Erhard Grossnigg stöbert in seinen Unterlagen
Die Signa war kein normales Unternehmen, sagt Signa-Sanierungsvorstand Erhard Grossnigg.
Foto: Christian Fischer

Erhard Grossnigg hat wenig Zeit. Für das Interview im Signa-Büro in der Wiener Herrengasse nimmt er sich dann aber doch mehr davon als geplant, er kommt ins Erzählen. Wobei: Der Fotograf bekommt nur zehn Minuten, danach ist Schluss.

STANDARD: Was haben Sie bei der Signa-Versteigerung erstanden?

Grossnigg: Natürlich nichts, die Versteigerung war Unsinn, das Unternehmen hat damit viel an Glaubwürdigkeit verloren. Kann schon sein, dass man René Benko nicht mag – aber man hätte auch an die Beschäftigten und Geschäftspartner denken müssen. Man macht sich ja nur noch lustig über uns.

STANDARD: Sie selbst haben nie in die Signa investiert, warum nicht?

Grossnigg: Weil ich nur Unternehmen kaufe, und die Signa hätte ich mir nicht leisten können, so viel Geld hatte ich nicht.

STANDARD: Nach der Signa-Hauptversammlung am 10. April treten Sie ab. Ihren Auftrag, die Signa zu sanieren, haben Sie nicht erfüllt. Sie hätten Geld von Aktionären oder Investoren aufstellen sollen, das haben Sie aber nicht geschafft. Warum nicht?

Grossnigg: Stimmt, die Signa-Sanierung ist mir nicht gelungen, das ist traurig. Ich habe gedacht, es wird möglich sein, das Geld aufzustellen. Aber die Aktionäre und andere, die jetzt groß reden, haben mir keines zur Verfügung gestellt. Die haben nur Benko Geld gegeben, mir nicht.

STANDARD: Sie haben weniger Charisma als er?

Grossnigg: Das ist ein Grund. Normalerweise ist es bei einer Insolvenz ja so, dass der Eigentümer alles tut, um das Unternehmen zu erhalten. Hier hat das keiner versucht, hier haben die Aktionäre offenbar investiert, um schnelles Geld machen. Sie waren nicht am Unternehmen selbst interessiert, sondern von der Gewinnmaschinerie Benkos begeistert – und die Signa war lang eine Geldmaschinerie. Sie war ein außergewöhnliches Unternehmen, Benko hat eine außergewöhnliche unternehmerische Leistung erbracht – aber es ist am Ende leider schiefgegangen. Jeder sagt es, auch im Ausland: Benko war ein toller Immobilienmann. Und er hat die Leute so überzeugt, dass sie ihm Geld gaben.

STANDARD: Nicht nur er. Sebastian Kurz hat ihm im arabischen Raum bei der Investorensuche geholfen.

Grossnigg: Ja, Alfred Gusenbauer hat ihm dort und da geholfen, Kurz hat ihm dort und da geholfen. Würde ich nicht machen, Kurz dafür zu bezahlen, dass er mir Geldgeber bringt. Das geht doch nicht. Jedenfalls hat Benko ja auch viele Jahre geliefert, schlecht gelaufen ist es nur in den letzten Jahren. Alle haben geglaubt, es geht immer so weiter.

STANDARD: Dass Immobilienpreise nicht ewig steigen und Zinsen nicht ewig tief bleiben, hätten die Investoren genauso wissen müssen wie Vorstände, Aufsichtsräte oder Kreditgeber. Auch Ihr Freund, Geschäftspartner und Signa-Großinvestor Hans Peter Haselsteiner, über den Sie in den Signa-Vorstand geholt wurden.

Grossnigg: Er hat ja öffentlich eingeräumt, dass er sich geirrt hat. Wir hatten zuvor aber nie über sein Signa-Investment gesprochen. Und es gibt einen einzigen, kleinen Investor, der letztlich mehr herausbekommen als investiert hat.

Die Türklingel beim Büro der Signa in der Wiener City.
Aufstieg und Fall der Signa berühren viele, vor allem die Gläubiger.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Haben die Aufsichtsräte unter Gusenbauer und die Beiräte schlecht gearbeitet?

