Am 19. Dezember 1943 war in den Rocky Mountains in Colorado auf 2800 Meter Seehöhe ein ungewöhnliches Radioprogramm zu hören. In einer beliebten regionalen Sendung, die regelmäßig beim militärischen Trainingslagers Camp Hale der 10th Mountain Division der US-Armee Station machte, ging es ausführlich um die österreichischen Alpen, um Oberndorf bei Salzburg und um die Geschichte des berühmten Weihnachtsliedes, das dort genau 125 Jahre zuvor erstmals erklungen war: Stille Nacht, heilige Nacht.

Österreich-Kitsch in den Rocky Mountains? Verantwortlich dafür war John Kohr, geboren als Hannes Kohr in ebendiesem Oberndorf. Kohr hatte Österreich 1938 verlassen und war kurz zuvor in die US-Armee eingetreten. Er schrieb nicht nur Radiomanuskripte für den Militärrundfunk, sondern trainierte in Colorado als Kletterspezialist und Skisoldat. Kohr war einer von rund 100 skiaffinen Österreichern, die sich im Zweiten Weltkrieg großteils freiwillig zur ersten amerikanischen Gebirgsdivision meldeten.

Aus Österreich stammende Angehörige der 10th Mountain Division halfen als Skilehrer und Alpinexperten bei der Ausbildung amerikanischer Soldaten.
The Denver Public Library, 10th Mountain Division Resource Center Collection/ Kurt Krieser

Bergfexe gesucht

So unterschiedlich die Biografien der US-Skisoldaten aus Österreich auch waren, sie einte ihre Erfahrung im Alpinsport – und genau das machte sie für das amerikanische Militär interessant: Mit Blick auf den Krieg in Europa hatte sich die US-Armee dazu entschlossen, erstmals eine eigene Gebirgseinheit aufzustellen, die bei Bedarf im alpinen Gelände und unter extremen klimatischen Bedingungen eingesetzt werden konnte.

Nach einem ersten Trainingscamp an den Hängen des Mount Rainier in Washington State wurde bis Ende 1942 in einem Hochtal der Rocky Mountains in Colorado das Camp Hale aus dem Boden gestampft – ein Trainingslager für die künftigen Gebirgssoldaten der USA. An Skilehrern und Alpinexperten mangelte es zunächst jedoch. Die Lücke füllten Emigranten aus Europa.

"Der Impact der Österreicher auf diese Einheit war massiv", sagt der Historiker Florian Traussnig vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung. "In den USA existierte noch kaum eine Skikultur, und so waren es vor allem Österreicher und auch einige Schweizer, Deutsche und Norweger, die den Soldaten das Skifahren beibrachten."

Der gebürtige Österreicher Hans Kolb beim Training im weißen Anzug der Skisoldaten nahe Camp Hale, Colorado, 1943.
The Denver Public Library, 10th Mountain Division Resource Center Collection/Donated by Paul Lafferty

Traussnig beschäftigt sich seit Jahren mit Österreichern, die im Zweiten Weltkrieg in der US-Armee gekämpft haben. Den österreichischen Skisoldaten hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Robert Lackner eine Ausstellung gewidmet, die aktuell im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Wien zu sehen ist.

Vom Semmering nach Colorado

Wer waren also diese Österreicher, die junge Amerikaner in den Rocky Mountains im Skifahren und Bergsteigen unterrichteten und teilweise später in Europa gegen die Wehrmacht kämpften? "Die meisten waren junge Wiener Juden, die etwa im Sportklub Hakoah und in anderen Sportvereinen aktiv gewesen waren und auf dem Semmering oder in Tirol Skifahren gelernt hatten", sagt Traussnig. Rund um den sogenannten Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland waren sie vor antisemitischer Verfolgung geflohen und hatten sich nach dem Kriegseintritt der USA zum Armeedienst gemeldet.

Unter den Freiwilligen war etwa der Wiener Jude Peter Nassau, der zunächst als Skilehrer eingesetzt wurde und an allen größeren Übungen und Einsätzen der Einheit mitwirkte. Später wurde er für seine Leistungen militärisch ausgezeichnet. Mit Philipp Winter war auch ein schon etwas älterer Wiener Teil der Gebirgstruppe, den es aus einer Wiener Redaktionsstube in die Rocky Mountains verschlagen hatte. 1897 geboren, hatte Winter nach dem Ersten Weltkrieg als Sportreporter und Filmredakteur für die Neue Freie Presse gearbeitet. Nach dem "Anschluss" war er kurzzeitig in einem KZ interniert worden, 1939 gelang ihm die Flucht in die USA. In der in Colorado stationierten Gebirgseinheit hatte Winter nicht nur militärische Aufgaben, er leistete auch Aufklärungsarbeit in Vorträgen und Artikeln über die Konzentrationslager.

