Ein echter Ensemblegeist konnte sich in der Ära Martin Kušejs  nicht durchsetzen, auch wenn dies von ihm oft bestritten wurde.
Ein echter Ensemblegeist konnte sich in der Ära Martin Kušejs nicht durchsetzen, auch wenn dies von ihm oft bestritten wurde.
TOBIAS STEINMAURER / APA / pictu

Europäisches Nationaltheater, Mehrsprachigkeit, Ensemblegeist und eine politische Positionierung gegen Rechtsradikalismus – der scheidende Burgtheaterdirektor Martin Kušej hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Herbst 2019 viele Ziele vor Augen. Dass er nun nach nur fünf Spielzeiten Österreichs Staatstheater verlässt, war damals nicht abzusehen. Er wollte mit Verve an die Sache herangehen.

Warum blieb dem bald 63-Jährigen das Glück verwehrt? Einem erfahrenen Intendanten wie ihm, der zuvor Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele und danach Leiter des Bayerischen Staatsschauspiels war, hätte man eine längere Amtszeit zugetraut. Doch die Zeiten und Ansprüche haben sich geändert. Kušej hat vermutlich unterschätzt, wie rasant sein offenkundig inadäquater Führungsstil das Werk ins Stocken geraten lassen hat. Bis dato zeigt sich der noch bis Sommer amtierende Direktor uneinsichtig und fühlt sich missverstanden. Eine selbstgerechte Haltung, von der man in Hinkunft gern weniger hätte.

Fliehkräfte beachtlich

Gewiss hat die Zeit der Pandemie eine komplexe und auf enge Zusammenarbeit angewiesene große Institution wie das Burgtheater vor große Herausforderungen gestellt und es auch erschwert, ein neu zusammengestelltes Ensemble nachhaltig zusammenzuführen. Viele Pläne wurden so zunichtegemacht, damit waren indes alle vergleichbaren Häuser konfrontiert. Die Stimmung am Haus blieb auch danach spürbar schlecht, wie immer wieder zu erfahren war. Der Traum vom Ensemblegeist hat sich jedenfalls nicht erfüllt.

Im Gegenteil, die Fliehkräfte waren beachtlich, ein Teil des neuen Ensembles verabschiedete sich bald wieder, als wäre es nicht sehr verlockend, an diesem Haus zu arbeiten. Vielsagend war zudem der überraschende Abgang von Kušejs Stellvertreterin Alexandra Althoff. Doch hat es Kušej geschafft, in seiner Amtszeit das bis dato diverseste Ensemble aufzubieten, das das Haus je hatte. Damit zog eine Internationalität ein, die an anderen Sprechbühnen im deutschsprachigen Raum allerdings auch State of the Art ist. War und ist es doch das erklärte kulturpolitische Ziel, Theater breitenwirksamer zu machen und damit auch eine weniger homogene Gesellschaft abzubilden.

Hängende Mundwinkel

Hilfreich war es nicht, noch vor dem eigentlichen Beginn das Ensemble als eine "Suppe" zu bezeichnen, die auszuschütten sei. Obacht auf die Wortwahl bei Antrittspressekonferenzen! Übrigens kommt es bei derlei Zusammenkünften auch nicht gut an, davon zu sprechen, dass Frauen die große Bühne einfach nicht schaffen. Kein Ruhmesblatt war auch der sorglose Umgang mit dem Fall Teichtmeister.

Die hängenden Mundwinkel und die Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und Realität hatten sich über die Jahre zunehmend festgesetzt. Besonders irritierend war Kušejs Unbeweglichkeit. Während Staatsoperndirektor Bogdan Roščić auch in der Pandemie Flagge zeigte, stellte Kušej auf stur und schrieb ein (selbstreferenzielles) Buch. Selbst die (immer anonyme) Kritik an seinem Führungsstil kümmerte ihn nicht. Kušej tat diese lapidar ab mit dem bemerkenswerten Satz, er "höre das seit zehn Jahren". Daraus Schlüsse zu ziehen erachtete Kušej als nicht notwendig. Das steht jemandem in einer derart machtvollen Position als regieführendem Intendant schlichtweg nicht gut zu Gesicht.

Außenseiter-Image

Kušej hat sich immer mehr zum Außenseiter stilisiert, obwohl er einer der bedeutendsten Staatsinstitutionen vorsteht. Das Verständnis dafür blieb bescheiden, auch aufseiten der Politik. Man mag seine beiden Abschlussinszenierungen dieser Saison, Molières Menschenfeind und Tennessee Williams' Ausgrenzungsmelodram Orpheus steigt herab, als letzte Visitenkarten seiner Befindlichkeit interpretieren.

Als vielleicht größte Errungenschaft der Ära Kušej wird die Wiederentdeckung von Autorinnen wie Anna Gmeyner oder Maria Lazar in Erinnerung bleiben. Gleich 2019 tat das Burgtheater mit der Inszenierung von Lazars Der Henker einen Vorstoß und trat eine Aufführungswelle los, die bis heute, auch in Deutschland, anhält. Der Direktionsposten geht aber auch mit sozialer Verantwortung einher. Zu dieser bekennt sich sein Nachfolger Stefan Bachmann nach eigenen Erfahrungen entschieden. Nächste Woche stellt dieser sein Programm vor. (Margarete Affenzeller, 19.4.2024)