Kopfläuse – allein der Gedanke an die zwei Millimeter kleinen, flügellosen Insekten genügt bei einigen, und die Kopfhaut beginnt zu jucken. Bei anderen werden vielleicht Erinnerungen an die eigene Kindheit wieder wach, das Ziepen des Lauskamms, der distinkte Geruch des Weidenrindenshampoos.

In den Wiener S-Bahnen ist regelmäßig ein offensichtlich verwahrloster Mann anzutreffen, der von Läusen befallen ist und vom Juckreiz geplagt sein muss. Die "Kronen Zeitung" berichtete schon darüber. Offenbar hatte sich ein ÖBB-Lokführer an das Medium gewandt. Das beigefügte Beweisfoto zeige einen Mann, "von oben bis unten übersät mit Läusen". Die ÖBB bestätigt auf STANDARD-Anfrage das Bestehen dieses Problems: Seit einigen Wochen werden in unregelmäßigen Abständen Züge eingezogen und gereinigt, wenn sich der Mann darin aufgehalten habe.

Langwierige Reinigung

Die ÖBB-Mitarbeitenden seien grundsätzlich angehalten, Personen des Zuges zu verweisen, wenn sie "eine Gefahr für die Sicherheit der Mitreisenden darstellen oder andere Mitreisende in unzumutbarer Weise belästigen". Im konkreten Fall heißt das: Wenn die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter den von Läusen befallenen Mann erkennen, muss er aussteigen, und der gesamte Zug wird einer intensiven Grundreinigung unterzogen, die mehrere Stunden dauert. Die ÖBB gibt an, dass es bereits vorgekommen sei, dass drei Züge an einem Tag betroffen waren. Den Wiener Linien sei der offenbar von Läusen befallene Fahrgast nicht bekannt, erklärt eine Sprecherin.

ÖBB Zug S-Bahn-Ring
Nicht nur Ticketkontrolle: Aktuell sind Mitarbeitende der ÖBB dazu angewiesen, einen offensichtlich von Läusen befallenen Mann sofort des Zugs zu verweisen und die Gesundheitsbehörden zu informieren.
APA / Helmut Fohringer

Die ÖBB ist laut eigenen Angaben mit den Gesundheits- und Sozialbehörden der Stadt Wien in Kontakt. Die "weitere Vorgehensweise" obliege "den entsprechenden Stellen". Wie kann es also sein, dass sich seit Wochen an der Situation nichts ändert und dem Mann augenscheinlich nicht geholfen wird?

Rechtlich keine Handhabe

Bei Läusebefall handle es sich um keine meldepflichtige Erkrankung, weshalb der Gesundheitsdienst der Stadt Wien rechtlich keine Möglichkeiten habe einzuschreiten, sagt Sonja Vicht, Sprecherin des Gesundheitsdiensts. Eine Entlausung könne nur freiwillig erfolgen, mehr könne man aufgrund der derzeitig geltenden Richtlinien nicht tun. "Die angesprochene und offensichtlich von vielen gewünschte Änderung setzt eine Änderung der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen bis hin zur Befugnis der Ausübung von Zwangsmaßnahmen voraus", erklärt Vicht.

Im Hygienezentrum biete der Gesundheitsdienst die Kontrolle und Behandlung von Lausbefällen grundsätzlich als kostenpflichtige Dienstleistung an. Je nach Stärke des Befalls koste die Entlausung zwischen rund 26 und 94 Euro. Für sozial Bedürftige werden die Kosten von Sozialeinrichtungen übernommen.

Hilfe für Obdachlose

Kopfläuse sind weltweit verbreitet und können grundsätzlich jeden und jede treffen. Auf der Website des Gesundheitsministeriums heißt es, dass Kinder und Jugendliche aufgrund ihres altersspezifischen Verhaltens und des engeren Zusammenlebens in Kindergarten und Schule häufiger von Kopfläusen betroffen seien als andere Bevölkerungsgruppen.

Für wohnungs- oder obdachlose Personen bietet unter anderem die Caritas in ihren Tageszentren und Notquartieren Unterstützung an, sollten diese Kopfläuse haben. Lauskämme, Lausshampoo und die Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden hier bereitgestellt. Grundsätzlich täten sich manche Menschen aber einfach schwer, Hilfe anzunehmen, so die Caritas auf STANDARD-Anfrage. Man könne derzeit keine Steigerung der Läusebefälle bei Obdachlosen beobachten.

Durch das Netz gefallen

Der Betroffene falle durch ein Netz an Gesundheits- und Sozialangeboten. Denn: Man müsse psychisch dafür in der Lage sein, diese anzunehmen, erklärt Julia Palmai vom Verein Med 4 Hope, der sich der Straßenmedizin verschrieben hat. Bei Med 4 Hope arbeiten Ärztinnen und Ärzte ehrenamtlich, wenn Sozialarbeiterinnen oder Streetworker sich bei ihnen melden, um auf obdachlose Personen aufmerksam zu machen, die ihre Hilfe abweisen, aber offensichtlich medizinische Versorgung benötigen. Die Erfahrung habe gezeigt, dass, sobald Medizinerinnen und Mediziner persönlich vorbeikommen, Menschen die angebotene Hilfe eher in Anspruch nehmen.

Der von Läusen befallene Mann scheine Hilfe – etwa durch den Gesundheitsdienst der Stadt – nicht annehmen zu können, sagt Palmai. Hinter ihm stecke vermutlich eine "sensible und kranke Seele", der es zu helfen gelte. "Es ist traurig, dass uns bisher noch niemand kontaktiert hat", erklärt Palmai im Gespräch mit dem STANDARD. Sie vermutet, der Mann sei für Sozialarbeiterinnen und -arbeiter "einfach schwer zu fassen", da er nicht immer dieselben S-Bahnen nutze oder die gleichen Plätze aufsuche.

Visite auf der Straße

Med 4 Hope werde daher mit den Organisationen, die den Betroffenen eventuell kennen könnten, in Kontakt treten und versuchen, eine nachgehende medizinische Betreuung durchzuführen. Den Betroffenen also zu waschen, zu entlausen, ihm neue Kleidung anzubieten und ihn dann in regelmäßigen Abständen medizinisch zu betreuen. Mit anderen Patientinnen und Patienten mache man sich etwa aus, sich beispielsweise einmal pro Woche vor einer bestimmten U-Bahn-Station zur "Visite" zu treffen.

200 bis 500 obdachlose Personen in Österreich sind laut Med 4 Hope psychisch nicht dazu in der Lage, selbst medizinische Unterstützung aufzusuchen, obwohl sie diese benötigen. Der aktuelle Fall zeige, dass das System hier Lücken habe. Durch die freiwilligen Ärztinnen und Ärzte versucht der Verein, der sich über Spenden finanziert, diese Versorgungslücke zu schließen. (Antonia Wagner, 27.3.2024)