Die Bauern haben mit ihren lautstarken Protesten ganze Arbeit geleistet. Die EU-Kommission hatte Mitte März Zugeständnisse an die Landwirtschaft vorgeschlagen, der Rat hat sie Ende März im Eilverfahren durchgewunken, das EU-Parlament schloss sich im April an. Ausnahmen von Umweltauflagen und Kontrollen sollen nun den Bürokratieaufwand durch den Abbau von Nachweis- oder Dokumentationspflichten schmälern.

All das gibt es ohne langwierige Beratungen in den Fachausschüssen. Ein formaler Beschluss könnte noch bei der letzten Plenarsitzung vor der Europawahl Ende des Monats fallen. Die Änderungen können Ende des Frühlings in Kraft treten. Ein langsamer Abschied vom grünen Pfad im Rahmen des Green Deal?

Ein Gummistiefel hängt am umgedrehten Ortsschild im deutschen Schwalldorf.
Es waren vor allem die deutschen Landwirte, die angesichts drohender Subventionskürzungen im Land eine regelrechte Protestwelle lostraten.
IMAGO/Ulmer

Der Grüne Thomas Waitz sieht das so. "Nach ihrer Krönung zur EU-Spitzenkandidatin wirft Ursula von der Leyen ihrer Europäische Volkspartei ein billiges Wahlzuckerl hin, dass eine vermeintliche Lösung der Bauernproteste darstellen soll" urteilt der EU-Abgeordnete. "Die Geburtshelferin des Green Deal betätigt sich damit auch als dessen Totengräberin und reißt die wenigen Elemente des Klima- und Artenvielfaltschutzes in der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik, Anm.) ein." Tatsächlich ist in der jüngeren Vergangenheit einiges passiert, so manches Vorhaben, das die Landwirtschaft nachhaltiger machen sollte, landete in der Schublade.

Pestizidreduktion auf Eis

Etwa die bereits vor den nun anstehenden Änderungen in der GAP geplante Pestizidreduktion. Es war eine hitzige Debatte, die mit dem Vorschlag einherging, den Einsatz von Pestiziden in der EU um 50 Prozent bis 2030 zu reduzieren – bis im November das EU-Parlament davon abrückte. Im Februar dieses Jahres zog die EU-Kommission die Novellierung der sogenannten Sustainable Use Regulation (SUR) zurück. "Der Vorschlag hat polarisiert", erklärte von der Leyen. Nicht machbar, hieß es auch bei Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP). Dieses Gesetzesvorhaben wurde auf die neue Amtszeit nach der EU-Wahl verschoben. Eine im Green Deal verankerte ambitionierte Regelung liegt damit bis auf weiteres auf Eis.

Weniger strenge Auflagen

Umweltpolitisch bewege sich die Kommission bei weiteren und in langen Debatten schwer errungenen Vorhaben im Krebsgang, so empfinden es Kritiker. Etwa mit der Aufweichung der GLÖZ-UmweltStandards (Standards für einen guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand, Anm.). Nur wer sich an diese Standards, die im Zuge der GAP-Reform für die Förderperiode 2023 bis 2027 erweitert wurden, hält, kann von den milliardenschweren Direktzahlungen profitieren. Nun soll etwa der Schutz von Dauergrünland wie Wiesen oder Weiden (die mindestens fünf Jahre nicht umgebrochen werden sollen) abgeschwächt werden. Betriebe dürfen also mehr Wiesenflächen in Ackerland umwandeln. Das würde vor allem Tierhaltern zugutekommen, die wegen sinkender Einnahmen auf den Getreideanbau umstellen. Umweltverbände kritisieren, die Kommission verabschiede sich "gänzlich von den Biodiversitätszielen des europäischen Green Deal".

Ein paar Traktoren folgten auch einem Protestaufruf der freiheitliche Bauernschaft in diesem Jänner in Wien.
Während die Proteste in vielen anderen Ländern Europas teilweise sehr heftig ausfielen, stieß ein Protestaufruf der freiheitliche Bauernschaft in diesem Jänner in Wien auf verhaltenes Interesse der Landwirte. Nicht allzu viele rollten mit ihren Traktoren an.
APA/HANS KLAUS TECHT

Inwieweit das in Österreich Auswirkungen haben könnte, darüber gehen die Ansichten auseinander. Österreich mit seinem hohen Anteil an Dauergrünland sei davon gar nicht betroffen, sagen Branchenkenner. Der Grünen-Politiker Waitz sieht das anders. Landwirte könnten darauf spitzen, aus Grünland Äcker zu machen, warnt er. Auch die Verpflichtung zur Bodenbedeckung soll flexibler werden. Derzeit müssen gewisse Ackerflächen über den Winter eine Mindestbodenbedeckung aufweisen. Das soll Erosion vorbeugen und dient damit dem Bodenschutz. Nun sollen EU-Staaten die "sensible Periode", während der Böden mit Vegetation bedeckt sein müssen, flexibel definieren können.

