Ein belgisches Gericht hat am Montag einen Mann vom Vorwurf der Trunkenheit am Steuer freigesprochen, obwohl dieser nachweislich und mehrfach einen bedenklich hohen Alkoholspiegel im Blut hatte. Dieser kuriosen Geschichte liegt eine sehr seltene Stoffwechselerkrankung zugrunde, die für den betroffenen Mann keineswegs lustig ist.

Beim sogenannte Eigenbrauer-Syndrom (ABS) ist das Mikrobiom des Darmes so weit gestört, dass sich Hefepilze ansiedeln und stark vermehren können. Die einzelligen Pilze sorgen für eine alkoholische Gärung im Bauch, leberschädigende Substanzen wie Ethanol, Methanol oder Butanol werden freigesetzt – und machen den Erkrankten zum unverschuldet Betrunkenen, wenn nicht gar zum Alkoholiker.

Verzerrter Abendverkehr
Betrunken im Straßenverkehr, obwohl man gar keinen Alkohol zu sich genommen hat? Eine seltene Stoffwechselerkrankung macht dies möglich.
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Unfreiwillig besoffen

Weltweit sind kaum mehr als 20 offiziell bestätigte Fälle bekannt, die Dunkelziffer dürfte freilich deutlich höher liegen. Studien haben gezeigt, dass sich Betroffene durchaus betrunken fühlen können, mit all ihren Auswirkungen auf Sprachvermögen und motorischen Fähigkeiten. Bisweilen bleibt der Zustand aber auch symptomlos.

Forscher vermuten, dass ABS mit einer längeren Einnahme von Antibiotika, schlechter Ernährung und Vorerkrankungen wie Diabetes in Zusammenhang steht. Auch eine genetische Variante, die zu ungewöhnlicher Aktivität der Leberenzyme führt, wird diskutiert.

Nicht nur für das Sozialleben ist das eine Katastrophe, wie der aktuelle Fall zeigt: Der Belgier hat erstmals 2019 seinen Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer für eine Weile verloren, da half auch keine Beteuerung, dass er doch gar nichts getrunken habe. Im April 2022 wurde er wieder angehalten und zu einem Alkoholtest unterzogen. Das Ergebnis: 1,8 Promille laut dem Atemalkoholmessgerät und eine weitere saftige Geldstrafe. In Belgien gilt für den Straßenverkehr ein Grenzwert von 0,44 Promille.

Keinen Tropfen angerührt

Als er bei einer neuerlichen Kontrolle einen Monat später mit 1,42 Promille erwischt wurde, obwohl er auch dieses Mal keinen Tropfen angerührt hatte, beschloss der Mann, sich juristisch zu wehren. Er nahm sich eine Anwältin und machte vor dem Gericht seine seltene Stoffwechselkrankheit geltend, die gegen seinen Willen Alkohol produziere, wie der staatliche belgische Fernsehsender VRT berichtete. Bis dahin war ihm sein bedenklicher Gesundheitszustand gar nicht klar gewesen.

Mit seiner Klage hatte er nun Erfolg: Alle Strafen gegen den 40-jährigen Mann wurden abgewiesen, nachdem es das Gericht als erwiesen erachtete, dass der Betroffene am Eigenbrauer-Syndrom leidet. Der Richter räumte ein, dass bei dem Belgier trotz der hohen Promillezahlen keine Symptome einer Alkoholvergiftung zu erkennen waren. Den Vorschlag der Staatsanwaltschaft, den Mann generell für fahruntüchtig zu erklären, lehnte er ab. Allerdings wies er den Belgier an, auf seine Erkrankung mit allen medizinischen Möglichkeiten zu reagieren.

Diätwechsel und Transplantation

Anse Ghesquiere, die Anwältin des Mannes, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass für ihren Mandanten auch dessen Arbeitgeber, eine Brauerei, "ein weiterer unglücklicher Zufall" sei. Aber drei Ärzte, die ihn unabhängig voneinander untersuchten, bestätigten demnach, dass er am Eigenbrauer-Syndrom erkrankt sei.

Ghesquiere betonte, dass sie und ihr Mandant noch auf die formelle Bestätigung des Freispruchs warten müssten. Die Staatsanwaltschaft habe noch einen Monat Zeit, um Berufung einzulegen. Der Betroffene ist derweil auf eine kohlenhydratarme Diät umgestiegen, um zu verhindern, dass seine Eingeweide noch mehr Alkohol produzieren. Einer Stuhltransplantation hatte er sich bereits zuvor unterzogen. Die neue, gesunde Darmflora soll dafür sorgen, dass sich seine Verdauung wieder normalisiert. (tberg, 23.4.2024)