Klimaschutz, Globaler Süden, CO2-Zertifikate
Mithilfe von CO2-Zertifikaten in Entwicklungsländern Bäume zu pflanzen werde von vielen Unternehmen als Freifahrtschein für weiteren CO2-Ausstoß genutzt, sagt Hamira Kobusingye.
AP/Hajarah Nalwadda

"Wollen Sie mein Kinderbuch sehen?", fragt Hamira Kobusingye mit einem Lächeln und sucht auf ihrem Laptop, den sie auf dem Schreibtisch in ihrem Büro in Wien abgestellt hat, nach dem Dokument. Endlich hat sie den Entwurf gefunden: Viele bunte Seiten mit vielen Problemen. Von A wie Ausbeutung bis Z wie Zerstörung. Mit Bildern, auf denen Menschen anstehen, um Wasser zu bekommen, mit abgeholzten Wäldern und überschwemmten Böden. "Es ist wichtig zu zeigen, was durch den Klimawandel in unserem Land passiert", sagt Kobusingye.

Regelmäßig geht die ugandische Klimaaktivistin in Schulen in Uganda, um über Klima- und Umweltverbrechen aufzuklären, sagt sie. Daneben protestiert sie auf den Straßen – allen voran gegen die geplante Ostafrika-Pipeline, die vom französischen Ölkonzern Total Energies errichtet wird. Diese soll bald Erdöl vom Albertsee in Uganda zum Indischen Ozean in Tansania transportieren und wäre mit einer Länge von 1.443 Kilometern die längste beheizte Pipeline der Welt. "Für den Bau werden Natur, Kultur und Lebensgrundlagen zerstört", sagt Kobusingye. Würde reiche Länder ihrer Verantwortung für die Klimafinanzierung nachkommen, könnten in ärmeren Ländern statt Ölpipelines erneuerbare Energien entstehen.

STANDARD: Sie sind in einem Slum in der Nähe von Kampala, der Hauptstadt Ugandas, aufgewachsen. War der Klimawandel dort für Sie bereits spürbar?

Kobusingye: In den Slums ist alles eng beieinander: Menschen, Häuser, Müll. Wenn es dort heftige Regenfälle gab, hatte ich Angst, von den Fluten weggespült zu werden. Es gab kaum Schutz. Nach den Überschwemmungen ist alles von Schlamm und Dreck überzogen, Wellblechhäuser sind weggeschwemmt, und die Gefahr, dass sich Krankheiten ausbreiten, ist extrem hoch. Durch den Klimawandel kam es immer häufiger zu solchen Überschwemmungen. Danach bleibst du immer mit einem Gefühl des Schreckens und der Angst zurück, weil du nie weißt, wann es wieder passieren kann.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass der Klimawandel die Grundursache für viele dieser Probleme sei. Verstärkt er nicht eher bestehende Probleme wie Armut oder Ungleichheit, als dass er sie verursacht?

Kobusingye: In Uganda ist der Großteil der Menschen von der Landwirtschaft abhängig. Jede klimatische Veränderung trifft die Menschen direkt in ihrem Überleben. Ich habe viele Familien kennengelernt, die mit der Landwirtschaft ein recht gutes Leben führten. Dann kam es kurz hintereinander zu Trockenheit und Überschwemmungen, und die Familien verloren alles. Uns erging es ähnlich. Meine Großmutter hat meiner Mutter und mir immer wieder einmal Essen vorbeigebracht, das sie selbst angebaut hat. Aber als der Klimawandel die Jahreszeiten veränderte, wurde die Ernte immer schwieriger. Wir mussten immer mehr Geld dafür aufwenden, Essen zu kaufen. Viele Familien schickten ihre Kinder nicht mehr in die Schule oder verheirateten ihre Töchter viel zu jung, um über die Runden zu kommen. Natürlich kann der Klimawandel bestehende Probleme verstärken. Aber hier ist er häufig auch die Grundursache vieler Probleme.

