Jonah Hauer-King als Lali Sokolov mit Anna Próchniak als Gita Furman.
Jonah Hauer-King als Lali Sokolov mit Anna Próchniak als Gita Furman.
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Mai 2023: Die Farbe an den Eisenteilen ist noch frisch. Der geschwungene Bogen mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" liegt am Boden, daneben und darunter weitere Elemente, die zusammengefügt ein Tor ergeben. Ein Arbeiter besprüht Ziegel mit dunkler Farbe, sodass sie verwitterter aussehen. Am Gebäude davor wird gerade ein Dach mit schwarzen Schindeln gedeckt. Neben den Torkonstruktionen laden Männer Erde ab und verteilen sie. Ein Baum wird gepflanzt. "In Auschwitz stand an dieser Stelle ein Baum", sagt der Produzent Alan Church. "Wir legen Wert darauf, dass alles so aussieht, wie es war."

Unwirkliches Szenario

Unwirklich und unheimlich muten diese Aufbauten an, die für The Tattooist of Auschwitz in der Nähe von Bratislava errichtet werden. Die sechsteilige Serie erzählt die wahre Geschichte des jüdischen Häftlings Lale Sokolov, der im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau die Aufgabe erhält, Identifikationsnummern auf die Arme von Mitgefangenen zu tätowieren, und dort eines Tages Gita Furman kennenlernt. Er verliebt sich in sie, sie sich in ihn. The Tattooist of Auschwitz ist ab heute, Mittwoch, auf Sky abrufbar.

Der 1916 in Ungarn geborene Sokolov wurde 1942 nach Auschwitz deportiert. 1948 wanderten er und seine Frau Gita nach Australien aus. Regie bei allen sechs Folgen führt die Israelin Tali Shalom-Ezer. Zu den ausführenden Produzentinnen gehören Claire Mundell und Jacquelin Perske.

Vorlage zur Serie ist das gleichnamige Buch der Australierin Heather Morris, die sich mit Sokolov drei Jahre bis zu seinem Tod 2006 traf und nach den Gesprächen einen Bestseller schrieb, der sich mehr als drei Millionen Mal verkaufte. Für die Serie steuerte Barbra Streisand einen Song bei.

Harvey Keitel und Melanie Lynskey in
Harvey Keitel und Melanie Lynskey in "The Tattooist of Auschwitz".
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An einer Ecke lehnen Männer in Nazi-Uniformen, zwei Frauen mit zerschlissenen Mänteln und schlammigen Schuhen queren das Feld. Auf Kisten sitzen junge Männer und Frauen in gestreiften Häftlingsuniformen und checken ihre Handys. Ein Feuerwehrauto steht am Rande, Security überwacht das Geschehen. Zig Komparsinnen und Statisten sind über das Gelände verstreut. Man spricht leise, wenn gedreht wird, am besten gar nicht.

"Wir sind im Zwiespalt, einerseits sind wir begeistert, was hier entsteht, und geraten ins Schwärmen. Auf der anderen Seite müssen wir uns bremsen, weil uns das verkehrt erscheint", sagt Stevie Herbert, Produktionsdesignerin am Set.

Mai 2024: "Eine Liebesgeschichte an einem sehr dunklen Ort", beschreibt Regisseurin Shalom-Ezer The Tattooist of Auschwitz im Gespräch mit dem STANDARD. Den Dreh nennt die 45-Jährige ihren "bisher schwierigsten".

Große Verantwortung

Weil es um Respekt gehe: "Ich fühlte mich unheimlich verantwortlich für die Story", sagt Shalom-Ezer. "Die größte Herausforderung war, den richtigen Ton zu finden. Wir erzählen eine Liebesgeschichte, normalerweise gibt es da viele positive Gefühle: Aufregung, Freude. Ich wollte das natürlich ausdrücken. Gleichzeitig scheint es aber völlig unmöglich, diesen Gefühlen in der Hölle von Auschwitz einen Raum zu geben."

Wie findet man den richtigen Ton, ohne kitschig zu werden? "Es gab viele Gespräche – mit allen und in jeder Phase des Drehs", sagt Produzentin Mundell. Daraus habe sich eine eigene Atmosphäre ergeben: "Jede einzelne Person war von dieser Idee durchdrungen, und das gibt der Arbeit eine Klarheit, die ich selbst noch nie erlebt habe." Die Hauptrollen spielen Jonah Hauer-King als junger Lale und Harvey Keitel als sein gealtertes Pendant. Gita Furman wird dargestellt von Anna Próchniak, die Rolle der Heather Morris übernahm Melanie Lynskey.

Harvey Keitel in der Sky-Serie
Harvey Keitel in der Sky-Serie "The Tattooist of Auschwitz".
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Dass nur eine Regisseurin die sechs Folgen inszenieren sollte – und nicht zwei oder drei, wie bei Großproduktionen üblich –, stand von Beginn an fest: "Es war so wichtig, einen einheitlichen Tonfall zu finden", erinnert sich Mundell. Der Aufwand war entsprechend groß, sagt Shalom-Ezer, die 2017 mit My Days of Mercy ihren ersten englischsprachigen Film inszenierte. "Wir haben noch gecastet, während wir gedreht haben. Das bedeutet, dass wir nach einem zwölfstündigen Drehtag weitere fünf Stunden mit Treffen und Diskussionen beschäftigt waren."

The Tattooist of Auschwitz | Trailer | Sky
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Als psychisch fordernd hat die Israelin das realistische Setting in Bratislava in Erinnerung: "Wir hatten viele Komparsen, Leute, die wirklich mit Leib und Seele bei dem Projekt dabei waren. Und wir verlangten von ihnen unglaublich schwierige Dinge, ihre Köpfe rasieren, in einigen Szenen nackt und verletzlich sein." Eine "kollektive Anstrengung" nennt es Shalom-Ezer. Mundell setzt höher an: "Eine Mission." (Doris Priesching, 8.5.2024)