Die Open World ist liebevoll gestaltet.
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Cutter Slade ist wieder da. Der sarkastische Held wider Willen ist einmal mehr auf der fremden Alienwelt Adelpha gelandet und muss sich in einer fremden Kultur zurechtfinden, die Sprache der Einheimischen lernen und eine uralte Prophezeiung erfüllen. Wem das alles jetzt irgendwie bekannt vorkommt, den täuscht die Erinnerung nicht. Alles das gab es schon einmal, nämlich im Jahr 1999. Damals war "Outcast" eines jener Spiele, die den Weg für moderne Open-World-Games bereitet haben. Das Spiel setzte technische Maßstäbe und kam wegen seiner liebevollen Umsetzung einer fremden Welt in der Fachpresse hervorragend an. Ein großer Verkaufserfolg wurde "Outcast" aber nicht. Nach dem soliden Remake "Outcast: Second Contact" und 25 Jahre nach dem Original wollen Appeal Games den Charme des Originals noch einmal neu aufleben lassen. Doch funktioniert die eigenartige Welt von Adelpha ein Vierteljahrhundert später immer noch?

Eine Welt zum Verlieben

Die Prämisse wirkt ein wenig mit Gewalt auf Fortsetzung getrimmt: Ein deutlich gealterter Cutter Slade wird wieder durch den im ersten Teil verursachten Dimensionsriss nach Adelpha katapultiert. Wieder hat er keine Ausrüstung und kann sich nur noch an sehr wenige Dinge erinnern. Nur so viel ist klar: Der Planet wird von einer unbekannten Macht angegriffen. Ja, selbst die Sprache der Bewohner, der Talaner, hat der ehemalige Marinesoldat und Weltenretter verlernt. Storytechnisch mag das ein wenig albern wirken (auch wenn es dafür natürlich eine Erklärung gibt), spielerisch ist der Reset durchaus sinnvoll: Er hilft den Spielerinnen und Spielern, sich in der fremden Welt zurechtzufinden.

Liebe zum Detail: Hier sitzt der Weber-NPC tatsächlich an einem Webstuhl, statt nur in der Welt herumzustehen.
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Denn auch wenn Cutter recht schnell die Sprache der Talaner verstehen kann, gibt es doch für beinahe jeden Aspekt innerhalb der Spielwelt ein eigenes Wort, das man auch als Spieler lernen muss. Doch die Vokabelstunde macht durchaus Spaß: Nach und nach erlernt die Person vor dem Bildschirm die Termini, und schon bald kennt man den Unterschied zwischen einem Eluée und einem Fandazma. Die fiktive Sprache Agazork ist detailliert ausgearbeitet und spielt immer wieder eine große Rolle im World-Building. Die Fantasiesprache hat sogar ihre eigenen Fans, die ganze Wörterbücher pflegen. Keine Sorge, wer darauf keine Lust hat, kann direkt in den Dialogen ein Glossar mit Übersetzungen einblenden lassen.

Du Brandopfer!

Immersiv wird die Welt auch durch Cutter selbst: Er spricht nämlich nicht nur Agazork, sondern auch fließend Sarkastisch und macht sich über die eigenartigen Sitten und Gebräuche der Talaner lustig, nimmt sich aber selbst nicht ganz so ernst. Die Talaner selbst halten sich mit ihren Vorurteilen auch nicht zurück und spielen immer wieder auf das eigenartige Aussehen der Menschen an. Ein Gelehrter hält die Spielfigur sogar für ein Brandopfer und bedauert, dass er das vermeintlich entstellte Gesicht nicht heilen kann.

Der Bürgermeister des Brauereidorfs ist ein durstiger Geselle.
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Besonders ans Herz wachsen die schrulligen Bewohner: Da wäre der für die Story relevante, aber schwerhörige Bibliothekar, der regelmäßig für Verwirrung, aber auch für Schmunzeln sorgt. Oder der Häuptling des Dorfs der Bierbrauer, der sich weigert, am Abend zu denken, denn dann wird schließlich gefeiert. Sein größtes Problem ist es, seine Leute davon abzuhalten, selbst die Vorräte auszutrinken, schließlich muss der Gerstensaft noch verkauft werden. Dazu kommt noch ein religiöse verbohrtes Herscherinnenduo (oder ist es doch nur eine Person?), ein Möchtegern-Indiana-Jones und ein Häftling mit einem sehr speziellen Fetisch.

