Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist eine feine Sache: Sie ist es, die sicherstellt, dass die eigenen Konversationen wirklich nur von Sender und Empfänger gelesen werden können. Dritte haben hier keinerlei Einblick, und das gilt selbst für den Betreiber des jeweiligen Service. Das ist gut für die Privatsphäre, erfreulich für die Nutzerinnen und Nutzer – und Sicherheitsbehörden ein echter Dorn im Auge. Seit Jahren wird entsprechend auf unterschiedlichsten Wegen versucht, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu schwächen oder gleich Hintertüren einzuführen. Nun soll offenbar frischer Druck in diese Richtung aufgebaut werden.

Going dark?

In einer gemeinsamen Erklärung warnen Europol und die Polizeichefs Europa vor den Gefahren durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Dadurch würden "Räume außerhalb der Reichweite der Strafverfolgungsbehörden geschaffen", heißt es. Ein Phänomen, das die Behörden schon seit längerem als "Going dark" framen, insofern ist das Argument nicht gerade neu. Dafür greift man dieses Mal zu besonders drastischer Sprache:

Ein Foto eines Smartphones auf dem ein Signal-Chat zu sehen ist.
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (im Bild Signal) schützt die Chats vor Augen Dritter, das gefällt nicht allen.
Signal Foundation

"Unsere Wohnungen werden gefährlicher als unsere Straßen, da sich die Kriminalität ins Internet verlagert. Um die Sicherheit unserer Gesellschaft und der Menschen zu gewährleisten, muss dieses digitale Umfeld gesichert werden", formuliert es Europol-Chefin Catherine De Bolle. Und weiter: "Technologieunternehmen haben eine soziale Verantwortung, ein sichereres Umfeld zu schaffen, in dem Strafverfolgung und Justiz ihre Arbeit tun können. Wenn die Polizei nicht mehr in der Lage ist, Beweise zu sammeln, wird unsere Gesellschaft nicht in der Lage sein, die Menschen davor zu schützen, Opfer von Verbrechen zu werden."

Meta als Hauptfeind

Im Fokus der Kritik steht dabei vor allem Meta, das mit Whatsapp den größten Messenger der Welt herstellt, bei dem Chatinhalte ebenfalls Ende-zu-Ende-verschlüsselt werden. Dass diese Form des Schutzes nun auch auf den Facebook Messenger ausgedehnt wird, erzürnt die Sicherheitsbehörden besonders. Das würde nämlich – so die Argumentation – Strafverfolgungsbehörden daran hindern, Beweise zu schwersten Straftaten wie Kindesmissbrauch, Menschenhandel, Drogenschmuggel, Mord, Wirtschaftskriminalität und terroristischen Straftaten zu sammeln.

Die Erklärung versteht sich vor allem als ein Appell, und zwar einer an Politik und Industrie gleichermaßen. Diese müssten also handeln, um den Behörden Zugriff auf sämtliche Chats zu gewährleisten. Die Gesellschaft habe bisher keine Räume geduldet, in denen Kriminelle gefahrlos außerhalb der Reichweite der Strafverfolgung kommunizieren konnten, und das müsse auch weiterhin so bleiben. Ein ziemlich gewagter Vergleich, immerhin wäre das Pendant zum Mitlesen in Chats, dass auch im öffentlichen und privaten Raum Protokolle sämtlicher Gespräche aufgezeichnet werden, falls die Polizei das einmal brauchen könnte. Dass dies derzeit der Fall ist, wollte aber wohl auch Europol nicht insinuieren.

Sichere Überwachung?

Die Sicherheitsbehörden betonen aber ohnehin, dass es sehr wohl Technologien gebe, die sowohl den Datenschutz gewährleisten als auch die öffentliche Sicherheit garantieren. Was damit konkret gemeint ist, bleibt unklar. Alle bisher bekannten Technologien laufen aber auf die Einführung von Hintertüren auf Smartphones hinaus, wie Sicherheitsexperten und Datenschützer seit Jahren unisono wiederholen.

Bemerkenswert ist ebenfalls, dass Europol und die Polizeichefs sich zu einem öffentlichen Statement in dieser Frage entschieden haben. Immerhin sind sie üblicherweise auch so recht nahe am Ohr der jeweiligen Regierungen. Derzeit scheint man aber den öffentlichen Druck für notwendig zu halten, um mit den eigenen Plänen voranzukommen.

Wirklich ein Problem?

Dass "Going dark" ein wirkliches Problem darstellt, ist übrigens ebenfalls umstritten, wie Netzpolitik.org herausstreicht. So kam etwa eine Studie des niederländischen Justizministeriums 2023 zum Schluss, dass sich die Polizei schon in früheren Jahren regelmäßig alternative Wege suchen musste, um an relevante Informationen zu kommen. Und für gezielte Fahndung gibt es auch bei effektiver Verschlüsselung weiterhin allerlei Wege. (Andreas Proschofsky, 23.4.2024)