Sprengstoffanschläge, Brandstiftung, Sabotage: Ausgerechnet im oberfränkischen Festspielstädtchen Bayreuth sind die deutschen Behörden einer Spionageaffäre auf die Spur gekommen, die Fachleuten in ihrer Dimension als bisher in Deutschland einzigartig erscheint. Inmitten der Anstrengungen der Berliner Ampelregierung, die von Russland überfallene Ukraine militärisch zu unterstützen, sollen zwei Deutschrussen Truppenübungsplätze sowie US-Militäreinrichtungen ausgespäht und, wie es heißt, bereits konkrete Anschläge geplant haben – im Auftrag Moskaus. Der Zweck: die ohnehin schleppend verlaufende deutsche Militärhilfe für die Ukraine zu sabotieren. Zuerst hatte "Der Spiegel" über die neue deutsche Spionageaffäre berichtet.

Auf dem US-Truppenstützpunkt im oberpfälzischen Grafenwöhr sind auch Abrams-Panzer stationiert, die sich die Ukraine lange gewünscht hatte.
AP

Wie am Donnerstag bekannt wurde, hat die deutsche Polizei tags zuvor die beiden deutsch-russischen Staatsangehörigen Dieter S. und Alexander J. in der oberfränkischen Wagner-Stadt festgenommen, unter dringendem Tatverdacht, wie es vom zuständigen Bundesgerichtshof in Karlsruhe heißt.

Besonders schwer wiegen die Vorwürfe demnach gegen Dieter S., den mutmaßlichen Rädelsführer. Ihm wird die "Verabredung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion" und zur Brandstiftung sowie "Agententätigkeit zu Sabotagezwecken und sicherheitsgefährdendes Abbilden militärischer Anlagen" nachgesagt. Mindestens seit Oktober soll S. mit einem mutmaßlichen russischen Geheimdienstagenten intensiv über mögliche Anschläge diskutiert haben.

Sabotage gegen deutsche Waffenlieferungen

S. soll dabei zusammen mit seinem mutmaßlichen Komplizen Alexander J. bereits potenzielle Ziele ausgekundschaftet haben, darunter dürften sich neben Bundeswehr-Objekten und Industrieanlagen auch US-Einrichtungen in Deutschland befunden haben, Kiews wichtigstem Waffenlieferanten. S. soll sich seinem russischen Kontaktmann zudem selbst als Attentäter angedient haben.

Der US-Truppenübungsplatz Grafenwöhr, etwa 45 Autominuten südlich von Bayreuth, soll dabei besonders intensiv ausgespäht worden sein: Dort werden ukrainische Soldaten am US-Kampfpanzer Abrams ausgebildet. Auch deutsche Verkehrswege, über die der Transport von Waffen in die Ukraine vonstattengeht, soll der 39-Jährige im Visier gehabt haben.

Am Donnerstag wurden indes noch weitere, besorgniserregende Details aus dem Lebenslauf des Hauptverdächtigen bekannt. Dieter S. soll sich von 2014 bis 2016 als Kämpfer in der Ostukraine aufgehalten haben – als Mitglied einer prorussischen Miliz der sogenannten Volksrepublik Donezk, die Russland 2022 schließlich annektiert hat. Auch eine Schusswaffe soll er besessen haben.

Weil die Miliz im Westen als Terrororganisation eingestuft wird, muss sich S. auch deswegen vor Gericht verantworten, hieß es am Donnerstag in einer Mitteilung des Karlsruher Gerichts. Alexander J. sollte noch am Donnerstag einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden, beide Männer befinden sich in Untersuchungshaft.

Polizeiauto vor Bundesgerichtshof.
Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich mit dem mutmaßlichen Spionagefall.
EPA/RONALD WITTEK

Der Innsbrucker Russland-Experte Gerhard Mangott hält die neueste deutsche Spionageaffäre im Gespräch mit dem STANDARD für bemerkenswert, was ihre Dimension betrifft: "Anschläge auf militärische Einrichtungen sind sicherlich eine Steigerung russischer Geheimdienstaktivität in Europa. Wenn die Vorwürfe stimmen, zeigt das, wie weit die russische Führung bereit ist, im Konflikt mit Europa zu eskalieren."

Auch für Jeremy Stöhs vom Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) ist der Umfang der aufgedeckten Spionage beachtlich. Die Sabotagepläne würden sich "in eine Reihe aktiver geheimdienstlicher Maßnahmen und politischer Morde durch Russland in Europa" einreihen. Habe man im Kalten Krieg solche Dinge noch abgestritten, so sei das Säen von Angst heute Teil der hybriden Kriegsführung Russlands, sagt er.

Generell, so Stöhs, gebe es in Europa schon seit dem Aufdecken der Abhöraktivitäten des US-Geheimdiensts NSA "eine höhere Sensibilisierung für das Thema Spionage", verstärkt werde dies nun aber durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Botschafter einbestellt

In Berlin reagierte man bestürzt – und gelobt volle Aufklärung. Außenministerin Annalena Baerbock ließ am Donnerstag den russischen Botschafter einbestellen, Justizminister Marco Buschmann sprach von einer Bedrohung durch den russischen Machtapparat, auf die Deutschland "wehrhaft und entschlossen reagieren" müsse. Für den CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter stellt die Affäre nur die "Spitze des Eisbergs" dar, Deutschland sei ein "Hauptziel russischer Einfluss- und Spionageoperationen". Innenministerin Nancy Faeser versprach: "Wir werden die Ukraine weiter massiv unterstützen und uns nicht einschüchtern lassen."

Warum Europas Behörden gerade jetzt so viele Spionageaffären aufdecken, hängt nach Ansicht des Politologen Mangott aber nicht nur mit verstärkter russischer Geheimdienstaktivität zusammen: "Ich halte es für durchaus möglich, dass diese Dinge gerade jetzt öffentlich gemacht werden, um die Bereitschaft der westlichen Regierungen aufrechtzuerhalten, die Ukraine finanziell und militärisch zu unterstützen." (Florian Niederndorfer, Fabian Sommavilla, 18.4.2024)