Der Wiener Jude Peter Nassau (links) durchlief sämtliche Ausbildungsstationen und größeren Einsätze der US-Gebirgstruppe. Diese Aufnahme von 1942 zeigt ihn mit dem ebenfalls aus Österreich emigrierten Otto Korban (Mitte) und zwei weiteren Angehörigen der Einheit.
The Denver Public Library, 10th Mountain Division Resource Center Collection

Glücksritter unter Verdacht

Es gab aber noch eine zweite, kleinere Gruppe österreichischer Emigranten, die einen enormen Einfluss auf das Training der amerikanischen Gebirgssoldaten haben sollte: Skilehrer und Rennläufer aus Westösterreich. Manche waren wie der Oberndorfer Hannes Kohr als katholisch-patriotische NS-Gegner ins Exil gegangen. Andere waren Saisonarbeiter oder Abenteurer, die ihr Glück in den USA versuchten und zunächst nicht unbedingt Gegner des NS-Regimes waren.

Der bekannte Salzburger Skifahrer Andreas Hennig etwa hatte sich 1939 von den USA aus noch bereitwillig von der nationalsozialistischen Sportpropaganda vereinnahmen lassen. Nach dem Kriegseintritt der USA gerieten Leute wie er beim FBI unter Nazi-Verdacht – Hennig meldete sich daraufhin prompt zum Armeedienst. Schließlich wurde er als US-Offizier in Italien verwundet. Er starb 1993 als militärisch dekorierter Amerikaner.

Zwei Skisoldaten der 10th Mountain Division, Aufnahme von 1943.
The Denver Public Library, 10th Mountain Division Resource Center Collection

Blutiger Einsatz in Italien

In der Gruppe der Alpinabenteurer sticht besonders ein Tiroler hervor: Friedl Pfeifer, geboren 1911 in St. Anton am Arlberg, hatte sich 1936 als Sieger der Kandahar- und Hahnenkammrennen einen Namen im Skisport gemacht. Ab 1938 war er als gutbezahlter Skilehrer in den USA tätig, mitunter für eine schillernde Klientel aus Hollywood. Auch er geriet als Exilösterreicher 1941 unter Verdacht, ein Nationalsozialist zu sein, zu Unrecht.

Nachdem er vom FBI kurzzeitig festgesetzt worden war, meldete er sich zur US-Armee – und landete bei der 10th Mountain Division. Dort war seine Expertise in Ski- und Seiltechnik äußerst gefragt. Auch Pfeifer wurde bei der Befreiung Italiens schwer verletzt. Mindestens 48 Österreicher der US-Gebirgseinheit kamen in aktive Kampfeinsätze, vier überlebten nicht, 15 wurden verletzt, wie Traussnig und Lackner recherchiert haben.

Der größte und blutigste Einsatz der Gebirgseinheit erfolgte erst ab Februar 1945 in Italien: Sie sollte eine nächtliche Operation im Apennin durchführen, um nordwestlich von Florenz die deutsche Verteidigungslinie zu durchbrechen. Die Aktion war erfolgreich, jedoch mit enormen Verlusten: Schon bald stand die hochspezialisierte, aber weitgehend kampfunerfahrene Skitruppe im Flachland der Po-Ebene und lieferte sich erbitterte Kämpfe mit der Wehrmacht im Rückzug. Rund tausend Angehörige der 10th Mountain Division kamen in Italien ums Leben.

Der Tiroler Skirennläufer Friedl Pfeifer baute nach dem Krieg den Skitourismus in Aspen mit auf.
The Denver Public Library, 10th Mountain Division Resource Center Collection

Abstecher nach Aspen

Von den überlebenden gebürtigen Österreichern kehrte nach dem Krieg kaum jemand zurück in die alte Heimat. Die meisten beendeten unmittelbar mit Kriegsende ihren Dienst in der Armee und widmeten sich als nunmehr Neoamerikaner dem Aufbau ihrer zivilen Existenz in den USA.

Den Wintersport gaben aber längst nicht alle auf, insbesondere Friedl Pfeifer nicht. Er war noch in seiner Militärzeit bei einer Expedition in das Aspen Valley in Colorado gekommen und hatte das touristische Potenzial sofort erkannt: Aspen könnte zum amerikanischen St. Anton werden. Nach dem Krieg gründete er mit Investoren die Aspen Skiing Company und eine Skischule – und legte den Grundstein für eines der bis heute bekanntesten und nobelsten Skigebiete der USA. (David Rennert, 4.5.2024)