Emily Hartwood und Edward Carnby sind wieder unterwegs, um den vermissten Jeremy zu finden.
THQ Nordic

32 Jahre ist es her, als Edward Carnby erstmals durch die Gänge des verfluchten Anwesens Derceto (gesprochen mit "s") geschlurft ist, sich von grünen Monstern in pinken Outfits beißen und von Gargoyles auf Treppen versteinern ließ. Nicht zu Unrecht gilt der Gruselhit aus dem Jahr 1992 als der Startschuss für das Horror-Survival-Genre, das heute vor allem durch die "Resident Evil"-Reihe weiterlebt.

Kann eine Neuauflage im Jahr 2024 die Kultreihe würdig fortsetzen? Die kurze Antwort: Ja. Die längere Antwort kommt allerdings mit einigen "Wenn" und "Abers" daher, und die betreffen ausgerechnet den Action-Part. Die Entwicklerinnen und Entwickler von Pieces Interactive gingen jedenfalls mit Respekt an den Originalstoff und nannten ihr Spiel selbst einen Liebesbrief an den Klassiker. Sollte jemand tatsächlich die Prämisse nicht kennen, hier der Kurzabriss: Jeremy Hartwood ist verschwunden, weshalb seine Nichte Emily den Privatschnüffler Edward Carnby anheuert. Den Respekt vor dem Original erkennt man schon am Intro. Als Carnbys Wagen vorfährt, wird genau jene düstere Einstellung gezeigt, in der das Heldenduo vom Dachboden aus von einer unheimlichen Gestalt beobachtet wird.

Mystery-Adventure

Doch ein wenig wurde schon an der Story geschraubt, um sie ins Jahr 2024 zu katapultieren. Derceto ist nicht mehr die Geisterbahn, an der hinter jeder Ecke ein fieses Monster lauert, tatsächlich wirkt auf den ersten Blick alles normal. Na gut, so weit man das von einem psychiatrischen Krankenhaus der 1920er-Jahre behaupten kann. Zumindest wirken die Bewohner nicht auf den ersten Blick wie feindselige Kreaturen, sie sind sogar einigermaßen liebenswert und nahbar. Da wäre eben die klassische Schriftstellerin mit Schreibblockade, der Lebemann, der versucht, dem Whisky abzuschwören, oder eben die freche Grace, die schon aus der Demo bekannt sein dürfte. In der ersten Stunde wirkt "Alone in the Dark" eher wie ein Mystery-Adventure als ein Horrortrip. Und das ist gut so: Wahlweise als Edward oder Emily schlurft man ähnlich langsam wie anno 1992 durch die Gänge des Hauses, befragt dessen Bewohnerinnen und Bewohner, sammelt Hinweise und durchwühlt die privaten Sachen des verschwundenen Onkels.

Edward genehmigt sich ein Schlückchen, das ihm von einer Patientin der Anstalt von Derceto verabreicht wurde. Ob das eine gute Idee ist?
THQ Nordic/Screenshot DER STANDARD

Doch nach und nach stellt sich heraus, dass hier mehr vor sich geht, als es den Anschein hat. Der leitende Arzt scheint sehr kreative Behandlungsmethoden zu wählen, der hünenhafte Chefpfleger wirkt furchteinflößend, und was ist eigentlich der Künstlertruppe passiert, die dieses Haus zuvor bewohnt hat? Gerade die Ermittlungsarbeit in Derceto ist es, die einen enormen Charme versprüht. Um in den Trakt der Patienten zu gelangen, muss etwa ein Schlüssel gestohlen werden. Der liegt aber sicher verstaut in einem Safe, also gilt es die Kombination herauszufinden. Die Lösung versteckt sich meistens in Skizzen an Wänden oder in den zahlreichen Tagebüchern.

Tatsächlich verlangt "Alone in the Dark" vom Spieler einige Kombinationsgabe und versteckt die Hinweise teilweise sehr subtil in Hintergrundtexten. Neben den üblichen Zahlenrätseln kommen auch Bildrätsel und Schiebepuzzles hinzu. Die meisten Denksportaufgaben sind gut designt und treffen den richtigen Punkt zwischen Intelligenzbeleidigung und unschaffbarem Entwickler-Fiebertraum. Im ersten Spieldurchgang fielen nur zwei Kombinationsrätsel unangenehm durch allzu vage Hinweise auf.

