Im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum wird aktuell Schach gespielt.
Im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum wird aktuell Schach gespielt.
Ela Bialkowska

Hinter dem Eisernen Vorhang erforderte die Suche nach Schlupflöchern für demokratische Kommunikation besondere Strategien. Der slowakische Künstler Július Koller übertrug sie auf Tennisplatz und Pingpongtisch: Sportlicher Ballwechsel als Metapher für dialogischen Meinungsaustausch, das war nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 auch ein subversiver Akt. In den USA geriet der Tenniscourt derweil zum Schauplatz der 1966 von Robert Rauschenberg inszenierten Multimediaperformance Open Score: Beim dafür anberaumten Tennismatch ließ jeder Ballkontakt ein Lichtlein ausgehen, bis in völliger Dunkelheit die Bühne für eine mittels Infrarotkameras gefilmte Performance mit hunderten Akteurinnen und Akteuren bereitet war.

Koller wie auch Rauschenberg begegnet man aktuell im Salzburger Museum der Moderne, das anlässlich seines 20-Jahr-Jubiläums den Fokus auf die eigenen Sammlungen legt und Werke daraus in Themenausstellungen zusammenführt. Eine davon widmet sich dem Spieltrieb in der Kunst – und ist damit derzeit nicht allein auf weiter Flur. Aber eine, die der Thematik unter dem Titel Spielen heißt verändern! mit kunsthistorischem Blick und in Kapiteln wie Politik oder interaktive Bewusstseinsbildung nachgeht.

Spiel als Form der Welterfahrung

Im Spiel als Form der Welterfahrung und Metapher für gesellschaftliches Zusammenleben liegt auch der Reiz für künstlerische Erkundungen, zumal sich vom Gesellschafts- bis zum Machtspiel alles Mögliche hineindenken lässt. Und sich im Homo ludens, dem spielenden Menschen, auch das ganze menschliche Typenspektrum vereint, von den Spaßgetriebenen und den Wettkampforientierten bis hin zu den Risikobereiten und den Vorsichtigen, den Schummlerinnen und Strategen, den guten und schlechten Verliererinnen. Für Regelzwängler sind Kunstspiele allerdings ein eher schwieriges Terrain, weil dort zusammen nebst Spielregeln ja gern auch die gesellschaftlichen Verhältnisse subversiv unterlaufen werden.

Unendliches Schachspiel?
Unendliches Schachspiel? "The Museum Game" von Anna Scalfi Eghenter.
Ela Bialkowska

Das betrifft auch den Tennisplatz, der überhaupt auffallend oft im Kontext spielerischer Welterkundung auftaucht. Derzeit auch im Innsbrucker Ferdinandeum, wo man eines Tenniscourts mit drastisch reduzierter Netzbreite und schräg darauf zulaufenden Seitenlinien ansichtig wird. Der Ballwechsel erfolgt auf diesem eingeschnürten Spielfeld nach herkömmlichen Regeln, aber auch mit Blick auf die Frage, was die Veränderung gewohnter Raumordnungen mit gesellschaftlichen Gefügen macht. In jedem Fall erhält das Match unter den von Anna Scalfi Eghenter erdachten Bedingungen eine kuriose Schlagseite, es gilt hierfür der Videobeweis.

Die 1965 in Trient geborene Künstlerin und Soziologin operiert mit ihren Installationen und Versuchsanordnungen gern im öffentlichen Raum, übrig bleiben Dokumentationen und Artefakte wie ein vor jedem Spielzug individuell erweiterbares Schachbrett oder 22 Waschmaschinen, die die Künstlerin 2008 auf dem Domplatz von Trient aufstellen ließ und – als Verweis auf die historische Funktion des Orts als öffentlicher Waschplatz – zur Benutzung anbot. In ihrer Innsbrucker Retrospektive will Scalfi Eghenter aber auch an musealen Ritualen rütteln und erklärt unter dem Titel The Museum Game gleich das ganze Ferdinandeum zum Spiel- und Experimentierfeld.

Du bist dran

Ironische Auseinandersetzungen mit den Mechanismen des Kunstbetriebs geben dazu Denkanstöße, weibliche Tischfußballfiguren werden in Vitrinen zur Venus ludens geadelt. Den größten Eingriff stellt ein im Foyer installierter Supermarkt dar, in dem man tatsächlich einkaufen kann. Ähnliches hat Scalfi Eghenter 2021, während eines Corona-bedingten Lockdowns, auch in Italien gemacht, damals aber in einem Theater, was man auch als subversiven Kommentar zur Frage nach der Systemrelevanz von Kunst und Kultur lesen durfte.

Unter aktuellen Bedingungen wird die Reprise der Idee eher zur Effekthascherei, anderswo im Museum funktioniert das soziologisch unterfütterte Spiel mit den Funktionen eines Kunsttempels dafür ganz prächtig. Was man von der aktuellen Schau in der Kunsthalle im Innsbrucker Taxispalais nur bedingt behaupten kann. Die Einladung zum Spiel zielt hier unter dem Titel Du bist dran geradewegs auf ein gedeihlicheres soziales Miteinander, das ist zwar ehrenwert, hat mitunter aber auch eine arg sozialpädagogische Anmutung. Wobei der Vernetzungsfunke Judith Fegerls Wandinstallation engage durchaus überspringt. Bei Azin Feizabadis Anleitung zum Rappen für den Weltfrieden eher weniger. Dann vielleicht doch lieber in Salzburg mit Valie Export Pingpongbälle auf einen Bildschirm dreschen, in den man heute auch Übermacht digitaler Medien hineinprojizieren kann. (Ivona Jelcic, 29.3.2024)