Europäisches Parlament
Viele Befragte sind noch unentschlossen, wen sie bei den Europaparlamentswahlen im Juni wählen werden.
EPA/FREDERIC SIERAKOWSKI

Linz – Vor 30 Jahren, Österreich stand kurz vor der Volksabstimmung über den EU-Beitritt, ließ DER STANDARD durch das Linzer Market-Institut erheben, was die damaligen Wahlberechtigten mit dem Begriff Europa verbinden. "Typisch Europa: EU und Demokratie" lautete der Titel des Berichts am 21. Februar 1994. Damals verbanden 58 Prozent mit Europa gedanklich Demokratie, 57 Prozent nannten den Begriff "Europäische Union" (der Unionsvertrag war erst im November 1993 in Kraft getreten), und 56 Prozent verwiesen auf Geschichte und Tradition.

Im Vorfeld der heurigen Europawahl wurde die Umfrage wiederholt – mit dem Ergebnis, dass die Gemeinschaftswährung Euro (die ihren Namen erst 1995 bekommen hat) heute die häufigste Assoziation der österreichischen Bevölkerung mit dem Europabegriff ist: 66 Prozent nannten den Euro; 64 Prozent, sieben Prozentpunkte mehr als vor 30 Jahren, die Europäische Union. Offene Grenzen, seinerzeit erst von 37 Prozent genannt, folgen jetzt an dritter Stelle mit 55 Prozent und die Demokratie mit 51 Prozent (minus sieben Prozentpunkte) erst an vierter.

Fünf Punkte, die 1994 noch kaum relevant waren, hat Market heuer neu in die Liste aufgenommen: Neben dem Euro sind dies das Thema Zuwanderung (das auf 44 Prozent kommt), die Rivalität mit Russland (22 Prozent), die Rivalität mit China (14 Prozent) und die Rivalität mit den USA (acht Prozent).

Gewandeltes Europabild

Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der heute nur noch eine ferne Erinnerung ist, war die Freundschaft mit Amerika noch für 34 Prozent ein europäisches Thema, heute ist die Erinnerung an die Rolle der USA bei der Rückholung der Ostblockstaaten in die westliche Welt vor allem bei älteren Befragten verankert.

Market-Gründer Werner Beutelmeyer erinnert sich an die Umfrage vor 30 Jahren: "Europa wurde damals anders wahrgenommen als heute. Es ging viel um Kultur und Geschichte, 44 Prozent haben bei Europa an Vergangenheit gedacht, nicht viel weniger an das Land der Habsburger – das hat heute kaum noch Bedeutung. Politisch waren die großen Themen, dass viele Menschen Europa mit Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit, Überflussgesellschaft, Transitverkehr und Überproduktion verbunden haben – das war ja auch die Argumentation der Grünen, die eine scharfe Kampagne gegen die EU losgetreten haben. Diese Themen haben stark an Relevanz verloren, an Umweltzerstörung denkt im Zusammenhang mit Europa nur mehr jeder Fünfte, damals war es jeder Dritte."

Das bedeutet aber nicht, dass Europas Entwicklung heute weniger kritisch gesehen würde: So haben vor 30 Jahren noch 49 Prozent Europa mit dem Begriff Zukunft verbunden, jetzt sind es nur mehr 30 Prozent. Stark abgenommen hat das Vertrauen in das hohe europäische Bildungsniveau, in technischen Fortschritt und die Wirtschaftsmacht.

Fragt man konkreter nicht zu Europa, sondern zur EU, wird das noch deutlicher. DER STANDARD ließ fragen: "Glauben Sie, dass sich die Dinge in der EU zurzeit eher in die richtige oder eher in die falsche Richtung entwickeln?" Darauf sagten 20 Prozent, dass sich die EU in die richtige Richtung entwickle, 63 Prozent sehen eine falsche Entwicklung. Diese Werte sind seit dem Sommer des Vorjahres praktisch unverändert. Jüngere Befragte und erklärte Optimisten haben ein positiveres Bild von der EU – FPÖ-Wähler und bekennende Pessimisten (diese Gruppen haben eine große Schnittmenge) sind in hohem Maße der Meinung, die EU-Entwicklung gehe in die falsche Richtung. Pessimisten assoziieren Europa auch doppelt so stark mit Arbeitslosigkeit, Überbevölkerung und Überfremdung wie Optimisten.

Schwierige Mobilisierung

Market erhob auch die Wahlabsichten für die Europaparlamentswahl am 9. Juni. Dabei zeigt sich, dass sehr viele Befragte noch unentschlossen sind. "Menschen, die in der Sonntagsfrage zur Nationalratswahl schon eine klare Parteipräferenz geäußert haben, sind sich bei der Europawahl auf einmal nicht mehr so sicher. Verständlich ist das bei den relativ wenigen Befragten, die die Bierpartei in den Nationalrat wählen wollen, weil diese Partei ja nicht zur Wahl steht. Die anderen Parteien müssen sich aber anstrengen, ihre potenziellen Wähler überhaupt zur Urne zu bringen. Nur bei den Freiheitlichen ist die Mobilisierung schon jetzt sehr hoch", sagt Market-Wahlforscher David Pfarrhofer.

In seiner Hochrechnung erscheint die wahrscheinliche Stimmenverteilung bei der Europawahl ähnlich wie jene in der Nationalratswahl-Hochrechnung aus derselben Umfrage: Demnach käme die FPÖ mit 27 Prozent bei der Europawahl erstmals an die erste Stelle, gefolgt von der SPÖ (24), der ÖVP (20), den Neos (13) und den Grünen (zwölf). Die KPÖ bliebe mit drei Prozent unter der Mandatshürde.

Christliches Abendland?

Noch etwas zeigt die aktuelle Europaumfrage des STANDARD: Der Begriff "christliches Abendland" hat völlig an Bedeutung verloren. Schon 1994 wurde im STANDARD angemerkt, dass der Begriff einer altersbedingten Erosion ausgesetzt ist: "46 Prozent der Senioren halten ihn noch hoch, in der Bevölkerung unter 50 Jahren aber nur mehr 30 Prozent." Drei Jahrzehnte später sind die damals unter 50 Jahre alten Befragten selbst schon (oft weit) über 50 Jahre alt – und in dieser Alterskohorte halten weiterhin drei von zehn Befragten am Begriff des christlichen Abendlands fest. In der Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahren sind es nur mehr 14 Prozent, bei den noch jüngeren Wahlberechtigten nur neun Prozent. (Conrad Seidl, 6.5.2024)