2024 starb der Texaner Alexander Paulus. Mit sechs Jahren war er an Kinderlähmung erkrankt und konnte nur dank der Eisernen Lunge überleben. Schon 1935 trauerte in Wien der Schriftsteller Franz Werfel um seine Stieftochter Manon Gropius. "Mutzi" war ein frühes Opfer der Poliomyelitis.

Ein an Polio erkrankter Junge in einer sogenannten Eisernen Lunge
Ein an Polio erkrankter Junge in einer sogenannten Eisernen Lunge (ca. 1955).
National Museum of Health and Medicine

Polio – gezeichnet fürs Leben

1908 gab es den ersten großen Ausbruch der Kinderlähmung in Österreich, ab den 1940er-Jahren wütete das hochinfektiöse Virus teils gnadenlos. Zwischen 1946 und 1961 erkrankten 13.000 Kinder, 1500 verstarben. Im Jahr 1947 kam es zu über 3500 Erkrankungen und 315 Todesopfern. Oft wurde die Krankheit fälschlicherweise als Grippe diagnostiziert, manchmal verlief sie symptomlos, wodurch die Dunkelziffer vermutlich sogar höher war. Übertragen wurde Kinderlähmung meist durch Schmier-, manchmal durch Tröpfcheninfektionen. Die Erkrankten litten an Fieber, Hals-, Kopf- oder Muskelschmerzen, Nackensteifheit, Übelkeit oder Lähmungserscheinungen. Gefürchtet war die Krankheit vor allem wegen möglicher körperlicher Folgeschäden. Lähmungen oder Wachstumsstörungen ließen Kinder zu Invaliden werden.

Sobald die Krankheit diagnostiziert war, mussten die Patient:innen vier Wochen in eine Isolieranstalt, vielfach ohne Kontakt zu den Eltern. Grassierten Polio-Epidemien, wurden Kinderfreibäder geschlossen, Kinos erst für Besucher:innen ab 21 Jahren geöffnet oder Versammlungen von Jugendlichen verboten.

Auch wenn es sich um eine Viruserkrankung handelte, versuchte man es mit einem Medikament. An der Innsbrucker Kinderklinik entwickelte Hans Deuretsbacher eine Therapie gegen die Kinderlähmung auf Grundlage des entzündungshemmenden und fiebersenkenden Mittels Pyramidon, die in Österreich bis Ende der 1950er-Jahre angewendet wurde, aber höchstens Symptome bekämpfte.

Eiserne Lunge – die Beatmungsmaschine als Lebensretter

Bei rund 13 Prozent der an Kinderlähmung Erkrankten war die Atemmuskulatur befallen, wodurch Erstickungsgefahr bestand. Dann half nur mehr maschinelle Unterstützung.

Bereits um 1900 hatte der damals in Siebenbürgen praktizierende österreichische Arzt Rudolf Eisenmenger den "Biomotor" erfunden. Der traurige Anlass dafür: seine Nichte, die an Keuchhusten erstickte. Bei dem Biomotor handelte es sich um einen Metallzylinder, der den Körper der Patient:innen vom Hals abwärts eng umschloss. Zunächst mit Pedalkraft, ab 1924 elektrisch betrieben, unterstützte der Apparat Erkrankte beim Atmen durch Erzeugung von Sog und Druck über dem Bauch und dem unteren Brustkorb.

Bereits 1903 ließ Eisenmenger seine Erfindung patentieren und ab 1904 von einer Münchner Firma in Größen für Kinder und Erwachsene produzieren. Der Biomotor fand in vielen Krankenhäusern bei Kinderlähmung Anwendung. In den 1920er-Jahren wurde dieses System von dem amerikanischen Arzt Philip Drinker zur Eisernen Lunge weiterentwickelt. Manche Betroffene benötigten sie nur vorübergehend, andere ein Leben lang.

Ein Stück Zucker hilft

Anfang der 1950er-Jahre kam der erste Impfstoff gegen Kinderlähmung auf den Markt, entwickelt von Jonas Salk. Wenig später folgte Albert Salbins Schluckimpfung. Noch gab es aber Pannen: 1955 führte in den USA der Impfstoff aufgrund eines Produktionsfehlers in dem Pharmaunternehmen Cutter Laboratories zu verheerenden Folgen: Tausende Kinder erkrankten, einige verstarben.

Aufgrund dieses als Cutter-Incident bekanntgewordenen Vorfalls stieg auch in Österreich die Impfskepsis. 1958 war es aber dennoch in unserem Land so weit und der Impfstoff erhältlich. Ab den 1960er-Jahren wurden auf gesetzlicher Basis Massenimpfaktionen mit oraler Poliovakzine durchgeführt. Bereits 1961 erhielten 2,5 Millionen Menschen die Schluckimpfung. Österreich war hier mit seinen "Drei Tropfen und ich bin gesund" internationaler Vorreiter – und das mit Erfolg: 1980 war die Krankheit ausgerottet. Damit es so bleibt, gehört die Immunisierung heute zum Gratis-Impfprogramm für Kinder im Rahmen der Sechsfach-Impfung.

Dass Europa seit 2002 als Polio-frei gilt und auch in vielen anderen Ländern weltweit das Virus nicht mehr dauerhaft existiert, ist jahrzehntelangen Impfprogrammen und entsprechender Aufklärung zu verdanken. Vor allem Pakistan, Afghanistan oder Nigeria sollten hier noch nachziehen. (Daniela Angetter-Pfeiffer, 2.5.2024)