Der Audi Q6 e-tron
Zwei OLED-Bildschirme dominieren das Cockpit des Audi Q6 e-tron. Dahinter: ein Head-up-Display. Daneben: ein Touch-Display für den Beifahrer.
Audi AG

Vorsprung durch Technik. Der Werbeslogan, den Audi seit mehr als 50 Jahren für sich beansprucht, ist jedem bekannt, der auch nur halbwegs autoaffin ist. Was in der Vergangenheit aber vorrangig Bereichen im Motorraum und Antrieb vorbehalten war, wandert zunehmend in die Elektronik und ins Cockpit der Fahrzeuge. Und ähnelt dort immer stärker dem, was wir täglich in der Hand haben und x-mal abrufen: einem Smartphone. Das ist wohl auch der Grund, weshalb Audi in Wien zu einem eher ungewöhnlichen Event geladen hat.

Einer Runde von Tech-Journalisten wollte der Traditionshersteller am Beispiel des neuen Audi Q6 e-tron im House of Progress zeigen, wie digitale Features den Alltag in einem modernen E-Auto bequemer und vernetzter – aber natürlich auch sicherer machen können. Wie man es sich von einem Premiumhersteller erwarten würde, gab sich Audi dabei gleich von Beginn an "State of the Art" und ließ seine Gäste die neu entwickelte Plattform für E-Autos mit Apples Vision Pro erkunden.

Neustart mit PPE

PPE, das steht für Premium Platform Electric, ist salopp formuliert nicht weniger als die Zukunft von Audi. Oder zumindest die Zukunft, die sich der Hersteller erhofft. Und der gezeigte Q6 e-tron ist das erste Serienfahrzeug von Audi, das auf dieser speziellen Plattform aufbaut. Weitere Modelle von Audi damit sind bereits in der Pipeline, darunter auch der elektrisierte A6 und Varianten desselben.

Audi-Workshop
Der Workshop begann zunächst damit, dass man sich der neuen Plattform von Audi über Apples Vision Pro in allen Facetten annähern konnte.
Audi

Entwickelt wurde dieses "Skateboard-Design", wie es für E-Autos durchaus üblich ist, gemeinsam mit Porsche – dort wird PPE (freilich nach oben skaliert) bei der E-Version des Porsche Macan zum Einsatz kommen. Das Design umfasst eine zwischen den Antriebsachsen platzierte Batterie und Motoren, die auf den Achsen sitzen. Dieses Konstruktionsprinzip hat sich bewährt, insbesondere im Hinblick auf die Raumnutzung im Innenraum und die Beinfreiheit für die Passagiere.

Fünf Hochleistungsrechner statt 150 Steuergeräte

Ein neues Konzept hat man sich aber auch einfallen lassen, um dem Fahrzeug quasi eine Art digitales Nervensystem mitzugeben, das leistungsstark genug ist, um die enorme Funktions- aber auch Datenmenge handhaben zu können. Waren dafür früher – und teilweise auch heute noch – bis zu 150 Steuergeräte verbaut, sind es hier "nur" noch fünf Hochleistungsrechner, die Audi "High Performance Computing Platform" (HCP) nennt. Jeder dieser Rechner ist für einen Kernbereich zuständig, zum Beispiel für Antrieb und Fahrwerk, Fahrassistenzsysteme, Infotainment- oder Komfortfunktionen.

Der Audi Q6 e-tron
Außen Plasma-Blau, innen vollgepackt mit Hochleistungsrechnern.
Audi AG

Um den hohen Datenanforderungen zu entsprechen, die besonders bei Software-Updates oder während des Betriebs von Fahrerassistenzsystemen auftreten, nutzt man zusätzlich zu traditionellen Automotive-Protokollen auch den Gigabit-Ethernet-Standard zur Vernetzung der Fahrzeugsysteme. Diese Systemrechner im Fahrzeug sind zudem so konzipiert, dass sie zukünftige Funktionserweiterungen aufnehmen können, um eine störungsfreie Funktionalität zu gewährleisten.

Von Displays umstellt

Vielleicht vorweg: Wer Benzin im Blut hat, dem wird es spätestens jetzt die Nackenhaare aufstellen, wenn das zuvor nicht ohnehin passiert ist. Sobald man sich nämlich in ein modernes Auto setzt, und der Q6 e-tron soll einfach nur als eines von vielen Beispielen dienen, muss man sich einfach damit anfreunden, ein bisschen in einer anderen Welt zu sitzen – sofern man noch Fahrzeuge mit analogen Anzeigegeräten und einer Vielzahl an "Knöpfen" kennt.

Der Audi Q6 e-tron
Sogar der Beifahrer bekommt mittlerweile ein eigenes Display spendiert. Was am Display passiert, kann der Fahrer während der Fahrt nicht sehen.
Audi AG

Hat man einmal Platz genommen, wird einem nämlich unmissverständlich klargemacht, dass einen das Smartphone endgültig bis ins Auto verfolgt hat – ohne es dabei haben zu müssen. Audi nennt es "Digital Stage" und verwendet dafür zwei (eigentlich sogar drei) Displays. Ein riesiges OLED-Panoramadisplay ist ergonomisch auf die Fahrerposition ausgerichtet. In geschwungener Linie setzt es sich aus zwei Teilen zusammen: dem 11,9 Zoll großen Audi "Virtual Cockpit" und dem 14,5 Zoll großen Touchdisplay. Ein weiteres 10,9-Zoll-Display extra für den Beifahrer verhindert, dass der Fahrer während der Fahrt durch visuelle Medieninhalte abgelenkt wird, und bietet separate Unterhaltungsmöglichkeiten.

