Kundgebungsteilnehmer der Gewerkschaftsdemonstration auf dem Wiener Heldenplatz.
Das viele Rot hat Fiakerpferde am 20. September wohl nicht scheugemacht, bei der Großdemo des Österreichischen Gewerkschaftsbunds kam es trotzdem zu einem Verletzten, nachdem ein Gespann einen Teilnehmer touchiert hatte.
APA / GEORG HOCHMUTH

Wien – Das Strafverfahren gegen Herrn I. entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn der 47-Jährige soll am 20. September einen Menschen genötigt, verletzt und dabei auch eine Kundgebung gestört haben – und zwar eine, die eigentlich für ihn Positives forderte. Ist der vor Richter Christian Gneist sitzende unbescholtene Bulgare doch Fiaker mit einem Nettoverdienst von 1.200 Euro – und die gestörte Großdemonstration war eine fünf Kilometer lange Menschenkette um das Parlament mit der Forderung nach politischen Maßnahmen gegen die hohe Teuerungsrate.

Die Verhandlung gegen den derzeit Arbeitslosen – die Fiakersaison beginnt erst wieder am 1. April – dauert nur sehr kurz. Der Staatsanwalt beantragt wie im schriftlichen Strafantrag, Verteidiger Michael Drexler kündigt ebenso an, sich kurzfassen zu wollen. "Es tut meinem Mandanten sehr leid, und er ist bereit, dafür Verantwortung zu übernehmen und Schmerzensgeld zu bezahlten", kündigt er an, auf eine diversionelle Erledigung abzuzielen.

Was an diesem Tag in der Wiener Innenstadt eigentlich geschehen ist, darüber gehen die Ansichten auseinander. Der Verteidiger erzählt, I. sei mit zwei Passagieren unterwegs gewesen und habe vor den Manifestanten gewartet, als die Pferde durch die Menschenmenge unruhig geworden seien. Dass die roten Transparente die Tiere scheugemacht haben, ist eher auszuschließen – schließlich reagieren auch die Kampfstiere in Spaniens Arenen nicht auf die Farbe, sondern auf die Bewegung der Muleta. Um die Kontrolle zu bekommen, habe er sein Gefährt daher in Bewegung gesetzt, behauptet der Fiaker, einer der Kundgebungsteilnehmer habe sich beim Vorbeifahren an die Kutsche gehängt und wurde dabei verletzt.

Rissquetschwunde am Ellbogen und Prellungen

Das Opfer, das bei dem Vorfall eine acht Zentimeter lange Rissquetschwunde am rechten Ellbogen und Prellungen erlitt, schilderte das bei der Polizei doch etwas anders. Man habe im Rahmen der Veranstaltung immer wieder Fahrzeuge passieren lassen, kurz vor dem Vorfall sei aber ein Foto seiner Gruppe mit ihrem Transparent gemacht worden, als sich der Droschkenfahrer plötzlich in Bewegung setzte. Andere Zeugen berichten, der Angeklagte habe etwas über eine Wartezeit von 20 Minuten geäußert und dass er da jetzt durchmüsse.

In der Anklage findet sich die Schilderung des unentschuldigt nicht zum Prozess erschienenen Verletzten, dass die Menschen neben ihm zur Seite sprangen, er aber zunächst völlig perplex gewesen sei. Als er sich aus seiner Starre löste und nach links auswich, habe ihn das Gespann touchiert. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, habe er sich umgedreht, an einer kleinen Kutschenlaterne festgehalten und sei mitgeschleift worden, ehe der Fiaker stoppte.

"Ja, es tut mir leid", sagt Herr I. zum Sachverhalt nur knapp. "Haben Sie den Verletzten schon kontaktiert?", will Richter Gneist wissen. "Nein", lautet die Antwort. 300 Euro Schmerzensgeld sei man bereit zu zahlen, bietet Verteidiger Drexler an. Er zeigt dem Richter die Summe auch in bar und wäre bereit, sie Gneist zu übergeben. "Na, dann muss ja ich wieder schauen, wie das zum Verletzten kommt", lehnt der dankend ab und fordert den Verteidiger auf, das Opfer mit dem Angebot zu kontaktieren. "Aber ewig laufe ich dem nicht nach!", kündigt Drexler an.

Diversion mit Geldbuße

Der Staatsanwalt schlägt eine andere Verwendung der Summe vor. Er wäre mit der vorläufigen Einstellung des Strafverfahrens einverstanden, wenn der Angeklagte eine Geldbuße an das Gericht zahlt. "Eine Diversion sollte schon eine spürbare Konsequenz sein", erklärt der Richter, "gemeinnützige Leistungen sind halt bei einem Berufstätigen immer ein wenig schwierig", tendiert auch Gneist zur finanziellen Pönale. Ihm schweben 100 Tagessätze à vier Euro vor, bezahlbar in Raten innerhalb von sechs Monaten.

Nach kurzer Beratung vor dem Saal erklärt sich der Angeklagte dazu bereit; da er die leidige Angelegenheit hinter sich lassen will, übergibt Drexler gleich den gesamten Betrag an den Richter. "Damit ist es erledigt. Auf Wiedersehen!", verabschiedet Gneist die Beteiligten, ehe er sich als Bargeldkurier betätigen muss, um die Scheine in der Gerichtskassa zu deponieren. (Michael Möseneder, 29.3.2024)