STANDARD: Sie haben in jungen Jahren begonnen, für eine NGO zu arbeiten, die Frauen unterstützen will, Lebensmittel anzubauen. Wie soll das funktionieren?

Kobusingye: In Uganda ist die Ernährung und Ernte immer noch Frauenarbeit. Ich kenne alleinerziehende Väter, die ihre Töchter auffordern, für das Essen im Haus zu sorgen. Wenn es Dürren gibt, dürfen Mädchen und Frauen nicht in die Schule gehen, sondern müssen kilometerweit laufen, um Wasser und Essen zu holen. Dennoch erhalten Frauen von der Regierung im Vergleich zu Männern kaum finanzielle Unterstützung. Da ihnen das Geld fehlt, Maschinen zu kaufen, sind ihre Ernten viel niedriger, und sie sind viel anfälliger für Dürren oder Überschwemmungen. Frauen müssen im Schnitt drei- bis viermal so lang am Feld arbeiten, um dieselben Ernten wie Männer zu bekommen. Der Klimawandel und die Benachteiligung von Frauen hängen ganz eng miteinander zusammen. Wir haben versucht, Frauen andere Einkommensmöglichkeiten zu zeigen, beispielsweise, indem sie Seife herstellen. Dadurch bleibt ihnen am Ende des Monats womöglich genug Geld übrig, um die Schulgebühren zu bezahlen.

Hamira Kobusingye, Klimagerechtigkeit, Klimawandel
Der Klimawandel ist eine Grundursache vieler Probleme in ihrem Heimatland Uganda, sagt die Klimaaktivistin Hamira Kobusingye.
Minitta Photography

STANDARD: Seit einigen Jahren protestieren Sie in Ihrem Land gegen die Errichtung der Ostafrika-Pipeline. Was ist das Problem an dem Projekt?

Kobusingye: Die Vertreibung von Menschen, die Zerstörung ihrer Kultur, von Natur und Lebensgrundlagen. Durch den Bau der Pipeline können viele Bewohner dort keine Landwirtschaft mehr betreiben oder fischen, auch die Einnahmen aus dem Tourismus aus den Nationalparks brechen weg. In einigen Jahren und Jahrzehnten werden viele Menschen, die dann noch hier leben, durch die Ölförderung an Lungen- oder Krebserkrankungen leiden. Es wird dasselbe passieren, was schon im Nigerdelta geschah: Nach einem riesigen Ölleck, das die Biodiversität und die Gemeinschaften zerstörte, packten die Unternehmen einfach zusammen und waren dahin.

STANDARD: Laut den am Bau beteiligten Unternehmen sollen von der Ostafrika-Pipeline Uganda und auch Nachbarstaaten wirtschaftlich profitieren. Glauben Sie nicht daran?

Kobusingye: Wenn du in mein Haus kommst, mir mein Bett wegnimmst, dieses selbst nutzt und mir stattdessen eine Matratze dalässt – wer profitiert dann mehr? Wir produzieren dieses Öl für Länder des Globalen Nordens und für die Entwicklung großer Konzerne aus Industriestaaten. Es ist ein unfairer Deal, weil die Vorteile die Schäden keinesfalls aufwiegen.

STANDARD: Den Deal haben auch die Regierungen Ugandas und Tansanias ausverhandelt. Sollten Sie die Verantwortung nicht eher bei den Politikern Ihres Landes suchen?

Kobusingye: Das stimmt. Ich sehe die Verantwortung auch bei unseren Politikern. Gleichzeitig haben Länder wie Uganda am Verhandlungstisch immer eine schwächere Position, weil sie so sehr von internationalen Geldern abhängig sind. Uganda hat sich in den vergangenen Jahrzehnten Unmengen an Schulden angehäuft – auch, weil das Land für Katastrophen zahlen musste, zu denen sie kaum beigetragen hat. Mein Land ist für 0,01 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Gleichzeitig spüren wir die vollen Auswirkungen der Klimakrise.