Grossnigg: Es obliegt mir nicht, das zu beurteilen. Ich habe auch nicht die Vergangenheit zu beurteilen, das machen die Behörden. Und zu Gusenbauer: Er hat ja laut Medien neun Millionen Euro verdient – aber er hat auch viel Geld verloren, im Rahmen der Mitarbeiterbeteiligung. Er war da der größte Aktionär. Auch diese Aktien sind jetzt nichts mehr wert.

STANDARD: Was führte die Signa in Ihren Augen in den Untergang?

Grossnigg: Die Signa wurde aus exogenen und endogenen Gründen insolvent: einerseits wegen der Lage auf dem Immobilienmarkt und der steigenden Zinsen, andererseits weil René Benko ins Retailgeschäft eingestiegen ist, von dem er nichts verstand. Das hat alles nur Geld gekostet, da wurde viel gutes Geld verschwendet. Falsch war auch, dass er seinen Schwerpunkt auf Deutschland gelegt hat. Von unseren 110 Immobilien sind 65 in Insolvenz, und nur eine davon ist nicht in Deutschland.

STANDARD: Ein großer Immoverkauf an die deutsche Unternehmerfamilie Schoeller ist gescheitert, die Signa-Treuhänder brauchen aber dringendst frisches Geld, Verhandlungen laufen. Kommt noch Geld ins Haus?

Grossnigg: Ja. Wir reden mit Schoellers über andere Immobilien und verhandeln mit Financiers, wollen einen Massekredit von 100 Millionen Euro aufstellen. Vielleicht bekommen wir noch diese Woche Geld. Kommt es nicht, dann wird die Quote für die Gläubiger schlechter aussehen, denn dann müssen wir Immobilien über den Insolvenzverwalter rasch und daher billiger abverkaufen.

STANDARD: Signa Prime und Signa Development bekommen demnächst neue Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. Ich höre, dass Ex-Siemens-Chef Wolfgang Hesoun Aufsichtsratschef der Signa Development werden soll. Stimmt das?

Grossnigg: Das kann sein, ja. Aber was ich wirklich sagen will: Die Sanierungsverwalter leisten tolle Arbeit, zwar zu einem guten Salär, aber die arbeiten sicher täglich zwölf Stunden nur an unserem Fall.

STANDARD: Wie viel Salär bekommen Sie im Monat?

Grossnigg: Ich stelle jeden Monat insgesamt 40.000 Euro Honorar in Rechnung. Für hunderte Stunden monatlich.

STANDARD: Apropos: Dem ORF sagten Sie, die Insolvenz treffe nur Reiche. Das stimmt doch nicht, es gibt ja auch Steuerzahler, Lieferanten, Beschäftigte und andere kleine Gläubiger.

Grossnigg: Ja, aber in Relation sind ihre Forderungen gering, und die Signa-Lieferanten wurden jahrelang äußerst gut bezahlt.

STANDARD: Sie sind Sanierer, aber kein Immobilienexperte. Hat das Ihrer Arbeit Abbruch getan?

Grossnigg: Nein, denn ich hatte hier ja nicht den Job, Immobilien zu entwickeln, sondern sie zu finanzieren oder zu verkaufen. Und was man ja jetzt vergessen hat: Es gibt kaum einen Immobilienunternehmer, der so tolle Projekte gebaut hat wie René Benko. Das war das Außergewöhnliche an ihm.

René Benko bei einer Kaufhauseröffnung in Deutschland
Der Einstieg der Signa in den Handel (hier Benko bei der Eröffnung des Oberpollinger in München) sollte viel Geld kosten.
Foto: Imago

STANDARD: Die Investoren sehen es anders, manche werfen ihm Betrug vor, wie etwa der Berater von Signa-Investor Kühne, Karl Gernandt. Und die WKStA ermittelt rund um die Signa auch wegen Betrugsverdachts.

Grossnigg: Gernandt sitzt übrigens im Aufsichtsrat. Aber ich weiß nicht, was alles passiert ist, ich war nicht dabei. Ich habe gelernt, dass es zwei Arten von Menschen gibt, wenn es um Vermögensanlagen geht. Die einen sagen: Wenn ich Geld verliere, bin ich selbst schuld, hätte ich’s halt nicht gemacht. Die anderen sagen, der andere ist schuld. Haselsteiner hat Ersteres gesagt.

