Ausschnitt Fußballfeld
11,5 Hektar Boden – das sind 16 Fußballfelder – werden in Österreich pro Tag (!) versiegelt.
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Ende Februar haben die Bundesländer gegen eine verbindliche Obergrenze beim Bodenverbrauch votiert. Nun hat ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner nachgezogen und der im Regierungsprogramm verankerten Obergrenze von zweieinhalb Hektar Bodenverbrauch pro Tag – etwa dreieinhalb Fußballfeldern – eine Absage erteilt. In den letzten Jahren lag der tägliche Bodenverbrauch bei 16 Fußballfeldern.

Bedenkt man die Fehlanreize durch den heimischen Föderalismus und parteipolitisches Taktieren in Vorwahlzeiten, so ist die Ablehnung einer effektiven Bodenschutzstrategie nicht überraschend. Allerdings ist die Begründung von Brunner eine Reflexion wert, weil sie tief in herrschende wirtschaftspolitische Denkmuster blicken lässt.

"Gerade wer für Wirtschaftswachstum eintritt, muss einer strengeren Umweltpolitik zustimmen."

Eine verbindliche Grenze für den Bodenverbrauch würde, laut Brunner, das Wirtschaftswachstum einschränken und sei daher abzulehnen. Damit wird aber das Mantra des umweltverträglichen Wachstums infrage gestellt, nämlich die Entkopplung von Umweltkonsum und Wirtschaftswachstum. Ohne eine solche Entkopplung führt weiteres Wirtschaftswachstum zum Überschreiten der Belastbarkeitsgrenzen des Planeten. Es mag paradox klingen, aber gerade wer für Wirtschaftswachstum eintritt, muss einer strengeren Umweltpolitik zustimmen, weil Wachstum ansonsten einen noch höheren Umweltverbrauch verursacht. Zugegeben, Green Growth als Konzept ist bisher zwar gescheitert, und freilich führt eine stagnierende Wirtschaft keineswegs automatisch zu mehr Umweltschutz. Aber wer die Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch infrage stellt, begibt sich außerhalb des wachstumspolitischen Konsenses von Uno, EU, OECD oder Weltbank und unterminiert die Grundlagen einer öko-sozialen Marktwirtschaft.

Innovation, Bildung, Märkte?

Bemerkenswert ist auch, dass Brunner eine kausale Verbindung zwischen Bodenverbrauch und Wachstum herstellt. In der Forschung über Wirtschaftswachstum in reichen Ländern gelten gemeinhin Innovation, Bildung oder kompetitive Märkte als entscheidend. Der Umweltverbrauch kann bei gleicher Wachstumsrate hingegen sehr unterschiedlich sein, je nach Qualität des Wachstums. Ein Blick auf europäische Vergleichsländer zeigt jedenfalls, dass Österreich zwar beim Bodenverbrauch ganz vorne dabei ist, beim Wirtschaftswachstum aber seit dem Jahr 2010 hinter der Eurozone zurückbleibt. Die Vorstellung, dass hoher Bodenverbrauch für Wirtschaftswachstum notwendig sei, muss daher verworfen werden. Gleichzeitig gewinnt nach Michael Hüther, dem Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, die Resilienz einer Gesellschaft stark an Relevanz, und ökologisch funktionsfähige Böden sind hierfür eine Conditio sine qua non.

Es gilt auch zu fragen, warum gerade beim Bodenverbrauch keine verbindlichen Regeln gelten sollen, während der Finanzminister gleichzeitig für "durchsetzbare und klar definierte Schuldenregeln" auf EU-Ebene eintritt. Diese können bei intelligenter Ausgestaltung die fiskalische und monetäre Stabilität und Handlungsfähigkeit der EU und ihrer Mitgliedsländer in der Zukunft absichern. Aber gilt das nicht in sehr ähnlicher Weise auch für die nicht vermehrbare Ressource Boden, deren Verbrauch über einem nachhaltigen Niveau ebenfalls einem Leben über unseren Verhältnissen entspricht und wo die höheren Zinsen durch eingeschränkte Entfaltungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen bezahlt werden müssen?

Rational wirtschaften

Die ÖVP positioniert sich gerne als Partei mit Wirtschaftskompetenz. Allerdings lassen die Argumente gegen eine effektive Bodenschutzstrategie starke Zweifel daran aufkommen. Wirtschaften bedeutet nach einer weitverbreiteten Vorstellung den sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen. Die Brunner'sche Bodenpolitik hat diesen Satz nicht wirklich verstanden und misstraut den Marktakteuren, eine kreative Antwort auf das ordnungspolitisch signalisierte Knappheitsproblem zu finden, worin aber nach den Ökonomen Joseph A. Schumpeter oder Friedrich August Hayek gerade die große Leistung von Märkten besteht. Ohne Entkopplung von Umweltverbrauch und Wachstum sägen wir ganz im Sinne von Karl Marx den kapitalistischen Ast ab, auf dem unsere Gesellschaft bisher saß.

Rationales Wirtschaften verlangt den Vergleich von Kosten und Nutzen, und das gilt auch für das Wirtschaftswachstum. Je länger wir damit warten, die Ökonomie einer ökologischen Transformation zu unterziehen, desto höher werden die Umweltkosten pro zusätzlicher Milliarde des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und desto wahrscheinlicher wird es, dass diese Kosten über dem sozialen Nutzenzuwachs von heutigen und vor allem zukünftigen Generationen liegen. Das wurde einmal zutreffend als "Uneconomic Growth" bezeichnet. (Christian Reiner, 2.4.2024)