Ebenso wurde von der Verpflichtung, einen Teil der Ackerfläche brachzulegen oder unproduktiv zu nutzen, abgerückt. Die Regelung soll ausgesetzt werden – wie dies in der Vergangenheit bereits der Fall war. Stattdessen sollen die Mitgliedsstaaten die Landwirte belohnen, die trotz Lockerung Land brachliegen lassen. Auch das, argumentieren Österreichs Landwirtschaftsvertreter, würde in Österreich wenig Auswirkung haben, würde doch ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe (80 Prozent) bereits am (freiwilligen) Umweltprogramm ÖPUL teilnehmen.

Weniger Kontrollen

Gänzlich unterschiedlich fallen die Einschätzungen zu einem weiteren Zugeständnis aus. So sollen kleine Höfe mit weniger als zehn Hektar nicht mehr mit Kontrollbesuchen behelligt werden. Sie müssen nicht mehr mit Strafen rechnen, wenn sie sich nicht an die Regeln aus Brüssel halten. Die Kommission will damit den Verwaltungsaufwand für die Betriebe reduzieren. Dass die Kontrollen unter Kleinbetrieben abgeschafft werden, gehe ja noch an, aber bei den Großen sollen sie halbiert werden, sagt Waitz. Er verweist auf Riesenbetriebe wie jenen des früheren tschechischen Regierungschefs und Agrarmilliardärs Andrej Babiš in Tschechien. Die Agrarindustrie dürfe sich auf noch dünnmaschigere Kontrollen freuen. Landwirtschaftsvertreter sehen das anders: Die freiwerdenden Ressourcen durch weniger Kontrollen bei Kleinen sollen im Gegenteil zu mehr Prüfungen bei den Großen führen.

Kühe auf der Alm.
Kühe auf der Alm. Auf solche Bilder verweisen Österreichs Landwirtschaftsvertreter gern, wenn sie die heimische Landwirtschaft beschreiben. 2,76 Milliarden flossen 2023 an die landwirtschaftlichen Betriebe. Die üppigen Töpfe im Rahmen der GAP werden von EU, Bund und Ländern gespeist. Viel Geld kommt aus Brüssel.
APA/BARBARA GINDL

Es sind vor allem Umweltfachleute, die einen eklatanten Rückschritt in Klima- und Umweltfragen beklagen. Das große Ganze ist bei allen unterschiedlichen Einschätzungen unbestritten: Die Landwirtschaft muss, um Subventionen zu bekommen, weniger Leistungen für die Gesellschaft erbringen. Das Ausmaß der Folgen sei gar nicht abschätzbar, heißt es.

Keine Folgenabschätzung

So urteilt der Agrarökonom Sebastian Lakner von der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Uni Göttingen in seinem gemeinsamen (speziell auf deutsche Verhältnisse abgestellten) Blog mit dem Wissenschafter Norbert Röder, dass die aktuellen Änderungen in der GAP "im schlimmsten Fall einen Rückschritt bis ins Jahr 1990 bedeuten". Lakner spricht von einer "Wild-West-Vorgehensweise" der Kommission. "Der legislative Prozess dieser Änderungen erfolgte sehr schnell, es wurde von der Kommission keine Folgenabschätzung vorgelegt",, schreibt Lakner. Thomas Waitz pflichtet ihm bei. Auch er kritisiert eine fehlende Folgenabschätzung, dazu käme, dass das EU-Parlament in die Kehrtwende nicht ordentlich miteinbezogen worden sei. "Wir haben fünf Jahre verhandelt, und im zweiten Jahr der Anwendung wird schon wieder aufgeschnürt." Seine Sorge ist, dass es künftig für Maßnahmen, die die Landwirte ohnehin umsetzen, keine Förderung mehr geben könnte.

Bürde für die Zukunft

Die Reform im Dienste der Bauern könnte also auf längere Sicht nach hinten losgehen. Die Gefahr sieht auch Wifo-Agrarökonom Franz Sinabell. Viele der Bauernproteste hätten bei genauer Betrachtung wenig mit der GAP und ihren Regeln zu tun, vielmehr mit Klimapolitik, Umweltpolitik und Fiskalpolitik, urteilt Sinabell. Gegenüber jenen, mit deren Steuern die Gemeinsame Agrarpolitik finanziert werde, "sind die nun vorgenommenen Änderungen wohl nur sehr schwer vermittelbar. Das wird sich in den nächsten Budgetverhandlungen, für welche heuer bereits die ersten Vorbereitungen beginnen, als schwere Bürde erweisen." (Regina Bruckner, 22.4.2024)