Die Lichtstimmung vermittelt Stimmung pur.
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Wer keine Lust auf derartige Kopfnüsse hat, der kann im Optionenmenü die Hilfefunktion aktivieren. Damit werden wichtige Passagen etwa in Tagebüchern noch einmal extra hervorgehoben. Generell empfiehlt es sich die modernen Hilfestellungen zu aktivieren und Interaktionspunkte hervorheben zu lassen, denn viele Gegenstände sind erstens winzig und zweitens in den düsteren Hallen von Derceto nur sehr schwer zu erkennen, wenn überhaupt.

Alone in the Dark - Official Extended Gameplay Trailer
Alone in the Dark is a reimagined classic survival horror game developed by Pieces Interactive. Take a look at the latest gameplay trailer for Alone in the Dark where Emily and Private Investigator Edward arrive at the Derceto Manor to uncover strange occurenc
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Doch die Ermittlungsarbeit wird bald unterbrochen, denn nur etwas mehr als die Hälfte des Spiels verbringt man tatsächlich in Derceto. Auf der Suche nach dem Verbleib von Jeremy Hartwood muss man nämlich in dessen Gedankenwelt (oder seine Wahnvorstellungen) eintauchen. Also verschlägt es Edward oder Emily in die Straßen von New Orleans, auf ein Dampfschiff, in ein spanisches Kloster oder gar in die Arktis.

Die Kämpfe: Zum Gruseln

Diese Passagen beinhalten zwar manchmal auch kleinere Rätsel, sind aber eher der actionlastige Teil des Spiels – und fallen qualitativ leider deutlich vom stimmungsvollen Ermitteln in Derceto ab. Denn die Kämpfe machen selten wirklich Spaß, was vor allem an der recht steifen Umsetzung liegt. Zwar können die Helden ausweichen, aber hat ein Monster Edward erst einmal in seinen Fängen, ist es schwer wieder zu entkommen, weil die Schmerz-Animation nicht unterbrochen werden kann.

Ja, "Alone in the Dark" kann auch bunt sein.
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Das ist auch schon der einzige Grusel, den die Gegner verbreiten, denn weder das Design (oh, ein Wurmmonster!) noch deren KI lassen so etwas wie Stimmung aufkommen. Zwar stehen Pistole und später Schrotflinte sowie Tommygun zur permanenten Verabschiedung der Gammelmonster zur Verfügung, aber in den meisten Fällen reicht es einfach, vorbeizulaufen, denn die Kunst des Kletterns beherrschen die Gegner nicht. Selbst wenn es sich um eine wenige Zentimeter hohe Geländekante handelt, bleiben die Widersacher stecken. Nahkampf ist auch keine Option, denn die Rohre, Vorschlaghammer und Paddel zerbrechen, nachdem man einen Gegner ein paar Mal damit massiert hat. Da fühlt man sich wirklich 32 Jahre in die Vergangenheit versetzt, zumal die Levelbegrenzungen aus Nebelwänden oder hüfthohen und damit unüberwindbaren Zäunen bestehen.

Nein, wegen der Kämpfe sollte man "Alone in the Dark" nicht spielen. Das Spiel lebt eindeutig von der Atmosphäre, und die bietet es reichlich. Das dürfte auch am Voice-Acting von Jodie Comer ("Killing Eve", "Free Guy") and David Harbour ("Stranger Things", "Black Widow") liegen. Beide treffen den Ton ihrer Figuren perfekt, wobei die nüchterne und nachdenkliche Emily als der eindeutig vielschichtigere Charakter transportiert wird. Edward Carnby als whiskysaufender, hemdsärmeliger Privatschnüffler mit Hut, flotten Sprüchen und Hang zum voreiligen Schusswaffeneinsatz wirkt da manchmal ein wenig klischeehaft.

Ein typisches Rätsel: Hier müssen Röntgenbilder korrekt zusammengesetzt werden.
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Ach ja, es lohnt sich übrigens, die Kampagne mit beiden Figuren durchzuspielen, denn nur so kann man tatsächlich alle Rätsel lösen und alle Orte besuchen. Der jeweils rund achtstündige Storyverlauf bleibt großteils gleich, aber neben alternativen Cutscenes bekommt kurz vor dem Finale jeder Charakter noch einmal seine eigene Hintergrundepisode spendiert.

