Christine (Lisanne Clémence Veeneman) folgt dem Phantom (Anton Zetterholm) in seine Gemächer.
Christine (Lisanne Clémence Veeneman) folgt dem Phantom (Anton Zetterholm) in seine Gemächer.
Deen van Meer

Wir sind im Paris des fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts. In der Opéra Garnier ist gerade Probenpause, Direktor Lefevre nützt sie aber, um sich aus rätselhaften Gründen in den Ruhestand zurückzuziehen. Es übernimmt ein hoffnungsvolles Duo. Monsieur André und Monsieur Firmin! Sie müssen allerdings feststellen, dass ihnen Lefevre vorenthalten hat, dass sie nur Diener eines geheimnisvollen Herrn sein werden.

Dieser unsichtbare Direktor ist im Raimund-Theater bei der Premiere von Andrew Lloyd Webbers Schauermusical Das Phantom der Oper zunächst als autoritäre Echostimme zu vernehmen, die klare Anweisungen erteilt: Bitte, mir weiterhin immer die Loge fünf freizuhalten! Auch jetzt, wenn die Oper Hannibal angesetzt ist. Später werde ich Sie bitten, mein eigenes Werk zur Uraufführung zu bringen.

Das Phantom ist allerdings auch Briefeschreiber. Per Schriftstück diktiert es der neuen Direktion, ihm weiterhin ein hohes Gehalt zu überweisen. Widrigenfalls? Nun, es würden im Haus Unannehmlichkeiten auf Ensemble und Zuschauer herabsausen. Insbesondere, wenn seinem Wunsch nicht nachgekommen würde, Sopranistin Christine Daaé karrieremäßig zu fördern. Man möge sie statt der Hausdiva Carlotta Guidicelli (komisch und koloratursicher: Milica Jovanović) in Hauptrollenposition bringen.

Knallige pyrotechnische Effekte

Weil den Anweisungen des in Christine vernarrten Phantoms nur zögerlich nachgekommen wird, ergeben sich für die Inszenierung von Laurence Connor grelle Möglichkeiten, Effekte explodieren zu lassen. Der vom Phantom Richtung Parkett herabgeschickte Kronleuchter kann dabei als eher schüchterne Bühnenpointe abgehakt werden. Knalliger sind schon die pyrotechnischen Effekte, die das Phantom feurig durch die Gegend schleudern, wenn ihm danach ist. Allerdings besteht der tatsächliche Charme dieses Grusicals im smart gebauten Stück selbst, das mit Die Musik der Dunkelheit und Das Phantom der Oper auch noch tatsächliche Hits aufweist.

Dass Szenen – nebst den Zirkusblendeffekten – profund zum Musicalleben erweckt werden, verweist aber auch auf die Qualität der Produktion von Cameron Mackintosh, die nach einer jahrelangen Weltreise nun neu erarbeitet und lokal besetzt in Wien gezeigt wird.

Die romantischen, die schaurigen wie auch die heiteren Momente des Blockbusters von 1986 werden elegant und in schnellen Wechseln zu opulenten Bildern geformt. Zudem regiert eine Personenführung, deren Exaktheit den meisten Operninszenierungen zu wünschen wäre – auch an parodistischen Stellen ist dies zu erkennen: In Kostümen aus dem Paläozoikum der Opernregie punktet Heerführer Hannibal mit überkandidelten Tenorgesängen (parodistisch in Form: Greg Castiglioni als Knödeltenor Ubaldo Piangi als Hannibal). In Rokokokostümen wird auch bunt-virtuoser Slapstick durchgeblödelt, bis das Phantom den Opernalltag zerstört und seine Herzensdame dorthin entführt, wo es unter Kerzenbeleuchtung seine Oper schreibt.

Er lässt sie ziehen

Zunächst wirkt das Phantom ein bisschen gar nett und höflich, auch wenn es bereits mordet. Mit zunehmender Wut und Verzweiflung aber findet Anton Zetterholm zu intensiver Darstellung einer sehnsuchtskranken Figur. Von der Gesellschaft ob ihres äußeren Andersseins gedemütigt, versteckt sie sich hinter Rachegelüsten. Dennoch lässt das Phantom Christine mit Raoul (Roy Goldman verleiht der leichtgewichtigen Figur vokal Format) davonziehen. Nach ihrem "Erlösungskuss".

Christine, die in den Phantomaugen das Leid der ganzen Welt brennen sah, ist bei Sopranistin Lisanne Clémence Veeneman gut aufgehoben. Ihre leicht vibratoflatternde Stimme steigert sich bei den hohen Passagen, die im pyramidal hohen E münden, zu laserartiger Klarheit. Hierbei leistet das Orchester unter Carsten Paap hilfreiche, nicht allzu bombastische Dienste. Eher klingt der Chor mitunter etwas nach Aufdringlichkeit. Es darf das Phantom des Raimund-Theaters eine Reduktion der Dezibel anfordern. (Ljubiša Tošić, 17.3.2024)