Das Institut für Medien, Politik & Theater stellet aktuelle Themen auf der Bühne zur Debatte: Jennifer Weiss, Emily Richards, Anna Wielander und Felix Hafner (v.li.).
Das Institut für Medien, Politik & Theater stellt virulente Themen auf der Bühne zur Debatte: Jennifer Weiss, Emily Richards, Anna Wielander und Felix Hafner (v. li.).
Tobias Pichler

Eigene Recherchen, Interviews oder andere außerliterarische Quellen für einen Theaterabend heranzuziehen hat seit dem Aufkommen des Dokumentartheaters in den 1960er-Jahren Tradition. Belletristische Werke erfassen eben nicht alles, was es aktuell auf den Bühnen zu verhandeln gilt. Einen weiteren Anstoß in diese Richtung gab ab den 1990er-Jahren die Gruppe Rimini Protokoll mit ihren themenspezifischen Aufrissen – "Experten des Alltags" eroberten damals die Bühne.

Derzeit boomt eine neue Form des Recherchetheaters, das auf die direkte Zusammenarbeit mit Investigativjournalismus setzt. Rechercheplattformen wie Correctiv und Dossier sind dahingehend engagiert, DER STANDARD hat etwa mit dem Burgtheater kooperiert. Dabei kommen virulente Themen – wie zuletzt die Benko-Pleite oder das Rechtsextrementreffen in Potsdam – künstlerisch verdichtet auf die Bühne (Volkstheater, Berliner Ensemble).

"Das Theater gibt uns die Möglichkeit, Dinge spielerisch zu erklären, was im Journalismus eben nicht so möglich ist", formuliert es das im Kollektiv auftretende Institut für Medien, Politik & Theater, das 2022 mit Die Fellner Lesung erstmals ins Rampenlicht trat. Das Quartett (Felix Hafner, Emily Richards, Jennifer Weiss und STANDARD-Redakteurin Anna Wielander) bündelt Theater- wie Journalismuskompetenzen und beschäftigt sich im aktuellen Projekt mit einem derzeit vielbeachteten Thema, dem Machtmissbrauch im Theaterbetrieb. Das entwickelte Stück heißt Nestbeschmutzung und hat am 4. April im Kosmos-Theater Wien Premiere.

Diskursschauplatz Theater

Recherchetheater löst viele Ansprüche ein, die das zeitgenössische Theater derzeit erhebt. Einerseits gelingen gesellschaftspolitisch relevante Themenzugänge, die der klassische Dramenkanon schlichtweg nicht bietet. Aischylos oder Lessing konnten Benko nicht auf dem Schirm haben. Zum anderen wird eine hierarchische Arbeitsweise ausgebootet, die stark in der Kritik steht. "Einen Text vom Blatt zu inszenieren – so arbeitet man nicht mehr. Heute rückt die 'heilige Trias' Regie, Text, Schauspiel viel näher zusammen. Es gibt einfach den Wunsch nach Zusammenarbeit", findet das Theaterteam.

Aus genau diesen Gründen wurden zuletzt auch sogenannte Stückentwicklungen en vogue, also Texte, die im Probenprozess in Gemeinschaft entstehen – wie es etwa das Vorarlberger Aktionstheater Ensemble praktiziert. Das fertig hinterlegte Dialogstück muss heute ohnehin damit rechnen, mittels anderer Textbeigaben auf Vielstimmigkeit hochgepimpt oder gleich überschrieben zu werden. Dafür gibt es gute Gründe.

Allem voran steht bei Recherchestücken die Dringlichkeit des inhaltlichen Anliegens; es wirft Themen auf, die ein spezifisches und breites Publikum gleichermaßen ansprechen. In Gondelgeschichten (2022) am Landestheater Tirol beispielsweise erhob das Institut das Thema Wintertourismus im Spannungsfeld zwischen Alpinkapitalismus und Umweltaktivismus zum Thema – und wurde damit prompt zum Radikal-Jung-Festival nach München eingeladen. Eine Infotainmentreihe zu innenpolitischen Skandalen wurde unter dem Titel I am from Austria wiederum am Schauspielhaus Graz entwickelt. Theater wird hiermit konziser als sonst zum Diskursschauplatz.

200 Stunden Gespräche

Das Institut für Medien, Politik & Theater arbeitet nach eigenem Bekunden "sehr journalistisch". Die Recherchen umspannen eineinhalb bis zwei Jahre. Für Nestbeschmutzung wurden viele Gespräche mit Betroffenen sowie Expertinnen geführt (rund 200 Stunden), die anonymisiert in das Stück einfließen. Für O-Töne werde immer die Freigabe eingeholt. Zudem finden die Erkenntnisse aus Reportagen, Dokumentationen und Sekundärliteratur Eingang. Aus dem Material wird ein roter Faden gesponnen und im Team in vielen Stufen eine Geschichte geschrieben – gar nicht unähnlich der Arbeitsweise prominenter Ad-hoc-Autoren wie René Pollesch, Simon Stone oder Nele Stuhler.

Den Rahmen für das Stück Nestbeschmutzung wird die Party nach einer Preisverleihung abgeben. Die Theaterzunft ist versammelt und feiert sich. "An diesem Schauplatz interessiert uns die Divergenz zwischen der Präsentation der Theaterbranche nach außen und den dahinterliegenden problematischen Strukturen", so das Kollektiv. Und weiter: „Es geht uns auch um die falsche Mystifizierung von Theater – an manchen Schauspielschulen gibt es ja bis heute noch Ritualaufnahmen mit Schwüren. Also wir problematisieren den aufgeladenen Zauber, den der Geniekult mitbedingt.“

Inhalt steht vor Ästhetik – dazu steht die Theatergruppe selbstbewusst. Das Bekenntnis zur aufklärerischen, wissensvermittelnden Absicht mag auch jenem Publikum die Scheu nehmen, das sich von radikalen formalen Setzungen eher abwendet. Kunst bleibt das Format Recherchetheater aber sehr wohl. Es geht um das Auffächern einer oft komplexen Realität, um das spielerische Arrangieren von Widersprüchen inklusive aller Leerstellen und offenen Fragen. Wir sollten sie uns nur stellen. (Margarete Affenzeller, 27.3.2024)