"Vice" durfte den FPÖ-Europaabgeordneten Harald Vilimsky einen "Fake-Wahlbeobachter" nennen, dieses Werturteil sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Das entschied gerade das Oberlandesgericht Wien in zweiter Instanz und bestätigte damit die Entscheidung der ersten, die Vilimskys Klage nicht recht gegeben hatte. Die Entscheidung kommt parallel zur Einstellung des Mediums im deutschsprachigen Raum, auch der US-Mutterkonzern stellt vice.com ein.

"Vice" und ein Porträt über Harald Vilimsky.
Vice Screenshot

Vilimskys Anwalt prüft außerordentliche Revision

"Vice" wurde erfolgreich vertreten von Thomas Höhne und Kerstin Köcher (Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte), Vilimsky und den zweiten Kläger Maximilian Krauss vertritt der Wiener Rechtsanwalt Christoph Völk. Völk erklärt auf STANDARD-Anfrage, man prüfe, ob man gegen die abschlägige Entscheidung des Oberlandesgerichts eine außerordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof erheben werde. Dann müsste man aufzeigen, dass es sich um eine Rechtssache von allgemeiner Bedeutung handelt, die über den konkreten Einzelfall hinausgeht. Das verneinte das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung und schloss deshalb eine ordentliche Revision aus.

Das Oberlandesgericht Wien verweist in seiner Urteilsbegründung darauf, dass der "Vice"-Autor in seinem Artikel zunächst erklärt, was er unter "Fake-Wahlbeobachter" versteht, und dies mit Beispielen unterfüttert, etwa mit der Wahl in Ungarn und Vilimskys Tätigkeit als Wahlbeobachter. Das Gericht kommt zum Schluss, dass die allgemein politisch interessierten Leserinnen und Leser von "Vice" nicht einmal bei ungünstigster Auslegung des Textes herauslesen könnten, dass Vilimsky hier die Beteiligung an einem Wahlbetrug oder geldwerte Leistungen für parteiische Wahlbeobachtung vorgeworfen würden. Mit solchen Eindrücken hatte die Klage argumentiert.

"Beruht auf ausreichendem Tatsachensubstrat"

Wörtlich heißt es in der Entscheidung, die dem STANDARD vorliegt: "Der Artikel kritisiert den Kläger plakativ wertend als 'Fake-Wahlbeobachter'. Aus der Perspektive des Durchschnittslesers wird damit nach dem Gesamtzusammenhang des Artikels der Vorwurf erhoben, der Kläger habe vor dem Hintergrund einer weltanschaulichen Nähe zur ungarischen Regierung die Funktion des Wahlbeobachters nicht in kritischer Distanz und nicht nach den international anerkannten Standards einer unabhängigen Beobachtung ausgeübt."

Und weiter: "Diese Wertung der Verfasser beruht auf dem Tatsachensubstrat, dass der Kläger über Einladung eines Fidesz-nahen Thinktanks zur Wahlbeobachtung nach Ungarn reiste, sich pro Fidesz positionierte und Viktor Orbán über Facebook und Twitter zum Wahlsieg gratulierte, wogegen die Wahlbeobachtungsmission der OSZE deutliche Kritik wegen des Fehlens gleicher Ausgangsbedingungen im Wahlkampf übte. Der Artikel stützt sich überdies auf die Ausführungen einer ungarischen Oppositionspolitikerin und die Teilnahme des Klägers an einer Konferenz wenige Monate nach der Wahl."

Daraus schließt das Oberlandesgericht: "Die vorliegende wertende Beurteilung der Tätigkeit eines in der Öffentlichkeit stehenden Politikers ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Sie beruht auf einem ausreichenden Tatsachensubstrat, bleibt sachbezogen und ist als Beitrag zum politischen Meinungsstreit auch in ihrer polemischen Zuspitzung nicht exzessiv. Sie ist daher – im Lichte des Artikels 10 Europäische Menschenrechtskonvention – zulässig." (Harald Fidler, 21.3.2024)