Rund um die Bildungskarenz ist ein politisches Tauziehen ausgebrochen. Abschaffen, belassen, wie sie ist, oder reformieren: Das sind die Optionen auf dem Tisch. Für letzteren Weg hat sich das Arbeits- und Wirtschaftsministerium unter Martin Kocher entschieden. Am Dienstag hat der ÖVP-Politiker Vorschläge für Eckpunkte einer Reform präsentiert. Die Stoßrichtung dabei: Der Zugang zur Bildungskarenz soll strenger geregelt werden, auch wenn kein drakonisches System angekündigt ist. Im Gegenzug wird es ein deutlich höheres Weiterbildungsgeld geben, damit soll das Modell auch für Niedrigqualifizierte und Geringverdiener interessanter werden.

Konkret soll künftig vor jeder Bildungskarenz ein Beratungsgespräch beim AMS verpflichtend werden. Dabei soll bekanntgegeben werden müssen, welches Ausbildungsziel man verfolgt und über welche Qualifikationen man bereits verfügt. Das dient vor allem der besseren statistischen Erfassung von Weiterbildungsgeldbeziehern, aktuell ist die Datenlage hier dürftig.

Martin Kocher will striktere Regeln und mehr Niedrigqualifizierte in Bildungskarenz.
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Weiters sollen künftig Selbstlernzeiten maximal als ergänzend anerkannt werden. Aktuell bieten viele Kursanbieter online Seminare an, bei denen an einem Tag pro Woche ein Kurs absolviert werden muss und für den Rest der Zeit freie Lerneinteilung herrscht. Das wird vielfach kritisiert, weil nicht belegt ist, ob Kurse aktiv besucht werden.

Zudem müssen künftig Teilnahmebestätigungen für Kurse vorgelegt werden, aktuell wird das nur selten und punktuell abgefragt beim AMS, das das Weiterbildungsgeld ausbezahlt. Studierende müssen künftig mehr besuchte Stunden im Rahmen von universitären Lehrgängen nachweisen, 16 ECTS sollen es sein, aktuell sind acht ECTS vorgeschrieben. Und: Künftig soll zumindest der Antritt einer Prüfung verpflichtend sein – wenn keine Prüfung angetreten wird, soll das AMS Geld zurückverlangen können. Ein positiver Abschuss bleibt weiterhin nicht notwendig. Aktuell wird de facto nie Geld vom AMS zurückverlangt.

Zurückgedrängt werden soll schließlich die Zahl der Menschen, die eine Bildungskarenz direkt an eine Elternkarenz anschließen. Die Zahl der Frauen, die von einer Karenz in die andere wechseln, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen und hat sich beinahe verzehnfacht. Zumeist sind das Frauen, die zunächst ein einkommensabhängiges Elterngeld beziehen und dann in Bildungskarenz wechseln.

Verbessertes Angebot an Niedrigqualifizierte

Im Gegenzug will das Ministerium einer Forderung der Arbeitnehmervertreter nachkommen: Aktuell zahlt das AMS als Weiterbildungsgeld am Tag im Schnitt laut Arbeitsministerium 14,53 Euro aus. Das Geld richtet sich nach dem Arbeitslosengeld, hängt also vom Letztverdienst ab. Künftig soll dieses Geld deutlich aufgestockt werden, auf etwas mehr als 32 Euro. Das soll den Zugang zum Modell auch für Geringverdiener ermöglichen. Und: Diese höhere Weiterbildungsgeld soll valorisiert werden, also mit der Inflation steigen. Im Bereich des Arbeitslosengelds wäre das eine Ausnahme.

Arbeitsminister Kocher ließ am Dienstag auch mit der Aussage aufhorchen, dass dieses Paket kein Sparpaket sein soll. Bildungskarenz sei ein sinnvolles Instrument, das aber besser genutzt werden müsse, um die Arbeitsmarktintegration jener zu fördern, die tatsächlich Qualifikation brauchen.

Bildungskarenz erfreut sich immer größerer Beliebtheit.

Die große Frage lautet: Was davon wird tatsächlich umgesetzt? Die Grünen reagieren auf die Vorschläge verhalten. Die Bildungskarenz effizienter zu gestalten, indem das AMS Menschen, die Weiterbildungsgeld beziehen, engmaschiger betreut, etwa mit der Bildungsberatung: Dem kann der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Grünen, Markus Koza, durchaus etwas abgewinnen, wie er zum STANDARD sagt. Eine Verschärfung der Regeln für Studierende, wofür eine gesetzliche Regelung notwendig wäre, lehnt er aber ab. Ein Nein gibt es auch zu Verschärfungen für Mütter, die Elternkarenz absolvieren und dann Weiterbildungsgeld beziehen.

Koza beruft sich dabei interessanterweise wie Kocher, der die Reform ja will, auf eine Studie des Forschungsinstituts Wifo, die im Auftrag des Arbeitsministeriums erstellt und ebenfalls am Dienstag vorgestellt wurde. Die Ökonomen rund um Rainer Eppel haben sich dabei angesehen, welche Wirkung die Bildungskarenz für Einkommen und Jobchancen hat. Dabei wurden analysiert, wie sich Menschen schlagen, die zwischen 2010 und 2019 eine Bildungskarenz absolviert haben. Diese Gruppe wird sodann mit einem ähnlichen Personenkreis verglichen.

Video: Bildungskarenz auch für bildungsferne Gruppen.
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Mütter profitieren – moderat

Die Bilanz fällt gemischt aus: Menschen, die vorher in Beschäftigung waren, profitieren im langfristigen Trend nicht von einer Bildungskarenz. Zwölf Jahre später ist die Beschäftigung in dieser Gruppe minimal kleiner als in der Vergleichsgruppe ohne Bildungskarenz. Die Einkommen liegen in der Gruppe der Bildungskarenzbezieher Jahre später zwar etwas höher. Weil aber weniger gearbeitet wird, liegt selbst der durchschnittliche Verdienst in dieser Gruppe unterhalb der Einkommen in der Vergleichsgruppe ohne Karenz. Bei Menschen, die aus einer Elternkarenz in eine Bildungskarenz wechseln, ist das anders. Hier steigt nach zwölf Jahren die Beschäftigung leicht an: Etwas mehr als 92 Prozent dieser Gruppe arbeiten zwölf Jahre später. Ohne Bildungskarenz sind es 89 Prozent. Und: Auch die monatlichen Einkommen sind einige Prozentpunkte höher.

Was bedeutet das genau? Arbeitsminister Kocher sieht angesichts der hohen Kosten darin nur einen moderaten Nutzen und empfiehlt die Reform. Der Grünen-Politiker Koza sagt, dass genau diese Zahlen belegen würden, dass dieses System nicht schlecht funktioniere. Der Ökonom Eppel und seine Kollegen können diesen Streit nicht wirklich auflösen, sie bieten selbst unterschiedliche Interpretationen an: Die hohe Beschäftigungsquote der Mütter deute darauf hin, dass vor allem jene Frauen Bildungskarenz nach einer Elternkarenz machen, die ohnehin gut in den Arbeitsmarkt integriert sind, vielleicht sind deshalb ihre Ergebnisse besser. Oder: Das System bewirkt wirklich etwas.

Die Wifo-Zahlen zeigen auch, dass Bildungskarenz von besser ausgebildeten Menschen absolviert wird. Rund 50 Prozent der Weiterbildungsbezieher haben eine Matura, in der Bevölkerung sind es etwa 40 Prozent.

Aktuell besteht in Österreich ein Rechtsanspruch auf Weiterbildungsgeld, sofern sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber darauf einigen. (András Szigetvari, 26.3.2024)