Ähnlich wie in einem Museum braucht es auch in einem Botanischen Garten ein Sammlungsmanagement. Ohne Dokumentation sind Pflanzen für die wissenschaftliche Erforschung in der Regel wertlos. Nur Arten mit sicherer Bestimmung und Herkunftsangaben dürfen für wissenschaftliche Publikationen herangezogen werden.

Die Orchideensammlung des Botanischen Gartens umfasst über 7.000 Pflanzen. Die Familie der Orchideen ist (nach derjenigen der Korbblütler) die zweitgrößte Pflanzenfamilie überhaupt. Je nach Quellenlage zählt sie über 1.000 Gattungen und bis zu 30.000 Arten. Die Unklarheit über die endgültige Zahl ist ein Zeichen dafür, wie sehr hier die Forschung im Fluss ist.

Kein Garten kann jedenfalls diese Fülle in einer einzigen Sammlung abdecken. Eine Spezialisierung ist erforderlich. Der Botanische Garten der Universität Wien legt seinen Schwerpunkt auf die (sub-)tropischen Gattungen Bulbophyllum, Oeceoclades, Pleurothallis und Vanilla.

Orchideen-Glashaus im Botanischen Garten
Rund 7.000 Orchideen-Arten werden in mehreren Glashäusern kultiviert.
Rudolf Hromniak

Orchideenfachleute und Orchideenfächer

Bei der Erforschung dieser Orchideen geht es im ersten Schritt um die richtige Benennung und Abgrenzung der Arten und die Feststellung ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen. Dafür braucht es ausgewiesene Orchideenfachmänner und -frauen, die ihr Wissen über die Arten wiederum aus verschiedenen Sammlungen beziehen. Dank ihrer Expertise konnten schon mehrere madagassische Orchideen-Arten im Botanischen Garten neu beschrieben werden.

Auf Grundlage der Bulbophyllum-Sammlung wurde in enger Kooperation mit anderen Sammlungen eine "Checklist" der Gattung Bulbophyllum erstellt. Sie enthält alle akzeptierten Namen samt ihrer Synonyme und den Verbreitungsangaben von insgesamt über 2.000 Arten. Eine solche Liste ist eine wichtige Grundlage für den Artenschutz. Denn wie sollte Artenschutz funktionieren ohne eindeutige Namen und eindeutige Abgrenzung der Arten?

Orchidee, Bulbophyllum, Blüte, Münze
Eine winzige Orchidee aus der Gattung Bulbophyllum.
Rudolf Hromniak

Von den Namen hängt auch die Erforschung weiterer Eigenschaften der tropischen Orchideen ab, etwa ihrer außergewöhnlichen Blütenbiologie. Ohne die richtige Benennung könnten die Forschenden keine Rückschlüsse auf Ähnlichkeiten und Unterschiede verschiedener Arten ziehen, an die wiederum Fragen zur Evolution einzelner Merkmale anknüpfen. Nicht zuletzt interessieren sich Insektenkundler:innen für den Duft tropischer Orchideen, der von männlichen Prachtbienen gesammelt und zu einem Parfum verarbeitet, das die Weibchen anlockt. Von einer gut geführten Sammlung profitieren die unterschiedlichsten Forschungszweige, wie man sieht.

Wie man richtig dokumentiert

Damit die Forschung auf die Pflanzen des Botanischen Gartens zurückgreifen kann, müssen diese "dokumentiert" sein. Eine klassische Form botanischer Dokumentation ist das Erstellen eines Herbarbelegs. Diese Methode ist nach wie vor eine gern praktizierte Form der langfristigen Dokumentation. Durch systematisches Scannen sind Herbarbelege inzwischen weltweit digital verfügbar.

Orchidee auf Zeitungspapier
Diese Orchidee wird zu einem Herbarbeleg verarbeitet.
Frank Schumacher

Für die lebenden Pflanzen werden alle relevanten Informationen in einer Datenbank eingetragen. Zu den wichtigsten Angaben zählen Fundort und Funddatum, daneben werden auch Angaben zur gärtnerischen Kultur oder zu Ablegern für andere Gärten hier vermerkt. Jede Pflanze im Botanischen Garten trägt ein Etikett mit Akzessionsnummer und Barcode, das auf den dazugehörigen Datenbankeintrag verweist.

Laptop, Datenbank, Sammlungsmanagerin
Erst der Eintrag in die Datenbank macht die Pflanze zum Forschungsobjekt.
Frank Schumacher

Eine umfassende Fotodokumentation ergänzt die Datenaufnahme. Bei vielen Arten werden auch Blattproben in Silika-Gel getrocknet, um später DNA daraus gewinnen zu können. Blüten und andere Organe werden für morphologische Untersuchungen in Alkohol eingelegt. Auch die Samen von Orchideen werden gesammelt. Sie sind zwar staubfein, aber unter einem Raster-Mikroskop lassen sich auch an diesen winzigen Organen artspezifische Unterschiede in der Oberflächengestalt erkennen.

Sammlungspflege

Die besondere Herausforderung einer Sammlung lebender Pflanzen ist, dass sie beständig wächst. Damit ist nicht nur die Zahl der Pflanzen gemeint, auch jedes einzelne Sammlungsobjekt wächst bei entsprechender Kultur. Dies erfordert eine grundlegend andere Bewirtschaftung verglichen mit einer musealen Sammlung "toter" Objekte. Erstes und oberstes Ziel einer Lebendsammlung ist, die Pflanzen überhaupt am Leben zu erhalten. In den allermeisten Fällen gibt es damit keine Erfahrung. Es kann keine Erfahrung mit der Kultur einer Orchideen-Art geben, die auf einer Sammlungsreise zufällig als für die Wissenschaft neue Art entdeckt wurde.

Weiß blühende Vanilla madagascariensis
Wächst und blüht: Vanilla madagascariensis
Rudolf Hromniak

Das höchste Ziel ist, die Pflanzen nicht nur am Leben zu erhalten, sondern sie zum Blühen zu bringen. Denn oft ist nur anhand einer Blüte eine eindeutige Bestimmung möglich. Die gute Intuition hochspezialisierter Gärtner:innen ist dabei die Grundlage für den Erhalt und das Wohlergehen der Sammlung. Gedeiht die Sammlung, kann mit anderen Institutionen auch geteilt und getauscht werden. Das ist eine zentrale Aufgabe Botanischer Gärten – Pflanzen zu kutliveren, um sie anderen zugänglich zu machen, nach dem Motto: "If you don’t share a plant, you’ll loose it."

Tipps aus dem Orchideenrevier

Haben Sie Fragen zur Kultur von Orchideen zuhause? Dann posten Sie diese im Forum. Die Orchideengärtner:innen des Botanischen Gartens teilen in einem nachfolgenden Artikel gerne ihre Expertise mit Ihnen! (Barbara Knickmann, 26.3.2024)