Viel Platz und Fenster! Der erste Eindruck vom Sitzungsraum an der GÖG (Gesundheit Österreich GmbH), in dem die aktuelle Arbeitsgruppe der Selbstvertreter:innen stattgefunden hat, ist einladend und erfrischend. Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe sind anwesend, unter ihnen Hilde Kert von Pomenz und Angela Pototschnig von Alzheimer Austria. Thema der Arbeitsgruppe ist das Verfassen des Vorworts des kommenden Demenzberichts. Brigitte Jurasovich, stellvertretende Leiterin des Bereichs Gesundheitsberufe und Langzeitpflege sowie Begleiterin der Umsetzung der Demenzstrategie, blickt erwartungsvoll in die Runde. "Was ist aus eurer Sicht wichtig, dass die breite Bevölkerung über Demenz weiß?" "Weißt du", beginnt Angela Pototschnig, "mir ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass ich immer noch wachse. Ich kann mich in der Erkrankung wohlfühlen. Klar, ich brauche Unterstützung und Assistenz, aber ich bin noch immer ich. Und ich habe viel zu sagen."

Andreas, ebenfalls Selbstvertreter, ergänzt: "Viele Menschen wissen ja gar nicht, was Demenz eigentlich heißt. Es heißt ja 'Ohne Geist'. Aber das stimmt nicht. Ich bin nicht ohne Geist. Ich fühle mich wie ein Superheld meiner Erkrankung und mein Ziel ist es, darüber zu sprechen und zu zeigen, was möglich ist." Hilde nickt zustimmend und fügt dazu: "Was für mich schwer ist, ist, dass die Leute glauben, dass dement sein gleichbedeutend ist mit tot sein. Dahinsiechen und nichts mehr können. Irgendwann ist es so, vielleicht. Aber bis dahin ..." Angela fällt Hilde ins Wort: "Bis dahin ist die Zeit dazwischen. Das ist die längste Zeit zwischen Diagnose und Tod. Die Menschen haben Angst vor der Demenz. Ich möchte euch sagen, das ist EURE Angst, nicht unsere."

Dementia-Worry als weltweites Phänomen

Die Ängste, die in der Bevölkerung in Bezug auf Demenz vorhanden sind, sind vielfältig und europaweit ähnlich. Eva- Marie Kessler, Professorin für Gerontopsychologie an der Medical School Berlin, spricht in diesem Zusammenhang von "Dementia-Worry". Dementia-Worry, so Kessler, kann als emotionale Reaktion auf die wahrgenommene Bedrohung, an Demenz zu erkranken, definiert werden – unabhängig vom chronologischen Alter und vom kognitiven Status. Danach umfasst Dementia-Worry sowohl affektive Komponenten wie Angst und Niedergeschlagenheit als auch kognitive Komponenten wie Gedanken, Assoziationen und innere Bilder. Die von Kessler und ihrem Team durchgeführte Studie zu Dementia-Worry ergab drei Hauptkategorien der Ängste. Die Angst vor dem "lebendigen Tod", die Angst vor dem Physisch-Animalischen und die Angst vor dem Verlust von identitätsstiftenden Ressourcen (Kessler, 2018).

Um mit Dementia-Worry umzugehen, empfehlen Kessler sowie nationale und internationale Forscher:innen wie Elisabeth Stögmann, Peter Dal Bianco, Jil Rassmussen, Hanna Langermann oder Luke Stoekl, Risikofaktoren kennenzulernen und zu erkennen, sich Wissen über die Demenzerkrankung anzueignen, Berührungsängste abzubauen und im Anlassfall frühzeitig zu Abklärungsuntersuchungen zu gehen.

Öffentlichkeitsarbeit gegen die Angst

Alle neun Bundesländer haben sich im Rahmen der Demenzstrategie dazu bekannt, die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Demenz auf breite Beine zu stellen. So macht Vorarlberg zum Beispiel mit Plakaten und Buttons der Aktion Demenz auf das Thema aufmerksam. Die Koordinationsstelle Demenz Tirol hat mit Toni Innauer einen österreichweit bekannten Unterstützer für ein gewinnen können. In Niederösterreich hat die Caritas NÖ die Kompetenzstelle Demenz mit Beratungs-, Schulungs- und Vernetzungsangeboten ins Leben gerufen, mit dem Demenzservice Niederösterreich hat das Land Niederösterreich eine Anlauf- und Informationsstelle geschaffen. Wien, Klosterneuburg, Salzburg und Vorarlberg treiben mit den demenzfreundlichen Bezirken und Gemeinden die Entwicklung von Dementia-Literacy voran. Die gesamte Liste der Aktivitäten, die im Rahmen des zweiten Wirkungszieles von Bundesländern, Gemeinden und Städten durchgeführt werden, wird kontinuierlich länger und kann in ihrer Gesamtheit auf der Website der österreichischen Demenzstrategie nachgelesen werden. War es das also? Gibt es nichts mehr zu tun? Mitnichten.

Nimm mich mit in deine Welt – Plakat der Aktion Demenz, Vorarlberg.
https://www.aktion-demenz.at/fileadmin/_processed_/f/b/csm_Plakataktion_Lustenau_Fussballstadion_952d238dd4.jpg

Neue Bilder der Demenz

Menschen mit Demenz sind Menschen bis zum Schluss. In ihrem gesamten Wesen und ihrer Individualität. Angela Pototschnig und die Mitglieder der Arbeitsgruppe der Selbstvertreter:innen sagen: "Es gibt eine Zeit dazwischen. Das ist die längste Zeit – zwischen Diagnose und dem Ende." Die Bilder, die diese Zeit darstellen, sind wichtig und müssen verändert werden. Die Darstellung von Demenz in den Medien ist nach wie vor von Bildern geprägt, die Angst machen und Unsicherheit verstärken. Es ist aber dringend notwendig, genau diese Bilder zu verändern.

Beim Medienpanel "Zum Vergessen!" von Desidera (einem deutschen Selbsthilfeportal für Angehörige von Menschen mit Demenz) ging es Anfang März 2024 um die bildliche Darstellung von Demenz in Print- und Onlinemedien im Spannungsfeld zwischen journalistischem Anspruch, Leserorientierung und redaktionellem Alltag. Andreas Trampe, Senior Photo Editor beim "Stern", beschreibt dieses Spannungsfeld folgendermaßen: "Grundsätzlich wollen wir die Interessen unserer Leserinnen bedienen. Sie erwarten, dass wir ihnen möglichst schnell und verständlich zeigen, worum es geht. Wir wissen, dass die Leute meist das Bild zuerst anschauen, dann die Schlagzeile, den Untertitel, und im besten Fall fangen sie dann an zu lesen. Und das bis zum Schluss. Das ist das Ziel. Folglich dürfen Bilder nicht langweilig und nicht alltäglich sein." Dementgegen hält Jutta Schein von der "Zeit": "Wir versuchen, in der Berichterstattung Mut zu machen – besonders den Angehörigen. So was geht mit einer positiven Bildsprache leichter." Im Rahmen der österreichischen Demenzstrategie soll, gemeinsam mit Medientreibenden, ein "code of good practice" entwickelt werden, um diesem Spannungsfeld gerecht zu werden.

"Die Menschen haben Angst vor der Demenz. Ich möchte euch sagen, das ist EURE Angst, nicht unsere." (Angela Pototschnig). Stellen wir uns unseren Ängsten und schaffen wir neue Bilder. Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, 29.4.2024)