STANDARD: Und sofort hinzugefügt, dass Benko faktischer Geschäftsführer gewesen sei – und somit für die Entscheidungen verantwortlich.

Grossnigg: Benko hat das Unternehmen offenbar stark geprägt. Und das Unternehmen war kein normales, schauen Sie sich nur hier im Büro um: Alles handgefertigt oder Spezialanfertigung, vier Millionen Anschaffungswert für ein paar hundert Quadratmeter. Im Palais Harrach drüben war es noch viel ärger, mit Riesenstiegenaufgang und allem Pomp. Benko wollte es schön haben – oder protzen. Da hat offenbar jemand gefehlt, der gesagt hätte: "Hearst, Bua!" Aber Benko hat es eben geschafft, Leute zu interessieren, die ihm immer Geld gegeben haben. Und er hat geglaubt, das geht immer so weiter. Ab Mitte 2023 ist ihm das alles nicht mehr gelungen, ab da war die Illiquidität wirklich spürbar.

STANDARD: Die Signa: ein Pyramidenspiel, wie viele Leute argumentieren?

Grossnigg: Nein. Ein Pyramidenspiel ist eine von Beginn an aufgesetzte Gaunerei, und eine Gaunerei war die Signa nicht.

Benko, seine Frau und Alfred Gusenbauer beim Feiern.
Signa-Berater und Aufsichtsratschef Alfred Gusenbauer(hier mit René und Nathalie Benko beim Törggelen 2016) hat viel Geld mit Mitarbeiterbeteiligung verloren.
Foto: Andreas Tischler / picturedesk.c

STANDARD: Hätten das "Hearst Bua!" nicht auch Aufsichtsräte wie Gusenbauer, Ex-RBI-Chef Karl Sevelda oder Wüstenrot-Chefin Riess-Hahn sagen können? Alle wissen, dass auch Immobilienpreise nicht ewig steigen.

Grossnigg: Aber es haben doch alle Immobilienentwickler dasselbe Problem. Und die Immobilienbewertungen stammten von reputablen internationalen Gesellschaften, und beim Verkauf wurden sie dann sogar übertroffen. Also bei den Bewertungen ist nichts passiert.

STANDARD: Glauben Sie, dass Benko und andere strafrechtlich drankommen werden – Unschuldsvermutung vorausgesetzt?

Grossnigg: Es werden alle belegen müssen, dass sie korrekt gehandelt haben. Ob ihnen das gelingt, weiß ich nicht. Sorgen werden sie sich bestimmt machen. Bei einem bin ich mir sicher: Benko hätte nie geglaubt, dass er pleitegeht.

STANDARD: Was haben Sie aus dem Signa-Job gelernt? Dass man verlieren kann?

Grossnigg: Das habe ich schon öfter erlebt. Hätte Benko das auch erlebt, wäre das alles nicht passiert. Ich habe gelernt, dass die Signa eine außergewöhnliche Firma von außergewöhnlicher Qualität mit außergewöhnlichen Mitarbeitern ist. Wobei mir als Mann der Old Economy die Strukturen völlig neu waren: Die einen Verantwortlichen saßen in der Schweiz, die anderen in Deutschland oder in Österreich ...

STANDARD: Sie sind berühmt dafür, dass Sie Mails diktieren und nichts selbst schreiben ...

Grossnigg: Ich tippe nicht. Ich habe in der Hak Stenografie und Maschinschreiben gelernt und war da Klassenbester mit 240 Anschlägen. Nach der Matura habe ich mir vorgenommen, es so weit zu bringen, dass ich eine Sekretärin habe. Ich wollte nicht mehr tippen. Mit 22 Jahren bei der Chase Manhattan Bank in Paris habe ich eine Sekretärin bekommen. Seitdem habe ich nichts mehr getippt. Ich habe noch nie eine SMS geschrieben, noch nie etwas im Internet gekauft. (Renate Graber, 27.3.2024)