umstrittene Bodenoffensive in Rafah also in vollem Gange?

Antwort: Nein. Es geht wohl eher darum, die Hamas unter Druck zu setzen, um mehr Spielraum bei den Verhandlungen um einen neuen Geiseldeal zu bekommen. Die Armee betont, dass es sich nicht um die lange angekündigte Rafah-Offensive handle, sondern nur um eine gezielte "Nadelstich-Operation" im Osten Rafahs. Am Dienstag verbreitete Israels Armee Fotos und Videos von israelischen Armeefahrzeugen mit riesigen israelischen Flaggen, die am Grenzübergang Rafah patrouillieren. Sie sollen zeigen, dass Israels Armee die Kontrolle über den bisher von der Hamas kontrollierten Grenzübergang gewonnen hat. Am Vortag hatte die Armee rund 100.000 Menschen im Osten Rafahs dazu aufgerufen, das Gebiet zu verlassen und sich in eine "humanitäre Zone" in sieben Kilometer Entfernung zu begeben. Teile des Gebiets wurden danach aus der Luft und am Boden angegriffen.

Frage: Was hält Israel davon ab, Rafah einzunehmen?

Antwort: Auf kurze Sicht: die Hoffnung, dass es doch noch klappen könnte, einen Geiseldeal zu erreichen. Längerfristig ist es aber vor allem Druck von außen. Das Kriegskabinett und die Armeeführung sind überzeugt, dass es einen Einmarsch in Rafah braucht, um die dortigen vier Hamas-Bataillone zu bekämpfen und Hamas-Führer Sinwar, der in den Tunneln unter Rafah vermutet wird, aufzuspüren. Die USA sind jedoch strikt gegen eine Volloffensive in der südlichen Stadt, die in den vergangenen sieben Monaten zu einem gigantischen Flüchtlingslager angeschwollen ist. Es sind nicht nur mahnende Worte, die aus Washington kommen, längst wurden auch Taten gesetzt: Eine Lieferung tausender US-Hochpräzisionswaffen nach Israel, auf die man sich bereits im Februar geeinigt hatte, wird vom Pentagon hinausgezögert, solange Israel von seinen Rafah-Plänen nicht ablässt. Israels Regierung betont aber, dass man die große Invasion in Rafah notfalls auch gegen den Willen der USA starten wird.

Frage: Ist die aktuelle "Mini-Offensive" in Rafah ein Weg, um die befürchtete humanitäre Katastrophe zu vermeiden?

Antwort: Ohne negative Folgen für die Zivilbevölkerung bleibt auch der aktuelle Einsatz nicht. Die Besetzung des Rafah-Grenzübergangs bewirkt, dass hier keine humanitären Lieferungen mehr in den Gazastreifen kommen. Rafah ist laut UN-Angaben der einzige Grenzübergang, über den Treibstoff nach Gaza gelangt. Ohne Treibstoff gibt es keine Stromversorgung, aber auch die Vorräte an Lebensmitteln und Medizin, die sich schon in Lagern in Gaza befinden, können nicht zu den Menschen gebracht werden, die auf sie angewiesen sind.

Frage: Im Ausland gibt es viel Kritik an der Offensive in Rafah, aber wie sehen es die Israelis selbst?

Antwort: Auf die Frage, ob sie die Befreiung der Geiseln oder die Eroberung Rafahs für wichtiger halten, sagen mehr als 60 Prozent der Israelis, dass sie die Geiseln höherrangig einstufen. Das geht aus einer aktuellen Erhebung des israelischen Demokratieinstituts hervor. Hier gibt es aber große Unterschiede je nach politischer Einstellung: Konservative Israelis sehen tendenziell die Rafah-Invasion als absolute Priorität, 55 Prozent von ihnen sagen, der Armeeeinsatz dort sei wichtiger als die Geiselbefreiung. Links gesinnte Israelis sind zu 92 Prozent für einen Geiseldeal, nur 4,7 Prozent halten Rafah für wichtiger.

Frage: Montagabend hat die Hamas angekündigt, zu einem Geiseldeal bereit zu sein, Israel schickt nun wieder eine Delegation nach Kairo, um neue Verhandlungen über eine Waffenruhe zu führen. Wird es diesmal klappen?

Antwort: Das ist schwer zu sagen. Israels Kriegskabinett ist bereit für einen Deal. Jene Version, der die Hamas Montagabend zugestimmt hat, sieht aber Bedingungen vor, die für Israels Regierung inakzeptabel sind – allen voran die Forderung nach einem Ende des Kriegs. Das ist aus israelischer Sicht nicht hinnehmbar, weil man die Kampfhandlungen erst einstellen will, wenn die Hamas in Gaza besiegt ist. Ein zweiter Punkt, bei dem es sich spießen soll, ist die Zahl der freizulassenden Geiseln: Israel verlangt im ersten Schub 33 lebende Geiseln, und zwar vorrangig Minderjährige, Alte, Kranke oder Frauen. Die Hamas behauptet, diese Forderung nicht erfüllen zu können.

Frage: Wenn ein Stopp des Kriegs aus israelischer Sicht ein No-Go ist, die Hamas aber von dieser Forderung nicht abweichen will – warum wird dann überhaupt verhandelt?

Antwort: Um genau zu sein: Erst einmal wird nicht verhandelt, sondern nur vorgefühlt. Israel schickt daher nicht die Geheimdienstchefs nach Kairo, sondern nur Vertreter niedrigeren Ranges, und sie haben nicht den Auftrag zu verhandeln, sondern sollen nur Informationen einholen. "Man will erst einmal verstehen, von welchem Papier die Hamas überhaupt spricht", erklärt Israel Ziv, früherer Leiter der Gaza-Brigade im israelischen Militär. Danach soll die Delegation zu Hause berichten, was der Stand der Dinge ist – und danach wird im Kriegskabinett entschieden, wie man sich dazu positioniert. (Maria Sterkl, 7.5.2024)