Generalsekretär Christian Stocker, Parteichef und Kanzler Karl Nehammer sowie EU-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka (alle ÖVP) fordern Verschärfungen beim Familiennachzug.
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Die ÖVP schaltet beim politisch heiklen Thema Familiennachzug einen Gang höher: Bundeskanzler Karl Nehammer will die Zahl von Asylberechtigten, die im Rahmen von Familienzusammenführungen nach Österreich kommen, durch schärfere Kontrollen und DNA-Tests eindämmen.

Der Vorstoß kommt nicht aus heiterem Himmel: Bis zu 900 Anträge auf Familiennachzug werden derzeit pro Monat in Österreich gestellt. Ehepartnerinnen und minderjährige Kinder von Asylberechtigten dürfen im Zuge der Familienzusammenführung nach Österreich geholt werden. Da es sich bei der Hälfte derjenigen, die nachgeholt werden, um Kinder handelt, wird sich der Druck auf die Schulen nicht nur akut, sondern auch in den kommenden Jahren massiv erhöhen. Entweder sind die Kinder nämlich bereits im schulpflichtigen Alter oder sie erreichen es in absehbarer Zeit.

In Wien wurden zuletzt die Schulplätze knapp, weil monatlich rund 300 Kinder syrischer Asylberechtigter in die Hauptstadt gekommen waren. Außerdem ziehen viele Asylberechtigte aus anderen Bundesländern in die Hauptstadt. Die rot-pinke Stadtregierung war es auch, die die Debatte über den Familiennachzug vor mehreren Wochen angestoßen und in diesem Zusammenhang die Einführung einer Wohnsitzauflage für Asylberechtigte gefordert hatte – damit Asylberechtige besser in den Bundesländern verteilt werden.

Dieser Forderung hatte die ÖVP prompt eine Absage erteilt. Denn dass das rote Wien unter Druck gerät, juckt die Volkspartei nicht weiter. Für die ÖVP ist die Stadt ohnehin selbst daran schuld, weil sie durch höhere Sozialleistungen auch mehr Flüchtlinge und Asylberechtigte anlocken würde. Damit bis zu den Wahlen – im Juni stehen die EU-, im September die Nationalratswahlen an – aber nicht noch mehr Wählerinnen und Wähler zur FPÖ abwandern, will die ÖVP nun dennoch gegensteuern.

Blutsverwandtschaft und Betrug

Den ersten Vorstoß unternahm Generalsekretär Christian Stocker Mitte April. Familienangehörige sollten nur noch nach Österreich geholt werden können, wenn für diese aus eigener Kraft gesorgt werden kann. "Wenn jemand seine Familie nach Österreich holt, soll nachgewiesen werden, dass er für diese aufkommen kann", sagte Stocker. Heißt: Jene Asylberechtige, die Sozialhilfe beziehen, sollen ihre Familienangehörigen nicht mehr nach Österreich holen können. Hierfür wäre allerdings die Änderung einer EU-Richtlinie notwendig, der alle Mitgliedstaaten zustimmen müssten – was nicht einmal noch angedacht ist. Hinter Stockers Forderung dürfte deshalb weniger ein Vorschlag zur Lösung des Problems, als ein Beitrag zum Wahlkampf stecken.

Am Wochenende rückte nun eben der Kanzler aus – mit immerhin einfacher und schneller umsetzbaren Vorschlägen. Um den Familiennachzug zu beschränken, sollen Dokumentenprüfer jene Unterlagen, mit denen die Verwandtschaft nachgewiesen werden muss, intensiver eingesetzt werden. Auch die Sicherheitsüberprüfungen der Familienangehörigen sollen verstärkt werden. Und nicht zuletzt soll stärker auf DNA-Tests gesetzt werden – um Blutsverwandtschaft eindeutig feststellen und Betrug ausschließen zu können.

Innenminister Gerhard Karner und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) seien bereits angewiesen worden, die Maßnahmen "in den nächsten Tagen wirksam umzusetzen", sagte Nehammer. Die Forderungen nach Verschärfungen beim Familiennachzug sind wenig überraschend auch Teil des EU-Wahlprogrammes der ÖVP. "Es ist am besten, hier europaweite einheitliche Regelungen zu haben", sagte EU-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka am Sonntag.

Recht auf DNA-Analyse

Für Aufregung sorgt vor allem Nehammers Forderung, verstärkt auf DNA-Tests zu setzen – schließlich sind diese bereits jetzt rechtlich möglich. Doch wie sieht die aktuelle Gesetzeslage konkret aus? Darauf verweist Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich auf X (vormals Twitter). Laut Verfahrensgesetz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat das Familienmitglied selbst ein Recht auf die Vornahme einer DNA-Analyse. Und zwar dann, wenn es ihm nicht durch Urkunden oder anderen Dokumenten gelingt, die Verwandtschaft zum Asylberechtigten nachzuweisen. Während derlei Tests aktuell in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, sollen sie künftig schon "beim geringsten Zweifel" durchgeführt werden.

Konkret will Nehammer seine Vorschläge per Erlass regeln lassen. Eine Zustimmung der Grünen ist dafür übrigens nicht notwendig. Auf Anfrage des STANDARD verweisen die Grünen in einer Stellungnahme am Sonntag darauf, dass die Vorschläge des Kanzlers "bereits gängige Praxis" seien. Diese würden "keine Veränderung oder Verbesserung beinhalten". Und: "Was hilfreicher wäre, um Probleme bei der Integration nicht zu verschlafen: Dort, wo es zu Überforderungen kommt, ansetzen – etwa Lehrerinnen und Lehrer direkt unterstützen."

Auch die Opposition kann mit den Vorschlägen des Kanzlers nichts anfangen. Asyl- und Migrationssprecherin Stephanie Krisper (Neos) spricht von "populistischem Wahlkampfgetöse". Laut Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer (FPÖ) würden Nehammer und Karner "wieder einmal" versuchen, "die Bevölkerung am Schmäh zu halten". (Sandra Schieder, 5.5.2024)