Der Audi Q6 e-tron
Dank Head-up-Display werden Informationen in das reale Sichtfeld des Fahrer eingeblendet.
Audi AG

Das ist noch nicht alles: Ein optionales Head-up-Display projiziert wichtige Informationen wie Geschwindigkeit, Verkehrszeichen und Navigationshinweise direkt auf die Windschutzscheibe, sodass sie vermeintlich bis zu 200 Meter vor dem Fahrzeug in der Luft "schweben". Diese Integration der virtuellen Daten in das reale Sichtfeld des Fahrers erleichtert das schnelle Erfassen der Informationen, ohne dabei abzulenken oder zu irritieren. Aus der Fahrerperspektive entspricht das Sichtfeld einer Bildschirmdiagonale von etwa 88 Zoll, wodurch der Augmented-Reality-Eindruck verstärkt wird und das Fahrerlebnis signifikant verbessern soll.

Ebenfalls dazu gedacht, um nicht vom Fahren abgelenkt zu werden, ist eine KI-gestützte Sprachsteuerung. Der sogenannte Audi Assistant ermöglicht die Steuerung verschiedener Fahrzeugfunktionen und lernt aus dem Nutzerverhalten, um angepasste Vorschläge und automatisierte Routinen anzubieten. Dieses System verspricht die fahrende Person durch proaktive Vorschläge und intelligente Anpassungen zu unterstützen, die auf den jeweiligen Kontext und wiederkehrende Bedürfnisse abgestimmt sind. Inwieweit dieses Versprechen eingelöst wird, konnte freilich nicht überprüft werden – in einem ersten "Gespräch" überraschte der Assistant immerhin mit schnellen Reaktionszeiten.

Android im Auto

Apropos schnelle Reaktionszeiten: Das gilt auch für das Touchdisplay, mit dem sich das Infotainmentsystem im Fahrzeug steuern lässt. Erstmals bei Audi basiert es auf dem Betriebssystem Android Automotive OS, das laufend über Over-the-Air-Updates aktuell gehalten wird. Die Bedienung erfolgt dementsprechend intuitiv und einfach wie bei einem Smartphone, mit einem kleinen Unterschied: Während sich der Großteil des Bildschirmbereichs individualisieren lässt, sind der linke Rand für eine feste Menüstruktur und eine Art virtuelle Leiste für Klimafunktionen im Innenraum vorgesehen.

Audi-Workshop
Das Erfassen und die Bedienung des Displays erfordert nur kurze Eingewöhnungszeit. Das Head-up-Display sieht nur der Fahrer.
Audi

Das Betriebssystem inkludiert im Übrigen auch einen Store für Drittanbieter-Apps, der fest im Infotainment verankert ist. Der Store setzt kein Smartphone für die Nutzung voraus und bietet Zugang zu einer Vielzahl von Apps in Kategorien wie Musik, Video, Gaming, Navigation, Parken & Laden, Produktivität, Wetter oder Nachrichten. Eine Einschränkung gibt es allerdings schon: Anders, als man es etwa vom Play Store kennt, müssen die Apps auch von Audi genehmigt werden, bevor sie im Store aufscheinen.

Zum Infotainment zählen nicht zuletzt zwei weitere Neuerungen: Ein Soundsystem, das aus 20 Lautsprechern besteht und sogar vier Speaker in den Kopfstützen der Vordersitze integriert hat, soll erstmals getrennte Soundzonen im Fahrzeug ermöglichen. Zudem soll ein dynamisches Interaktionslicht, das sich als Bogen unter der Windschutzscheibe entlangzieht, zu einer verbesserten Interaktion zwischen Fahrzeug und Insassen beitragen. Es visualisiert wichtige Informationen und Warnungen im Innenraum, etwa das Annähern von Fahrzeugen beim Aussteigen oder den Batteriestatus, wenn das Fahrzeug geladen wird.

Nicht für alle Ohren Zukunftsmusik

Audi versucht mit seiner neuen Plattform für E-Autos, die im Q6 e-tron Premiere feiert, sein jahrzehntealtes Motto neu zu erfinden – mit dem großen Unterschied, dass man es auch mit digitalen Spielereien im Innenraum für alle Insassen greifbarer machen möchte. Einem kurzen, ersten Eindruck nach scheint dies auch gut gelungen zu sein. Greifbar ist insofern allerdings relativ, als dass der Spaß für die ersten Modelle laut Datenblatt ab rund 65.000 Euro aufwärts beginnt.

Das dürfte einmal mehr vor Augen führen, was der EU-Rechnungshof erst vor kurzem festgestellt hat: dass viele E-Autos für die Masse einfach noch zu teuer sind. Aus technischem Standpunkt, auch oder gerade aus Sicht eines Tech-Journalisten, geht einem natürlich das Herz auf, wenn man sich an so einem Beispiel ansieht, was mittlerweile alles schon machbar ist. Wer sich freilich schon im Umgang mit einem Smartphone nicht wohl oder genervt fühlt, wird hinter dem Steuer eines solchen Fahrzeugs nicht glücklich werden. Die Frage, ob alles, was machbar ist, auch gemacht werden sollte, ist an anderer Stelle zu diskutieren. (Benjamin Brandtner, 26.4.2024)