Technisch genügsam

Unter der Haube geht die Unreal Engine 4 zu Werke, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass sich der Hardwarehunger von "Alone in the Dark" in Grenzen hält. Jedenfalls war auf dem Testsystem (Ryzen 5800X3D, 6800 XT) die Framerate in 4K-Auflösung stabil bei 120. Jedoch dürfte die Optimierung in der Testversion noch Luft nach oben haben, denn es kam in regelmäßigen Abständen zu Mikrorucklern, was vor allem in den ohnehin schon hakeligen Kämpfen zusätzlich an den Nerven zehrte.

Oh nein, ein Wurmmonster erhebt sich. Schnell mit der Schaufel draufhauen. Die Kämpfe sind weder spielerisch noch inszenatorisch der Rede wert.
THQ Nordic/Screenshot DER STANDARD

Noch ein Tipp für alle, die AMD-Grafikkarten einsetzen: Vor dem Spielstart sollte unbedingt FSR deaktiviert werden, sonst sehen nämlich alle Figuren im Spiel aus als wären sie aus Wachs gemacht und hätten einen zu langen Aufenthalt in der Mikrowelle genossen. Grafisch setzt "Alone in the Dark" keine Maßstäbe, muss es aber auch nicht. Dennoch wurde die Lichtstimmung vor allem in Derceto selbst schön umgesetzt.

Fazit von Peter: Oldschool in jeder Hinsicht

Wie habe ich mich auf "Alone in the Dark" gefreut! Ich kann mich noch erinnern, als ich als viel zu junger Mensch mich vor den Monstern in der Urversion gegruselt habe. Wie schön, dass die Neuauflage hier genau den richtigen Ton trifft und sich an vielen Stellen vor dem Original und dessen beiden Fortsetzungen verbeugt. Die Ermittlungs- und Erkundungspassagen in Derceto fand ich mit der Jazzmusik und dem Noir-Charme enorm stimmungsvoll, sodass ich gar nicht in die anderen Szenen wechseln wollte. Denn die beeindrucken leider nur auf negative Weise: Uninspirierte Kämpfe gegen völlig ungruselige Gegner und dann noch diese eine erzwungene Schleichpassage erinnern mich zu stark an die Unsitten von Oldschool-Spielen der frühen 2000er.

Am Ende bleibt die Frage: Haben sich 32 Jahre Wartezeit seit der Urvariante des Spiels gelohnt? Ja schon, denn das unheimliche Anwesen Derceto und seine schrulligen Bewohner reißen es raus – und der What-the-Fuck-Moment am Ende auch. Für den nächsten Teil in (hoffentlich in Hell's Kitchen) wünsche ich mir aber mehr von den stimmungsvollen Rätseln und endlich gut gemachte Action.

Fazit von Benjamin: Routineprogramm

Grundsätzlich hat mich die Kampagne mit Emily Hartwood überzeugt: Spielerische Anleihen aus älteren "Resident Evil"-Teilen und Vibes von H.P. Lovecraft sorgen dafür, dass die jüngste Interpretation von "Alone in the Dark" zum Glück nicht an die letzten Vertreter der Serie anknüpft – vorausgesetzt man kann den beiden Einflüssen etwas abgewinnen. Wirkliche Überraschungen darf man sich dementsprechend nicht erwarten, und das ist neben einem eher durchschnittlichen Kampferlebnis auch der größte Vorwurf, den man dem Spiel machen kann.

Weder inhaltlich noch technisch lehnt sich das Spiel weit aus dem Fenster, wenn es um Innovation geht, im Gegenteil: In seinen besten Momenten blitzt der Spaziergang in Derceto zwar auf Augenhöhe zu den Survival-Horror-Highlights der letzten Jahre auf. Die meiste Zeit über spult man aber routiniert ein Programm ab, das man auf allzu ähnliche Weise bereits woanders erlebt hat. Mein Tipp: Der nächste Abverkauf kommt bestimmt. (Benjamin Brandtner, Peter Zellinger, 22.3.2024)