Ostafrika Pipeline
Dem französischen Ölkonzern Total Energies, der derzeit die Ostafrika-Pipeline von Uganda nach Tansania errichtet, werden von vielen Seiten Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung vorgeworfen.
APA/AFP/BADRU KATUMBA

STANDARD: Die ugandische Regierung ist in letzter Zeit immer wieder äußerst hart gegen Klimaaktivistinnen vorgegangen, die gegen die geplante Pipeline protestierten. Ein derartiges Vorgehen, das auch von Human Rights Watch kritisiert wurde, liegt wohl kaum in der Verantwortung westlicher Staaten und Unternehmen.

Kobusingye: Auch das ist das Verfehlen nationaler Politik. Dennoch sage ich jedem Politiker, den ich auf Konferenzen treffe: Wenn der Globale Norden seine Versprechen halten würde und Uganda 3,5 Milliarden Euro für den Ausbau erneuerbarer Energien zur Verfügung stellen würde, müsste auch keine Ölpipeline gebaut werden. Denn jeder vernünftige Mensch würde die Milliarden viel lieber in Erneuerbare stecken, weil dadurch Menschen nicht ihre Lebensgrundlage verlieren, die Wirtschaft wachsen würde und das Klima und die Umwelt besser geschützt wären.

STANDARD: Auch für den Bau großer Solarparks oder Wasserkraftwerke werden in vielen Ländern Menschen vertrieben. Wie kann die lokale Bevölkerung von erneuerbaren Projekten profitieren?

Kobusingye: Anstelle von Top-Down-Ansätzen, bei denen Regierungen große Projekte im Alleingang planen und umsetzen, müssen die lokalen Gemeinschaften von Anfang an in die Entwicklung und den Bau der Projekte eingebunden werden. Auf diese Art und Weise kann vor Ort geschaut werden, welche Ressourcen und Bedürfnisse die Menschen haben und welche angepassten Energielösungen es für sie gäbe.

STANDARD: Sie haben in der Vergangenheit immer wieder das internationale Geschäft mit CO2-Zertifikaten kritisiert. Warum?

Kobusingye: Weil CO2-Zertifikate eine Form von Klima-Kolonialismus sind.

STANDARD: Inwiefern?

Kobusingye: Länder wie Österreich können dadurch weiterhin billige Energie nutzen und CO2 in die Luft blasen, während wir hier ein paar Bäume pflanzen und dafür kaum etwas bekommen. Für Unternehmen ist das oft ein Freifahrtschein, so weiterzumachen wie bisher. Wir sollten nicht vergessen, dass Bäume und Wälder erst zu CO2-Senken werden, wenn sie bereits älter sind. In den ersten 15 Jahren, wenn die Setzlinge noch jung sind, gibt es für das Klima keinen positiven Effekt.

STANDARD: Hängen die Effekte der Klimaschutzmaßnahmen nicht davon ab, wie sie konkret umgesetzt werden?

Kobusingye: Das Problem ist: Um Bäume zu pflanzen, werden in Entwicklungsländern häufig ganze Gemeinschaften vertrieben. Von den Geldern sehen viele lokale Bevölkerungsgruppen gar nichts.

STANDARD: Österreichs Klimaschutzministerin bezeichnete Österreich kürzlich als Vorreiter, wenn es um die Klimafinanzierung geht. Bis 2027 will das Land 160 Millionen Euro für die Anpassung an den Klimawandel im Globalen Süden bereitstellen. Wird Österreich damit seiner Verantwortung gerecht?

Kobusingye: Es ist ein Start, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Reiche Länder müssten noch viel mehr tun. Nur so kommen wir einer besseren Zukunft und einem besseren Planeten näher – für uns und die nächsten Generationen. (Interview: Jakob Pallinger, 26.3.2024)