Wenn man die Börse als einen Maßstab für die Wirtschaft heranzieht, dann geht es Österreich schlechter als 2007, also unmittelbar vor der Finanzkrise. Denn der heimische Leitindex ATX liegt etwa ein Viertel unter dem damaligen Höchstwert, während andere Aktienmärkte heuer Kursrekorde am laufenden Band erzielten. Zum Glück trifft das auf Österreichs Wirtschaft nicht zu, sie ist besser in Schuss als die Börse. Aber warum hinkt der heimische Aktienmarkt anderen so stark hinterher? Und gibt es Aussicht auf Besserung?

Der Standard

"Es gibt mehrere Gründe, die dazu führen", sagt Alois Wögerbauer, Geschäftsführer des Fondsanbieters 3-Banken-Generali, über die Schwäche der Wiener Börse. Zum Vergleich: Seit 2007, als alle Börsen markante Hochs ausbildeten, liegen die reinen Kursindizes von Dax und MDax für mittelgroße Werte je mehr als 40 Prozent im Plus. Bei der von den Technologieriesen beflügelten Wall Street beträgt der Wertzuwachs gemessen am S&P-500-Index sogar mehr als 240 Prozent.

Internationales Kapital

Allen voran führt Wögerbauer, der den Österreich-Fonds seines Hauses verwaltet, die Abhängigkeit von internationalen Investoren an, die für etwa drei Viertel der Umsätze sorgten, aber derzeit vom Wiener Markt nicht angetan seien. Generell seien derzeit nämlich Konzernriesen gefragt, weniger kleine und mittelgroße Börsenwerte, wie sie in Wien zu finden seien. Zudem würde das Land derzeit von US-Investoren aus geopolitischen Gründen, konkret wegen der wahrgenommenen Nähe zu Russland, kritisch beäugt.

Dies setzt eine Negativspirale in Gang, denn die Abkehr internationaler Anleger führt dazu, dass die Handelsumsätze ausdünnen. "Das besorgt mich sehr", sagt Wögerbauer, "für Profiinvestoren sind Umsätze das Wichtigste." Warum? Wer größere Beträge investiert, möchte sichergehen, dass der Markt liquide genug ist, um sein Kapital bei Bedarf schnell und ohne große Preisverwerfungen wieder herauszubekommen. Ist das wegen zu dünner Umsätze nicht der Fall, kommen viele Unternehmen für große Player für eine Veranlagung nicht infrage. "Das Thema Volumen ist ganz brisant", betont Wögerbauer.

Ein Mann geht durch den Empfangsbereich der Wiener Börse.
Ein ungünstiger Branchenmix, kaum Börsengänge und wenig Anziehungskraft für internationales Kapital setzen dem Wiener Aktienmarkt zu.
imago/Rainer Unkel

Was sagt die Wiener Börse dazu? Österreichs Leitbetriebe seien so liquide wie ihre europäischen Pendants aus vergleichbaren Branchen und bei ähnlicher Größe, heißt es auf Anfrage. Auf die Größe der Volkswirtschaft oder Unternehmen könne die Börse keinen Einfluss nehmen. Maßnahmen wie Investorenkonferenzen oder Feiertagshandel zielten darauf ab, die Liquidität erhöhen.

Sechs Prozent pro Jahr

Zudem verweist die Börse darauf, dass der ATX samt Ausschüttungen seit Berechnungsbeginn pro Jahr sechs Prozent Rendite eingespielt habe. Dividenden seien in Wien traditionell hoch, für heuer werde eine Rendite von etwa sechs Prozent prognostiziert. Ein Argument, das bei RBI-Chefanalyst Gunter Deuber nicht zieht: "Dividendenrendite sticht bei internationalen Investoren nicht so." Seit der Zinserhöhungen der Notenbanken böten Anleihemärkte vergleichbare Renditen.

Dazu kommt der Fokus des ATX auf die Branchen Finanz, Energie und Industrie – aus Deubers Sicht "keine wirklich schöne Kombination", da etwa Technologie weitgehend fehle. Daran wird sich so bald nichts ändern, zumal echte Börsengänge in Wien ohnedies Mangelware sind. Mit Bawag, FACC und Frequentis haben seit der Finanzkrise nur drei größere, international wahrnehmbare Gesellschaften diesen Schritt gewagt. Wie sieht das die Wiener Börse? Man sei für österreichische Unternehmen "die beste Bühne", da auch ein Platz im nationalen Leitindex ATX möglich sei. Heuer erwarte man "den einen oder anderen Börsengang."

Potenzial ausschöpfen

"Man sollte das Potenzial des heimischen Kapitalmarkts viel stärker für die Volkswirtschaft ausschöpfen", fordert Karl Fuchs, der als Geschäftsführer des Aktienforums die in Wien gelisteten Unternehmen vertritt. Dazu brauche es politischen Willen, im Regierungsprogramm stünden noch Maßnahmen, die auf Umsetzung warteten – womit er wohl die geplante Streichung der Wertpapier-KESt ab einer gewissen Behaltedauer meint.

Aber würde das die Wiener Börse wirklich unterstützen? "Es ist kein Befreiungsschlag, aber alles würde helfen", sagt Fondsmanager Wögerbauer. Ebenso, wenn heimische Pensionskassen mehr in Wien veranlagen würden. Sein Fazit: "Die Lage bleibt schwierig. Aus meiner Sicht wird sich nicht viel ändern." RBI-Chefanalyst Deuber verweist zwar darauf, dass es auch wieder günstigere Marktphasen für den ATX geben werde. "Aber die strukturellen Probleme bleiben", schränkt er ein. (Alexander Hahn, 19.4.2024)