Viele Stunden Spaß mit einem Ei

Ähnlich abwechslungsreich wie die Bewohner sind auch die Quests. Damit Cutter die Invasoren zurückschlagen kann, muss er die Stämme und Dörfer der Talaner vereinen und das geschieht über Questketten, die sich über mehrere Flussdiagramme erstrecken und schon einmal fünf bis sechs Stunden Spielzeit verschlingen. Ein Beispiel: Im ersten Dorf hat ein junger Mann ein Problem. Schon sein Vater hat ihm von einem wertvollen Artefakt im See berichtet, doch der Herr hat panische Angst vor Wasser. Also taucht Cutter nach unten und findet eine schwebende Kugel, die sich als Ei eines längst ausgestorbenen Wesens entpuppt. In einer Minigolfeinlage wird das Ei ins Dorf befördert. Anschließend muss ein Gelehrter gefunden werden, der sich mit dem "Küken" auskennt. Dann will das Ei kuschelig warm eingepackt und vor Angriffen beschützt werden. Als dann die Kreatur endlich schlüpft, geht das Chaos erst richtig los. "Outcast: A New Beginning" zeigt AAA-Großproduktionen, wie man eine Open World mit Leben und Abwechslung füllt.

Die Panoramen sorgen immer wieder für denkwürdige Momente.
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Das neue "Outcast" ist deswegen aber nicht frei von für solche Spiele üblichen Nebenaktivitäten: Feindliche Stützpunkte wollen erobert werden, Parcourspassagen gilt es in der vorgegebenen Zeit zu absolvieren, und Monsterbaue warten auf ihre Zerstörung. Das alles fühlt sich dank der immersiven Welt aber nie nach Arbeit an, und fast immer wird man als Spieler neben Beute auch mit einem flotten Spruch von Cutter belohnt. Als ein besonders ekeliges Monster besiegt ist, bittet die Spielfigur die Götter, Yods genannt, dass sie diese Erinnerung aus seinem Gedächtnis löschen sollen. Außerhalb der Dörfer ist dafür ausgesprochen wenig los. Das stört aber nicht, denn meistens ist man ohnehin fliegend oder gleitend unterwegs.

Großartige Welt, lahme Kämpfe

Gesteuert wird die Spielfigur genretypisch aus der 3rd-Person-Ansicht. Der Held ist aber nicht nur auf seinen beiden Füßen unterwegs, sondern darf auf ein Jetpack zurückgreifen, das später auch noch als Wingsuit dient. Das ist äußerst praktisch, denn Adelpha ist äußerst gebirgig und dank der Gleitfähigkeit kann man größere Distanzen in wenigen Sekunden überbrücken. Außerdem kann Cutter auch in die Horizontale gehen und per Jetantrieb über den Boden flitzen. Das ist zwar alles andere als realistisch, macht aber einen Heidenspaß.

Leider endet der Spaß oft, wenn man in Gegnergruppen gerät, denn die Kämpfe sind eindeutig der Schwachpunkt des Spiels. Zwar verfügt Cutter über einen Energieschild und kann in alle Richtungen ausweichen, am Ende spielen sich die Duelle gegen die Roboter der Invasoren oder aggressive Tiere sehr statisch. Ein Deckungssystem gibt es nicht, also steht man ständig im offenen Gelände und versucht so, viele Treffer am Gegner zu landen, bevor man selbst getroffen wird. Zwar gibt es ein Nahkampfsystem, das ist aber nur rudimentär umgesetzt.

Die Kämpfe sind unspektakulär und steif inszeniert.
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Vor allem zu Beginn des Spiels sind die Schießereien eine nervige Pflichtübung, besonders weil Cutter nur eine lächerlich schwache Pistole zur Verfügung steht. Selbst Standardgegner stecken locker sechs bis sieben Treffer weg, bis sie funkensprühend umfallen. Später kommt immerhin noch ein Gewehr hinzu. Die Waffen kann man mit Zusatzmodulen upgraden. Es ist zwar durchaus amüsant, wenn man mit seine Waffe mit der Kombination aus dem Maschinengewehr- und dem Explosivmodul in einen dauerfeuernden Minenwerfer verwandeln kann, aber richtig spannend werden die Duelle mit den Gegnern deswegen auch nicht.

