Eine Luftaufnahme von Shanghai, eine Flussschleife zieht sich durchs Bild, am Horizont stehen Wolkenkratzer.
Das Finanzviertel von Schanghai am Fluss Huangpu. Die Stadt sank während der letzten hundert Jahre um bis zu drei Meter ab.
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Dass der steigende Meeresspiegel durch den Klimawandel Küstenstädte bedroht, ist seit längerem bekannt. Ein zweiter Effekt droht das Problem zu verschärfen. Nicht nur das Wasser steigt, es sinken zudem auch die Städte. Das belegt eine neue Studie, die ein Team um Zurui Ao von der South China Normal University im Journal "Science" veröffentlichte.

Mithilfe von Satellitendaten untersuchten Ao und sein Team die Topografie von 82 Städten in China mit einer Bewohnerzahl von insgesamt fast 700 Millionen Menschen. Es zeigte sich, dass 45 Prozent der untersuchten urbanen Gebiete sinken.

In einem Hintergrundartikel für "Science" ordnen Robert Nicholls von der US-amerikanischen University of East Anglia und Manoochehr Shirzaei von der United Nations University for Water, die nicht in die Studie involviert waren, das neue Ergebnis ein.

Schanghai und Peking betroffen

Sie betonen, dass es sich ein globales Problem handelt. Am Beispiel Chinas sei ersichtlich, dass Küstengebiete wie Tianjin gefährdet sind. Was im schlimmsten Fall passieren kann, zeigte sich 2005, als der Hurricane Katrina New Orleans überflutete.

Doch auch die Metropolen Schanghai und Peking sind stark betroffen. Chinas größte Stadt Schanghai etwa sank im letzten Jahrhundert um bis zu drei Meter. Peking gehört zu den am stärksten sinkenden Regionen und sinkt mit einer Geschwindigkeit von einem Zentimeter pro Jahr. Das mag nach wenig klingen, summiert sich aber im Lauf von Generationen zur Größenordnung von Metern.

Es handelt sich nicht um einen natürlichen Vorgang. Ausgelöst wird der Effekt durch menschliche Aktivität in den Städten. Hauptsächlich ist es die Entnahme von Grundwasser, dazu kommt das Gewicht der Gebäude, gemeinsam mit geologischen Effekten. In Tokio und Osaka, wo in den 1970er-Jahren das Abpumpen von Grundwasser gestoppt wurde, verlangsamte sich das Sinken stark.

Schwerer zu managen ist das Sinken durch Vibrationen des Verkehrs. In Peking sinken Gebiete in der Nähe von U-Bahnen und Autobahnen mit mehr als vier Zentimetern pro Jahr.

Im Vordergrund Schiffe auf einem Fluss, im Hintergrund dicht stehende Hochhäuser.
Der Pudong-Bezirk von Schanghai. Die ganze Region liegt im Schnitt nur vier Meter über dem Meeresspiegel.
APA/AFP/HECTOR RETAMAL

Unter Meeresniveau

Das Sinken der Städte verschärft das Problem des steigenden Meeresspiegels durch den Klimawandel. In den vergangenen hundert Jahren stieg der Meeresspiegel global um durchschnittlich 0,17 Meter. Die Geschwindigkeit des Anstiegs hat zuletzt zugenommen. Im späten 20. Jahrhundert betrug der Anstieg noch 1,7 Millimeter pro Jahr, Anfang des 21. Jahrhunderts lag der Wert bereits 3,1 Millimetern.

Zwar ist es möglich, Dämme anzupassen. Doch irgendwann genügt das nicht mehr. In hundert Jahren könnte sich so die urbane Fläche Chinas, die unter Meeresniveau liegt, verdreifachen. Davon wären zwischen 55 und 128 Millionen Menschen betroffen.

"Das Absinken gefährdet die strukturelle Stabilität von Gebäuden und kritischer Infrastruktur und verschärft die Auswirkungen des Klimawandels in Form von Überschwemmungen, insbesondere in Küstenstädten, wo es den Anstieg des Meeresspiegels verstärkt", sagt Nicholls gegenüber dem Wissenschaftsjournal "Science".

Sinkende Städte in den USA

Das Problem ist nicht auf China beschränkt. Auch die Städte der Ostküste der USA sinken langsam ab. Dort sind es die dichtbesiedelten Gebiete wie New York, Baltimore und Norfolk, die am stärksten absinken. In den USA beträgt die Sinkgeschwindigkeit nur vergleichsweise geringe ein bis maximal vier Millimeter pro Jahr. Sorgen bereitet auch das. Ohne eine Anpassung der Küstenstrukturen würden bis 2050 hunderttausende Menschen häufig mit schweren Überschwemmungen zu rechnen haben. In den USA sind neben langfristigen geologischen Prozessen ebenfalls menschliche Einflüsse in Form von städtebaulichen Maßnahmen verantwortlich.

Nicholls zeigt sich beeindruckt von den Möglichkeiten der neuen Studie, die Höhenveränderung von Städten aus der Luft zu messen. Doch das könne nur der erste Schritt sein, es brauche Maßnahmen. "Viele Städte und Gebiete weltweit entwickeln Strategien zur Bewältigung der Risiken des Klimawandels und des Anstiegs des Meeresspiegels", sagt Nicholls. "Wir müssen aus diesen Erfahrungen lernen, um auch der Gefahr von Bodensenkungen zu begegnen, die häufiger vorkommt als bisher angenommen." (Reinhard Kleindl, 18.4.2024)