Das Jetpack macht einfach Spaß.
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Ähnliches gilt auch für den Skillbaum. Cutter kann nämlich seine Kampfskills mit seltenen Chemikalien aufwerten. Die Fähigkeiten kommen aber nie über das übliche Plus an Hitpoints, einen höheren Rüstungswert oder einen stärkeren Schild hinaus. Mehr Spaß machen da schon die Upgrades für das Jetpack, wenn man plötzlich in der Luft stehen bleiben oder Ausweichmanöver fliegen kann. Denn nur wer in die richtigen Upgrades investiert, kann manche Geheimnisse der Umgebung lüften oder die Beute an einer Bergspitze einsammeln. Apropos Beute: Die besteht meistens aus den bereits erwähnten Upgradechemikalien oder neuen Waffenmodulen. Geld gibt es auch, das hat aber lediglich den Zweck, in Heiltränke oder größere Tragetaschen investiert zu werden.

Großer Technikhunger

Schon der 25 Jahre alte Vorgänger zeichnete sich zu seiner Zeit durch recht hohe Anforderungen an die eigene Hardware aus – der Voxel-Engine sei dank. Diese ermöglichte damals die Darstellung der weitläufigen Landschaften von Adelpha. Das war zu einer Zeit, als Spieleentwickler Sichtweiten künstlich durch dichten Neben beschränken mussten, weil die Hardware der PCs nicht mehr mitkam. Dank der Unreal-Engine 5 sieht "Oucast: A New Beginning" spektakulär gut aus, aber auch die Anforderungen an die Hardware sind keine Kleinigkeit. Auf dem Testsystem (Ryzen 5800x3D, Radeon RX6800XT, 64 GB RAM) war an 4K-Auflösung nicht zu denken, und das neue "Outcast" ruckelte und zuckelte irgendwo zwischen Diashow und unspielbar umher. Das dürfte an einer nicht besonders sorgfältigen Optimierung liegen, denn das neue "Outcast" sieht zwar gut aus, ruckelt aber oft auch plötzlich ohne erkennbaren technischen Grund.

Dazu kommen noch einige Bugs und Glitches wie im Boden versinkende Gegner oder KI-Aussetzer. Aber zu keinem Zeitpunkt wirken sich diese gravierend negativ auf das Spielgeschehen aus und stellen keine groben Problem dar, die ein bis zwei Patches nicht beheben könnten.

Fazit: Ich bin verliebt

"Outcast: A New Beginning" sollte an sämtlichen Studiengängen in Sachen Gamedesign ein Pflichtfach sein. Selten wurde eine Open World so liebevoll umgesetzt und so mit Leben gefüllt. Dazu kommt ein Quest-Design, das so manche AAA-Space-Opera spielend in die Tasche steckt. Denn das Spiel lehrt eines: Map-Symbole und Nebenaktivitäten sind nichts Schlechtes, wenn sie nur einigermaßen organisch in die Welt eingebettet und nicht als Selbstzweck und zur Spielzeitstreckung verwendet werden. Dazu kommt ein sensationelles Bewegungsgefühl dank Jetpack und Gleiter. Es ist nur schade, dass diese Liebe zum Detail nicht in die Kämpfe geflossen ist. Die Auseinandersetzungen spielen sich äußert uninspiriert und sind dank mangelhafter Gegner-KI auch ausgesprochen einfach.

Das original "Outcast" ist bis heute eines meiner Lieblingsspiele, und selbst nach 25 Jahren ist der Charmefunke sofort auf mich übergesprungen. Ich konnte mich sogar noch an manche Begriffe der Talaner erinnern, was ein Beweis dafür ist, welchen Eindruck das Spiel damals bei mir hinterlassen hat (was man jetzt vom Sprachunterricht in Französisch nicht behaupten kann). "Outcast: A New Beginning" schafft es, bei mir die Magie des Originals erneut zu vermitteln, und dafür lerne ich sogar gerne eine neue Sprache. Auf nach Adelpha, denn ich bin verliebt. In diesem Sinne: Meenaï Ogaé, Maya! (Peter Zellinger, 16.3.2024)